Ich habe immer noch ein paar Hospitationen vor mir, allerdings sind sie noch nicht abgeschlossen- deswegen schreibe ich heute mal über ein paar meiner Erlebnisse hier. Hier entdecke ich jeden Tag so viel Neues und auf die Frage der indischen Kinder, wie es denn in Deutschland aussieht, kann ich immer nur leichten Herzens “Completely different.” antworten.  Und wieso Ich grad so viel veröffentliche? Wie gesagt, Ich habe Hospitationen und noch keine Arbeit, dementsprechend habe Ich noch ziemlich viel Freizeit und diese will Ich gut nutzen!

Fahrrad fahren

Adrenalin braust durch meine Adern als ich „Ring! Ring! Ring!“ schreiend in den Nachmittagsverkehr sause. Meine Klingel ist kaputt- genauso wie meine Bremsen. Mit einem knackigen Höchsttempo von 12 km/h bewegt sich der Verkehrsfluss; der aus hupenden Rikshas, genervten Bonzen-Benz-Autos, ungeduldigen Motorradfahrern, klingelnden Fahrradfahrern und einer super gechillten, im Weg stehenden Kuh besteht. Genau wie die anderen Verkehrsteilnehmer lachen mich bestimmt grad  einige aus während sich andere fragen wieso Ich es für nötig halte, die Unfähigkeit meiner Klingel zu verbalisieren, wenn es doch sowieso nicht voran geht. Ganz einfach. Alle, aber wirklich alle, fahren einfach dahin wo sie wollen- und wenn sie einen damit beinahe umfahren, muss man hupen oder klingeln. Richtig Verkehrsregeln gibt es nicht: Im Kreisverkehr fährt man links oder rechts, je nachdem was grad kürzer ist. Links vor rechts ist ein guter Witz! Die Ampel ist rot? Ach, ich seh` da `ne Lücke und fahr durch! Und Zebrastreifen gehören sowieso eher zur Straßenverschönerung. Man muss halt immer bremsen wenn einem was vor die Räder fährt, und in meinem Fall muss Ich darauf hoffen, dass die Anderen gute Bremsen haben- das erklärt auch die Höchstgeschwindigkeit. Obwohl ich das erste Mal in Indien auf dem Fahrrad sitze, macht mir dieser Stil des Fahrens (nach meiner ersten gefühlten Nah-Tod-Erfahrung) nach einer Weile richtig Spaß. Das hindurch schlängeln zwischen verstaubten Lastern und bunten Rikshas und das Suchen von -mehr oder weniger- waghalsigen Lücken fällt einem mit der Zeit immer leichter. Für mich ist das Fahrradfahren sowieso etwas einfacher weil die Autos oft etwas langsamer fahren wenn sie einen Ausländer sehen. Eigentlich gibt es nur zwei Regeln im Verkehr: ruhig bleiben und auf Kühe und den Bus aufpassen. Der Bus ist hier das Alphatier und die Kühe(und ihre super süßen Kälbchen) sind nie daran interessiert sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

Der Nach-Monsun

Tagelang war es hier so heiß, dass Ich dachte, dass wenn Ich nachts nicht jede Stunde aufstehe und ein Liter Wasser in mich rein kippe, ich am Morgen so ausgetrocknet und schrumpelig wie eine Rosine sein müsste. Etwas Regen würde die Hitze aus der Luft waschen… Tja, pass auf was du dir wünscht: Wir Mädels saßen im Haupthaus des Projekts am Abendbrottisch als es plötzlich ohrenbetäubend donnert. Zuerst nur ein paar Tropfen, und dann kippten die Engel ihr Badewasser aus, es fing an zu schütten, es regnete aus Eimern- kurz um; der Himmel machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter (dass die Menschheit ersaufen sollte). Zwar ist die Flat vom Haupthaus nur 120 m Fußweg entfernt, doch wir wollten warten bis der Regen etwas abflaute. Ein fataler Fehler: als nach einer Stunde immer noch keine Gnade seitens des Himmels zu erwarten war, standen die Straßen bereits komplett unter Wasser. Den Chunni über den Kopf gehalten, um durch den Regen keine schlechte Sicht zu haben, lief ich als letzte in der Truppe los. Das Wasser stand 30 cm hoch und spritzte beim Rennen meine Beine hoch. Ich stellte fest dass ich so oder so nass werde, und so watete ich durch das schlammbraune Wasser in dem sich vermeintlich das Abwasser aus der offenen Abflussanlage, die Fäkalien jeglicher auf der Straße lebender Tiere und der Staub der Straße vermischt hatten. Da wate ich lieber langsam durch und werde nass geregnet, als dass ich halbtrocken aber dafür mit dem gesamten Unterleib in Straßensuppe eingesudelt bin. Viele Inder haben sich vor dem Unwetter auf höher gelegene Haustür-Treppen oder in Läden geflüchtet. Sie schauen mich nun pikiert und verständnislos an als Ich lachend mein kleines ekliges Abenteuer genieße. Ein kleiner Flip-Flop schwimmt fröhlich neben mir her.

