Meine Zeit in Indien

Freiwilligendienst im Care Home Nilavaarapatti, Tamil Nadu

Schicksal

Warum? 

Seit einiger Zeit beschäftigt mich diese Frage und die Tatsache keine eindeutige Antwort darauf zu haben, macht es nicht gerade einfacher für mich.
Während ich am Anfang meines Freiwilligendienstes eher auf mich konzentriert war, verlagern sich meine Gedankenschwerpunkte mittlerweile immer stärker auf andere Themen und mir werden Dinge bewusst, die ich zu Beginn nicht gesehen habe. So kristallisierte sich in letzter Zeit immer mehr eine Frage heraus, die mir emotional sehr Nahe geht.
Womit haben die Jungs ihr Schicksal verdient und womit ich meines? Warum sind die Jungs, die ich so liebe, so krank?
Warum haben sie niemals die Möglichkeit ein normales Leben zu führen? Warum mussten sie in ihrer Kindheit schon so viel Leid erleben und so vielem standhalten?
Und womit in aller Welt habe ich mein perfektes Leben verdient?
Ich merke, dass je enger meine eigene Beziehung zu den Kindern wird, desto mehr schließe ich sie in mein Herz und desto näher geht mir ihr Schicksal. Ich kann es nicht mehr akzeptieren, dass es so ist wie es ist, weil es mir einfach so unglaublich ungerecht erscheint. Jedes Einzelne dieser Kinder ist so gut. Sie alle haben es verdient glücklich zu sein und doch scheint es für sie so viel unrealistischer, als es für mich oder dich ist. Ohne Rechtfertigung, ohne Erklärung oder Grund haben sie einfach nicht die selben Möglichkeiten und Chancen, die uns ohne weiteres geschenkt wurden. Wie kann die Welt gerecht sein und wie kann ich an das Gute in dieser Welt glauben, wenn eine so ungerechtfertigte Ungerechtigkeit herrscht.
Da fängt man an, sich zu fragen, womit habe ich eigentlich mein Leben verdient, wenn diese Kinder, die so liebenswert sind, es nicht haben. Selbstzweifel und Verunsicherung machen sich merkbar.
Doch was bringt mir die Selbstachtung und das Bedauern und vor allem, was bringt es den Jungs? Kann ich mit meinem Bedauern etwas bewirken? Ich glaube nicht. Viel mehr nimmt es meine Aufmerksamkeit ein, macht mich nachdenklich und traurig und lässt mich abwesend werden. Das heißt nicht, dass man wegschauen sollte oder die Ungerechtigkeit und die Schicksale, die einem begegnen, ohne weiteres annehmen muss. Ich denke es ist wichtig sich mit solchen Fragen und Themen auseinanderzusetzen, egal wie aussichtslos sie einem auch zu scheinen sind. Ich habe dadurch die Erkenntnis erlangt, dass mein Bedauern und meine Traurigkeit über das Schicksal der Jungs, nur dann etwas bringen, wenn ich mich gleichzeitig nicht für mein eigenes Schicksal verurteile. Wir können genauso wenig etwas dafür, in unser Leben geboren worden zu sein, wie die Jungs etwas dafür können, in ihr Leben geboren worden zu sein. Somit bringt es nichts sich von der Frage „warum?“ einnehmen zu lassen und seine Handlungsfähigkeit zu verlieren. Viel mehr sollten wir uns unseren Eigenwert eingestehen, ehrlich und akzeptierend uns selbst gegenüber sein, um dann unsere Aufmerksamkeit den Jungs widmen zu können. Was bringt es ihnen, wenn wir all unsere Zeit damit verbringen ihr Schicksal zu bedauern, wenn wir auch dazu beitragen können es zu verändern. 
Es ist zwar keine Antwort auf die Frage, wieso wir alle so unterschiedlichen Rahmenbedingungen unterworfen sind, aber es ist eine Erkenntnis , dass es trotz der Ungerechtigkeit auch immer das Gute gibt.

Man sollte dankbar sein, nicht wegschauen und sein Bestes geben um Gutes zu tun.
Mehr kann nicht verlangt werden und mehr können wir nicht geben.

English Class
Don Bosco Tag

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131 Tage Indien

  1. Hi Laura,
    wirklich schöne und so wichtige Gedanken. Die Frage „Warum“ hat mich vor allem kurz nach meiner Rückkehr aus Indien auch sehr beschäftigt. Warum haben wir es so gut? Womit hat jeder sein Schicksal verdient? Doch dann habe ich gelernt, dass wir unser Glück in Deutschland, unsere vielen offenen Türen auch nicht zu schätzen wissen. Ich denke dass die Jungs im Care Home oft glücklicher sind als mancher Deutsche. Ich habe realisiert, dass „Glücklichsein“ ganz und gar nicht vom Lebensstandard abhängt. Ich weiß, es ist so unfair, es sind zwei Länder nur eine Fluglinie entfernt und doch sind es zwei komplett unterschiedliche Welten. So reich und so arm.
    Doch glücklich sein hängt oft von einem selbst ab, egal in welcher Situation..
    Und für mich hat Glücklichsein ganz viel mit Dankbarkeit zu tun. ❣️
    Und denk immer dran.. Viele kleine Dinge können etwas Großes bewirken! Wünsche dir und Emely noch eine super schöne Zeit!

    Für was bist DU heute dankbar?

    • Laura Gnann

      Liebe Johanna,
      Vielen Dank für deinen lieben Kommentar und deine inspirierenden Worte. Ich gebe dir auf jeden Fall Recht was das glücklich sein angeht und finde wir können so viel von den Kindern hier lernen. Auch die kleinen Dinge im Leben wertzuschätzen, dankbar zu sein für jeden Tag und was allein ein Lächeln bewirken kann… ich werde mir deine Worte auf jeden Fall zu Herzen nehmen.
      Wünsche dir ein schönes Wochenende ☺️

  2. Simone H.

    Hallo Laura!
    Oh wieder ein Eintrag von Dir!♥️…..Fast verpasst.
    Ich hoffe es geht euch allen gut! 🌺

    Menschen die ein gutes Herz haben,
    sind wie Kerzen. Sie verbrennen sich
    selbst, nur um für Andere ein Licht zu sein.

    Und das bist Du. Die Kinder können sich glücklich schätzen (und das sind sie) Dich für eine gewisse Zeit an ihrer Seite zu haben.

    Liebe Grüße aus Deutschland
    Simone 🙋‍♀️

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