Rike und Ruanda

Ein Listen- und Termintaktermensch in einer buhoro buhoro-Welt

Ankommen, S’habituer

Von vielen Leute aus Deutschland, aber auch hier von den Pères und anderen Bekannten, werde ich in dieser ersten Woche häufig gefragt: „Seid ihr gut angekommen?“, „Findet ihr euch zu recht?“, „Est-ce que vous déjà vous habituez?“ (Habt ihr euch schon eingewöhnt?). Natürlich sind wir gut angekommen, aber richtig angekommen? Wir sind erst seit einer Woche hier und schon ist so viel Neues passiert, so viele neue Eindrücke…


Ankommen in der Communauté

Am Donnerstagabend, als wir nach einer knapp dreistündigen Busfahrt in Butare (auch Huye genannt) ankamen, wurden wir nach einer kurzen Autofahrt nach Rango sehr herzlich von allen Brüdern willkommen geheißen und haben direkt die erste Abendandacht mitgemacht (Zum Leben mit den Brüdern später mehr in einem anderen Blogeintrag). Danach saßen wir bei einem Glas Wein/Bier nett zusammen und haben ein bisschen erzählt. Emma und Ich haben unsere Zimmer schon recht heimelig eingerichtet und auch das Abendessen hat in uns keine direkten körperlichen Reaktionen hervor gerufen, if you know what i mean 😉

Nach diesem ruhigen Abend folgten aber schon einige ereignisreiche Tage, an denen wir viel erlebt haben:

Die ersten Tage

Direkt am Freitag sind wir mit Père Gaspard, dem Leiter der Einrichtung nach Huye City gefahren, um dort im Rathhaus beim Immigration Office die ersten Sachen für unser einjähriges Volontärsvisum zu klären. Huye ist nicht ganz so groß wie Kigali, hat aber trotzdem sehr viele Geschäfte und auch hier düsen die Motos hin- und her. Nach dem Immigration Office sind wir für mich noch schnell zu einem Telefonnetzanbieter hier in Ruanda gegangen, weil mein Handy Probleme mit der SIM Karte hatte, die wir in Kigali gekauft haben. Das ist jetzt aber auch behoben und ich kann mit meiner neuen Nummer telefonieren und mobile Daten verbrauchen, woop woop!

Wir waren auch noch ein paar Mal mit Père Gaspard in Huye unterwegs, um das endlich mit unserem Visum zu klären. Da gab es einige Missverständnisse, da seit dieser Woche neue Visavorschriften und -kategorien existieren und so die Mitarbeiter im Immigration Office zwischendurch selbst keinen Plan hatten. Emma und Ich hatte auch ein etwas unwohles Gefühl, unsere einzige original beglaubigte Abizeugnisübersetzung und das originale erweiterte Führungszeugnis mitsamt unserem Reisepass zur Bearbeitung abzugeben…Jetzt wurde aber alles in die Wege geleitet und nächste Woche können wir uns schon unser Visum mit all unseren Dokumenten (wieder) abholen und müssen dann nur nochmal nach Kigali, um dort die letzten Sachen für unseren Personalausweise zu regeln (Fotos, Fingerabdrücke etc). Père Gaspard hat uns auch mit auf einen Markt genommen. Hier versteht man unter „market“ etwas anderes. An den Straßen gibt es auch die uns bekannten Marktstände, aber ein großer Markt ist hier meißtens ein großes Haus mit hohen Decken, großen Fluren und offenen Zimmern. Auf den Fluren und in den Räumen befinden sich dann die einzelnen Geschäfte. In etwa so, wie in einem Einkaufszentrum. In den markets sind die Geschäfte meißt thematisch angeordnet. So gibt es zum Beispiel eine ganze Etage nur mit Bekleidungs- und Stoffläden, eine andere mit Lebensmitteln usw.

Der Blick vom market nach unten auf die Lebensmittelstände. Hier kann man Mehl, Zucker und Co in riesigen Mengen kaufen

Wir lernen so peut à peut den Aufbau der Einrichtung kennen und haben in den letzten Tagen auch schon verschiedene Ecken des Geländes hier erkundigt. Dazu gehört auch das Noviziat auf der anderen Seite der Straße (zu den Strukturen und dem Aufbau später mehr unter dem Menüpunkt „les Salésiens de Don Bosco à Rango„), zu dessen Gelände auch ein paar Tierställe gehören. Dort leben ein paar Kühe, ganz viele Hühner und Schweine. Das dickste von den Schweinen hab ich für mich direkt Yolande getauft (Bauernhofinsider, wohooo!) 🙂

