Zugfahren in Indien. Das ist sowieso ein Abenteuer an sich. Aber heute möchte ich euch von einer ganz besonders abenteuerlichen Zugfahrt erzählen – unserer 16 stündigen Zugfahrt nach Hyderabad zum Zwischenseminar. (Zum besseren Verständnis erkläre ich weiter unten noch ein paar grundlegende Dinge zum Zugfahren in Indien.)

 

Mist. Trotz 88 prozentiger Wahrscheinlichkeit in den Zug zu kommen, stehen wir auch zwei Stunden vor Abfahrt nur auf Platz zwei, drei und vier der Warteliste. Damit wurden unsere Tickets gecancelt.

Johanna, Leonhard und ich müssen nach Hyderabad zum Zwischenseminar, und haben vor einigen Wochen Tickets für die Zugklasse AC3 gekauft. Jedoch sind wir nur auf die Plätze sechs, sieben und acht der Warteliste gekommen. Normalerweise canceln vor allem in den letzten 24 Stunden vor Abfahrt aber noch genug Leute ihr Ticket, sodass wir uns erstmal keine ernsthaften Sorgen gemacht haben, noch einen Platz zu bekommen. Aber Wahrscheinlichkeit ist und bleibt Wahrscheinlichkeit und so kann auch die wahrscheinlichste Situation nicht immer eintreffen. So wie heute.

Die einzige Möglichkeit jetzt noch in den Zug zu kommen, ist ein Open Ticket. Dieses kostet für deutsche Verhältnisse fast nichts, jedoch gibt es auch keine Schlafplätze und keine Sitzplatzreservierung, weshalb viele Leute stehen müssen. Bei einer 16 stündigen Zugfahrt ist das natürlich denkbar ungünstig. Daher schaut uns auch schon der Ticket Verkäufer blöd an und denkt sich: „Was? Zwei weiße Mädels wollen ein Open-Ticket? Die Weißen sind doch immer so reich.“ Doch was bleibt uns schon anderes übrig?

Aber: Es gab einen Plan. Ein Mitarbeiter  von Leonhards Projekt hat Connections zu einem Police Officer. Dieser soll uns „gegen eine kleine Gebühr“ Plätze im Zug reservieren. Als der Zug einfährt, fängt der Police Officer also an, mit dem AC Schaffner zu verhandeln. Die Aussage ist aber klar: Hier gibt es keine Möglichkeit, einen Schlafplatz zu bekommen. Also geht es schnell weiter zum Schaffner der Sleeper Wagons. Auch dieser hat erstmal keinen Platz für uns, meint aber nach ein paar Stationen könnte sich in Wagon sieben eine Möglichkeit auftun. Also rennen wir los zu Wagon sieben. Mittlerweile ist aber schon eine kleine Weile vergangen, seit der Zug eingefahren ist. Also passiert, was irgendwann passieren muss: Der Zug fängt plötzlich an zu rollen. Da bleibt uns nicht mehr viel Zeit zum Überlegen, denn wir müssen unbedingt rein. Also springen erst Leonhard, dann ich und schließlich Johanna in den schon fahrenden Zug. Was jetzt vielleicht ein bisschen klingt wie im Film, hat sich auch genauso angefühlt. Herzrasen pur. Zum Glück bleiben die Türen in den Zügen hier immer offen und werden nicht wie in Deutschland während der Fahrt verriegelt.

Jetzt sind wir also im Zug, ohne Sitzplätze und ohne Police Officer, der noch irgendetwas für uns verhandeln könnte. Also laufen wir durch die Wagons und suchen nach freien Plätzen beziehungsweise einem Schaffner. Als wir dann aber einen Schaffner finden, hat dieser auch erstmal wenig Mitleid mit uns und meint, er könne uns nicht helfen.