OMG! Ein Weißer!

Ich bin alleine in der Einkaufsstraße unterwegs und suche so dies und das zusammen. Die neugierigen Blicke die mir, als offensichtliche Ausländerin, folgen und auch das Starren bin ich inzwischen schon gewohnt. Während ich an den bunten Shops vorbeilaufe und einem Straßenverkäufer mit Mais ausweiche bemerke Ich ihn:  In einem Punjabi-Shop steht ein Weißer (OH. MEIN. GOTT. Ein Weißer!!!). Ich glotze ihn an wie besonders exotisches Tier im Zirkus. Der Mann, der aussieht wie der High-School-Bad-Boy aus einem 80`-er Film (vom Alter nach auch sehr plausibel), beäugt mich misstrauisch und zündet sich eine Zigarette an. Ich glotze weiter. Hier gibt es doch nie Leute aus dem Westen! Und der trägt auch gar nicht die normalen Sachen hier! Was der hier so macht? Der Alte runzelt die Stirn und schaut mich genervt an, als würde er fragen was ich den bitte zu starren habe. Aber ich denk gar nicht daran mich ertappt zu fühlen, schließlich ist er ein Ausländer und die Fremden sind halt interessant und werden deswegen angeglotzt, machen doch alle!

Komische Fragen

Ich saß während Vinayakachavithi mit den Kindern auf dem Boden und wollte, ganz nach Vorbild meines Vaters, etwas vom Verlauf filmen. Doch beim Anblick meines Handys strahlten die Kinderaugen heller. „ Mobile! Take selfie! Show Photos!“ Also filmen etwas später. Ich zeige den Kindern Fotos von meiner Familie. „Oh, this is mother? She so beautiful!“ ; „Your father engineer? He successful?“ Schon hier merke ich das Foto zeigen sehr interessant werden könnte. Ich zeige den Kindern Fotos von meiner Schwester mit ihrem Verlobten. „They marry? Arranged?“ „ No,No, not arranged. Love marriage!“  Die Kinder geben ein großes “Ooooh” von sich. Als Nächstes zeige ich ihnen Fotos von meinen Schwestern und ihren festen Freunden. Die Kinder schauen mich prüfend an: „Father knows? Not secret? He okay?“ Hier kann Ich mir ein Lachen kaum verkneifen, natürlich weiß mein Papa von den Freunden seiner Töchter! Als letztes zeige Ich noch ein paar Fotos von meinen Freunden. Die Kinder kichern und zeigen auf einen meiner Freunde, der grad ein Auslandsjahr in China macht: „You married to him?“ Ich lache und verneine. „Of course, I am not his wife!“ Die Kinder ziehen die Augenbrauen zusammen: „But are you married, sister? You have boyfriend?“ Jetzt werden die Kinder achtsam. Und Ich werde auch achtsam: „ … no? I am not married and have no boyfriend…?“  Die Kinder schauen mich verwirrt an. „Why, sister?“ Oh Gott, was antwortet man auf so eine Frage?

Und zum Schluss eine kleine Ungerechtigkeit am Rande

Die Jungs kommen ja jedes Wochenende in die Flat. Und an diesem Wochenende wollten sie abends in die Bar. Ich bin Genießerin, und zu einem schönen Glas Rotwein oder einem kleinen Bierchen sage Ich nicht nein. Und wenn man am Wochenende in der Freizeit ein bisschen was genießt, sollte das doch klar gehen? Komm: zusammensitzen, reden und ein Bier- das ist nicht schlimm. Pustekuchen! Die Jungs sind ohne die Mädels in die Bar gegangen, weil es für uns als Frauen kulturell nicht akzeptiert ist dass wir in eine öffentliche Bar gehen und Alkohol trinken. Generell ist hier Alkohol nicht sehr schicklich.  Ich schmolle ein bisschen und esse aus Protest eine Ritter Sport „Rum Traube Nuss“ mit den anderen Mädels.

Liebe Grüße an meine Lieben,

Eure Lilli