Samstagvormittags findet hier immer ein Straßenkinderprojekt statt, um das sich hauptsächlich die Freiwilligen kümmern. Das war unsere erste richtige Aktion hier als Volunteers, die wir erlebt haben. Um ehrlich zu sein, hat uns das etwas erschlagen. Zu dem Projekt findet ihr , sagen wie mal in einer Woche, mehr Informationen im oben genannten Menüpunkt. Was aber glaube ich schon durch den Namen des Projektes klar wird: hier wird mit „enfants de la rue“- Straßenkindern gearbeitet. Das ist etwas, was Emma und Ich in diesem Rahmen noch nie zuvor gemacht haben und was für uns sehr Neu war. Wir wussten noch nicht, wie man damit umgeht, wenn einen ein Kind direkt als erstes nach Geld fragt oder versucht, einem die Armbänder auszuziehen. Dadurch, dasss wir erst einen Hauch Kinyarwanda sprechen können, haben wir da ja auch noch keine große Autorität und Durchsetzungsfähigkeit. Zum Glück hat uns an dem Tag noch einer der Salesianer geholfen, der die Kinder gut unter Kontrolle hatte. Daran müssen wir uns halt erstmal gewöhnen,aber wie haben schon viele Ideen, was man mit den Kindern spielen kann 🙂

Am gleichen Tag haben wir auch direkt die Arbeit nachmittags im Oratorium kennen gelernt. Auch dort kommen wir bis jetzt mit unseren Kinarwandakenntnissen nicht so weit, aber die Kinder freuen sich, wenn wir versuchen mit ihnen zu reden und bringen uns gerne etwas bei. Im Gegenzug finden sie es auch sehr cool, etwas auf deutsch oder englisch zu lernen. Jetzt in den ersten Tagen im Oratorium haben wir noch keine festen Aktionen angeboten, sondern uns erstmal versucht zu orientieren. Bis jetzt haben wir zwischendurch mal beim Fußball- oder Basketballspiel der Kinder mitgespielt, mit ihnen gesungen/getanzt oder einfach nur geredet. Einige Kinder haben uns auch schon ein paar Spiele mit Steinchen und Zeichnungen auf der Erde beigebracht, bei denen man nicht viel reden muss und einfach spielen kann.

Seit gestern ist auch ein Aspirant Teil unserer Kommunität, der aus Ruanda kommt und in der Schule Englisch gelernt hat. So kann er uns in den nächsten Wochen mit seinen Dolmetscherkenntnissen von Kiyarwanda auf Englisch und wieder zurück helfen 🙂

Ab Morgen startet aber auch schon unser Kinyarwandasprachkurs. Wir werden Montags bis Freitags 2 Stunden pro Tag unterrichtet und sind schon sehr gespannt, wei das so sein wird!

Mein neues Zimmer

Am Donnerstagabend das erste Mal in „meinem Zimmer“ zu sitzen war komisch. Der Gedanke „hier wirst du für das nächste Jahr wohnen“ ging mir durch den Kopf und kam mir so unrealistisch vor. Doch dann legte sich BOOOM ein Schalter in meinem Kopf um: Ich hatte was zu tun! Motivations-Playlist an- und Koffer aufgemacht und schon ging es los mit dem Zimmereinrichten! 🙂 Mittlerweile habe ich für alles einen Platz in meinem Zimmer gefunden und mir durch einige Abschiedsgeschenke, Fotos und Lichterketten ein sehr gemütliches Zimmer eingerichtet. Als ich damit fertig war, musste ich schon kurz lachen. Ich bin halt wie meine Mutter: immer auf Ambiente bedacht ! 😉

Neue und ungewohnte Sachen

Hier lassen sich so viele neue Sachen finden! Am Sonntag zum Beispiel waren wir in unserer ersten Messe auf Kinyarwanda. Da haben wir zwar nur „Imana“ (Gott), Amen und Halleluja verstanden, aber es war trotzdem sehr cool zu beobachten, wie unterschiedlich hier alles abläuft. Die Messe war viel länger, aber auch bunter und lebendiger als in Deutschland. Das Beten mit den Brüdern auf Französisch ist auch etwas total Ungewohntes, gefühlt jeden Tag kommt ein weiteres kleines Gebetsbuch dazu, aus dem neue Gebete genutzt werden. Den Rosenkarnz auf Französisch haben wir jetzt auch schon einmal durch! 🙂

Auch das Klima hier ist etwas anders: in der Nacht und auch Morgens ist es noch recht kalt und dann ab ca. 12:00 Uhr fängt es an, richtig warm zu werden. Vielleicht habe ich es ja wegen dieser Wetterveränderung geschafft, mir schon in den ersten Tagen eine kleine Erkältung einzufangen.

