Vor ein paar Tagen wurde mir die Frage gestellt, was mein schönstes Ereignis hier in Bénin war. Für die Antwort habe ich ziemlich lange nachdenken müssen, da ich in den letzten drei Monaten so viel Schönes erleben durfte, dass ich kaum ein Ereignis über das andere stellen möchte. Doch dann ist mir eine sehr besondere Situation in den Kopf gekommen, die ich gerne hier teilen möchte.

An einem Dienstagnachmittag bin ich wie immer vom Maison de l’Espérance (dem Ausbildungszentrum) in Richtung Baraque aufgebrochen. Vorbei am Straßengewusel, den Zurufen und den vorbeirauschenden Zems. Es hat nicht lange gedauert und da war ich auch schon mitten im Gedränge des Marktes. Zur Baraque führen viele Wege, denn egal welche Abbiegung man nimmt, am Ende landet man doch immer wieder an den gleichen zwei Ecken: der Ausgang bei der Baraque oder beim Maison de l’Esperance.

Ich habe mich für den mittleren Weg entschieden, der an den „Onion-Boys“ vorbei führt. So haben Teresa und ich die Jungs genannt, die in der Zwiebelabteilung massenweise Zwiebeln verkaufen. Sie schleppen enorme Kilos auf den Schultern oder ziehen völlig überladene Handkarren von A nach B. In der Regel tragen sie stark verstaubte Kleidung und sind auch oft oberkörperfrei anzutreffen, wobei sie ein ordentliches Sixpack präsentieren.

Als ich gerade auf der Höhe der „Onion-Boys“ bin, hängt sich ein kleiner Junge (ca. 8 Jahre) an meine Versen, der vorher auch schon schwere Säcke geschleppt hat. Er fragt mich immer wieder nach Geld, da er Hunger habe und legt eine absolut mitleiderregende Miene auf. Auch er war von oben bis unten voller Staub und hatte eine sehr traurige und kleinlaute Haltung. Um mich herum war so ein Trubel und ich musste schweren Wägen ausweichen, gleichzeitig schauen, dass ich nicht den Weg blockiere, sodass ich gar nicht auf den Jungen eingegangen bin.

Als ich aus der Engstelle in eine etwas größere und entspanntere Straße abgebogen bin, ist mir aufgefallen, dass mir der kleine Junge noch immer folgt. Ich habe ihn dann auf Französisch angesprochen und gefragt, ob er denn gerne tanzen und spielen mag. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht hat er eifrig genickt, woraufhin ich mich erkundigt habe, ob er denn die Baraque kenne. Dies hat er verneint und mich etwas verwirrt angeschaut. Nach ein paar weiteren Sätzen habe ich verstanden, dass er kaum Französisch spricht und habe ihn dann auf Fongbé (der lokalen Sprache in Cotonou) nach seinem Namen gefragt. Dass ich etwas in seiner Muttersprache sagen konnte, hat sein Grinsen nur noch vergrößert und er hat mir ganz stolz seinen Namen verraten.

Den weiteren Weg am Wasser entlang hat er mich weiter begleitet und wir haben versucht ein bisschen miteinander zu reden. Sein Gang ähnelte mehr einem Tanz, denn er hüpfte die ganze Zeit von einem Bein aufs andere, wobei er flink allen Hindernissen ausgewichen ist. Sein Grinsen hätte nicht breiter und strahlender sein können, womit er mich auch total angesteckt hat und ein warmes Gefühl in mir ausgelöst hat. Hin und wieder hat er ein paar bekannte Gesichter gesehen und ihnen voller Stolz erzählt, dass er mich begleitet und ich ihn zu einem tollen Ort mitnehme. Der Junge ging plötzlich so gerade wie es nur ging, mit geschwollener Brust und hoch erhobenem Kopf. Er hat eine Energie und Lebenslust ausgestrahlt, wie ich vorher nur selten gesehen habe, und ist nur so dahin geschwebt.

Als wir auf den großen Parkplatz abgebogen sind, ist er plötzlich ganz zielstrebig in Richtung der Baraque marschiert und ich habe ihn nochmal gefragt, ob er denn die Baraque kenne. Diesmal hat er es bejaht und hat sich kaum bremsen lassen dort endlich anzukommen. Das Gebäude war erst gerade in Sichtweite, da war er auch schon in der Jungsbaraque verschwunden und ich bin zu den energiegeladenen Mädels gegangen.

Gegen 16:00 Uhr hat die Jungsbaraque bereits geschlossen (1h früher als bei den Mädels) und ich habe den Jungen zusammen mit zwei anderen Kumpels auf einem Reifen vor der Mädchenbaraque chillen gesehen. Ich habe ihm hin und wieder zugelächelt oder gewunken, was auch bei ihm wieder ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hat. Kurz vor meinem Feierabend sind langsam seine Freunde gegangen und auch er ist dann zwischen den Autos verschwunden.

Diese Geschichte zeigt nicht nur den ersten Anschein vom armen kleinen Jungen, sondern lässt auch hinter den Vorhang blicken, wo man den einzelnen Menschen mit seinem Charakter und all seiner Freude sieht. Die Begegnung ist mir bis heute im Kopf geblieben, da sie mir gezeigt hat, dass ich mit etwas Zuneigung hier den Kindern so viel geben kann, aber auch genauso viel von ihnen zurückbekomme.