Zu unserem Glück, haben wir im letzten Wagon einen sehr netten Inder getroffen. Dieser hat uns angeboten, extra die ganze Nacht neben seiner Frau sitzen zu bleiben, damit wir zu dritt wenigstens ein Bett haben können. Und genau aus diesem Grund mag ich die Inder so sehr: So viele sind so unglaublich hilfsbereit und helfen wirklich wo auch immer sie nur können. Danke an dieser Stelle für alle diese tollen Menschen, die mir im letzten halben Jahr schon so unglaublich viel geholfen haben!

Etwas später am Abend kam dann aber doch noch ein anderer Schaffner und hat uns gegen einen Aufpreis zwei Schlafplätze gegeben. Und so haben Johanna und ich uns ein Bett geteilt, was zwar definitiv eng, aber doch viel besser als nichts war. Und wenigstens ein bisschen schlafen konnten wir in dieser aufregenden Nacht dann doch noch. Trotzdem waren wir froh, nach 16 Stunden Fahrt gegen 12 Uhr mittags endlich in den Bahnhof in Hyderabad einzufahren.

 

 

Für alle, die noch nicht so viele Erfahrungen mit dem indischen Zugfahren gemacht haben, möchte ich hier noch ein paar Dinge erklären.

Wie es in Deutschland eine erste und eine zweite Klasse gibt, gibt es auch hier in Indien verschiedene Klassen.

Die luxuriöseste und teuerste  Klasse ist die First Class. Diese gibt es aber nur in recht wenigen Zügen. Hier haben immer zwei Menschen ein abgetrenntes Abteil.

Die zweitbeste Klasse ist die AC (Aircondition) 2. Hier gibt es eine Klimaanlage, in der Nacht wird Bettwäsche verteilt und Vorhänge trennen jeweils 4 Betten vom Gang ab.

Die nächstbeste Klasse ist AC (Aircondition) 3. Auch hier gibt es, wie der Name schon sagt, eine Klimaanlage. Es wird auch Bettwäsche verteilt, jedoch gibt es keine Vorhänge wie in AC2. Hier reisen viele Inder der oberen Mittelschicht bis Oberschicht.

Die am meist vertretene Klasserist der Sleeper. Der Aufbau der Betten ist ähnlich wie bei AC3, jedoch gibt es keine Klimaanlage. Stattdessen sind die Fenster und Türen meistens offen, wodurch es auch ziemlich laut ist.

Bei allen dieser vier Klassen, kann man nachts schlafen und tagsüber ein Bett zum Sitzen umklappen. Man kann sich nicht wie in Deutschland einfach einen freien Platz suchen, sondern reserviert beim Ticketkauf automatisch einen Sitz bzw. Schlafplatz. Sind keine Plätze mehr frei, kommt man auf die Warteliste. Wenn dann Leute absagen, bekommen sie das meiste Geld zurück und von der Warteliste rückt der nächste nach.

Bei Zügen, die nur tagsüber fahren, gibt es manchmal andere Klassen. Hier ist AC Chair die gehobenere Klasse, die in etwa der ersten Klasse in Deutschland entspricht. Second Sitting entspricht dagegen eher einem Sleeper, in dem man die Bänke nicht zu Betten umklappen kann. Sprich die Fenster und Türen sind offen und man teilt sich Sitzbänke mit anderen Reisenden.

Die unterste Klasse ist das General Sitting. Hier werden unbegrenzt viele Tickets bis kurz vor der Abfahrt verkauft. Es gibt einen extra Wagon ohne Sitzplatzreservierung. Doch es kann oft vorkommen, dass dieser Abteil sehr voll ist und deshalb viele stehen müssen. Das klingt erstmal wie bei einer Rushhour in Deutschland, jedoch muss man bedenken, dass die meisten Inder nicht nur eine Stunde sondern gut 5 bis 20 Stunden Zug fahren.

 

Ich hoffe ich konnte euch einen kleinen Einblick in die manchmal abenteuerliche Welt des Zugfahrens in Indien geben. Aber ehrlich muss ich auch sagen: So viel Abendteuer wie bei dieser Fahrt erlebt man meistens nicht. Im Gegenteil finde ich das Zugfahren hier, sobald man seinen Platz gefunden hat, eigentlich sehr entspannt und genieße es sehr.