Die vielen Sprachen, die hier bei Tisch, aber auch auf der Straße durcheinander geworfen werden, das etwas andere Essen(viele Bohnen, viele Zwiebeln),die Morgenmessen um 06:15 Uhr, die neuen Gerüche und Geräusche,die mit Hühnern, Bananenstauden oder Gummi beladenen Fahrräder, das neue Zimmer, der immer unterschiedliche Geschmack vom gefilterten Wasser… Das sind alles recht viele Eindrücke, die man erstmal verarbeiten muss. Und wenn das Ganze dann auch noch in einem unbekannten Umfeld stattfindet und sich die Familie auf einem anderen Kontinenten befindet, kann das schon anstrengend und auch ein wenig belastend sein. Zum Glück bin ich nicht alleine hier, ich habe ja noch Emma!

Mit ihr in den letzten Tagen zu reden, unsere Meinungen und Gedanken auszutauschen hat wirklich viel geholfen, dass hier alles zu verarbeiten und richtig aufnehmen zu können.

„Observer“ und mein lieber Freund Piaget

Als wir am ersten Abend beim Abendessen schon ganz gespannt fragten, was denn nun in den nächsten Tagen der Plan für uns wäre, was wir machen sollen, kam vom Leiter erstmal der Ausdruck „buhoro buhoro“. Das heißt so viel wie „langsam, langsam“ auf Kinyarwanda. Wir sollen zuerst nur zuschauen, beaobachten („observer“) und uns an alles gewöhnen.

Diese frazösische Vokabel erscheint mir viel angemessener, als „s’habituer“. Sich eingewöhnen kann man doch erst, wenn man alles beobachtet hat! Diese Aufforderung, all die neuen Sachen erstmal zu beobachten, wahrzunehmen und sie dann in Gewohnheiten zu speichern, hat mich an einen lieben Herren aus dem Pädagogikunterricht erinnert: Jean Piaget. Das war ein Theoretiker, der sich mit der kognitiven Entwicklung des Menschen beschäftigt hat, also mit dem, was so im Kopf los ist.

Laut ihm entwickeln sich die Schemata und Assoziationsketten, die man bereits im Kopf entwickelt hat, um die Welt zu verstehen durch zwei verschiedenen Vorgänge weiter. Da wäre einmal die Assimilation. Man assimiliert, wenn man neue Erfahrungen in bereits bestehende und bekannte Schemata einordnen kann. In meinem Fall wäre das zum Beispiel das Rosenkranzbeten auf Französisch oder das Essen hier. Ich weiß, wie man den Rosenkranz betet und auch, dass man isst und wie man isst. Nur die Art wie hier gebetet wird in der Kombination mit einer anderen Sprache oder was genau man hier isst, war mir bis jetzt unbekannt.

Ein anderer wichtiger Begriff ist hier die Akkomodation. Dieses wunderschöne Wort beschreibt die Erweiterung/Anpassung eines Schemas an eine wahrgenommene Situation, die noch nicht bekannt ist. Hierzu fällt mir direkt das Straßenkinderprojekt ein: Klar, war mir der Begriff Straßenkinder bekannt, aber nicht in diesem Maße. Erst langsam verstehe ich, was die Beweggründe oder Umstände der Kinder sind, auf der Straße zu leben, wieso sie einen direkt nach Essen und Geld fragen und wie man sich dann in solchen Situationen verhält. Eben etwas komplett Neues, was erst in die mir bekannten Schemata akkomodiert werden muss, damit ich es nachvollziehen und mir so die Welt besser erklären kann.

(Für die Angaben der pädagogischen Fachwörter und Zusammenhänge gebe ich keine Gewähr…am Ende beschweren sie sich noch, Frau Kontny 😉 )

Mein Fazit für diesen Beitrag und die ersten Tage in Rango: wir halten uns an Piaget, akkomodieren und assimilieren ein bisschen vor uns hin und schauen, wo das dann hinführt. Mit dieser Einstellung können wir bestimmt schon bald behaupten, richtig angekommen zu sein! 🙂

P.S.: Emma un Ich haben in den letzten Tagen oft über Ruanda recherchiert und auch meine Tante hat sich vor unserer Ausreise mal erkundigt und wir haben herausgefunden, dass Ruanda – laut dem World Economics Forum- das sicherste Land Afrikas und das neuntsicherste der Welt ist! 🙂

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  1. Klingt ja alles schon super spannend und interessant! Ich kann es total nachvollziehen, dass allein die ganzen neuen Eindrücke am Anfang sehr anstrengend sind und man viel schneller müde wird als sonst. So ging/geht es mir auch. Aber das ist ja auch genau das Spannende und neue Dinge lernt man ja immer gerne ;-). Ich wünche euch noch eine schöne erste Zeit und bin schon auf weitere Beiträge gespannt!
    -deine Vroni

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