Ich schaue aus dem Zugfenster. Kühe, Müllhalden und Häuser ziehen vorbei. Irgendwann werden die Häuser kleiner, rücken näher zusammen, bis sie schließlich nur noch ein Meter trennt und sie aus Wellblech und getrocketen Palmzweigen bestehen: Das erste Mal seit ich hier bin, bekomme ich einen Slum zu Gesicht. Denn wo man in Berlin am Rand der Bahngleise Schrebergärten findet, wohnt hier in Chennai der ärmste Teil der Stadtbevölkerung. Die Gleise sind nicht abgesperrt, sodass Kinder auf ihnen spielen und Menschen einfach hindurchspazieren oder darauf ausruhen. Eine ganz andere Welt. Aber die Menschen leben, so weit ich das aus dem Zugfenster heraus beurteilen kann, ganz normal ihr Leben. Unter ganz anderen Umständen, als ich es kenne und ich kann mir kaum vorstellen, wie das Leben dieser Kinder die ich dort spielen sehe, später aussehen wird. Anna-Lu, die ihr Jahr in Mumbai in einem Jungsheim macht, hat einen -wie ich finde- beeindruckenden Artikel über das Leben in den Slums geschrieben, den ich nur empfehlen kann, also wer mal reinschauen möchte: https://blogs.donboscovolunteers.de/annalusjahrinmumbai/2020/03/01/zuhause-im-slum/

Jetzt fahren wir hinaus aus der Stadt, durch weniger bewohnte Gegenden in Richtung Hyderabad, denn dahin geht es für uns gerade zum ersten Mal: mit dem Schlafzug 13 Stunden zum Zwischenseminar, wo wir die anderen Don Bosco Volunteers aus ganz Indien treffen werden. Um mich herum unterhalten sich die Mitreisenden angeregt, ein Verkäufer ruft „Teeea“ durch den Gang, ein anderer verkauft Snacks aus einer Plastikkiste, die er an einer Schnur hinter sich herzieht, denn für Rollwägen wie in deutschen ICEs wäre hier auch wirklich kein Platz.

Nun hab ich endlich Zeit, die spannendsten Erlebnisse der vergangenen Wochen aufzuschreiben. Und weil so viel los wahr, mache ich es diesmal einfach chronologisch, das ist glaub ich am übersichtlichsten:

Pongalooo Pongal!!

Am 13. Januar startete das wichtigste Fest Tamil Nadus: Pongal. Dieses nach einer tamilischen Speise benannte Fest, ist das Erntedankfest hier, bei dem für die Ernte, die Tiere und die Bauern gedankt wird. Die Jungs hatten also 3 Tage frei und wir feierten Pongal mit dem traditionellen Pongalkochen und Zuckerrohr knabbern (das schwarze Zuckerrohr, das man so, ohne vorherige Verarbeitung essen kann, ist genau zur Pongalzeit reif, hmmm).

der kochende Pongal und wir volos

Sobald der Pongal überkocht, rufen alle aus voller Kehle „Pongaloo Pongal“ und es wird kräftig getrommelt.

Neben den Brothers und Fathers sahen wir auch ein paar der Jungs zur Feier des Tages zum ersten mal im Dhoti, der traditionellen Beinbekleidung für Männer.
kann man auch gut mit tanzen

Und dadurch dass wir 3 weiblichen Volos auch noch im Girls Home zum Pongalfeiern eingeladen waren, konnten wir mit Hilfe einiger Mädchen unsere Sarees anziehen, waren dann also auch festlich genug gekleidet:

Don Bosco Day

Ende Januar stand dann der große Don Bosco Tag an. Als Vorbereitung darauf gab es 3 Tage vorher jeden Abend eine Andacht und es wurden Tänze und Sketchs geprobt. Mit den malbegeisterten Jungs malten wir noch einen Riesen-DonBosco, womit auch für die Ästhetik des Bühnenhintergrunds gesorgt war. So stand also einem fröhlichen Feiertag nichts mehr im Wege:

sogar einer unser Brothers hat diesmal das Tanzbein geschwungen

Neben dem Feiertagstrubel (der gesamte Don Bosco Anbu Illam Staff aus ganz Chennai war zu uns ins Heim eingeladen), fröhlichen Jungs und ihren Tanzeinlagen, fand ich die gemeinsame Movie Time am Abend besonders schön. Denn wenn man mit allen 60 Jungs, die teilweise sehr kurze Aufmerksamkeitsspannen haben und nur bei Actionfilmen still dasitzen, in einem Raum sitzt und alle gebannt den Film über das Leben Don Boscos schauen, wobei mir ein kleiner Junge immer wieder versichert, dass das ein „Supermovie“ sei, wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wieviel Don Bosco getan hat. Als einzelner Mann kämpft er gegen alle Widerstände und setzt sein Leben dafür ein, das Leben Jugendlicher besser zu machen, was so inspirierend ist, dass es seine Wellen schlägt und sich heute überall auf der Welt in Don Bosco Einrichtungen, die sich um gute Bildung und eine sichere Kindheit kümmern, auswirkt.

Die Erkenntnis hat mich an dem Abend schon geflasht und mir gezeigt, dass es etwas bringt, sich für Dinge einzusetzen, anstatt immer zu sagen „Was kann ich da als einzelner Mensch schon erreichen“.

Golden Jubilee of Father Rajanna

Zwei Wochen später stand dann schon wieder die nächste große Feier an: unser ältester Father hier im Haus feierte sein 50-Jahre-Salesianer-Jubiläum. Dem gingen natürlich wieder jede Menge Vorbereitung und lange Bastelnächte voraus, aber mit den Jungs zusammen macht das meistens einfach echt Spaß. Mit jeder Menge Gästen und einem sehr schönen Program mit jeder Menge Glückwünschen wurde es dann wieder ein sehr schöner Tag.

der Jubilant und wir 2… nein, auf der Stirn habe ich mich nicht verletzt, der Punkt, der einem hier zur Begrüßung bei Festen oft aufgemalt wird, ist nur im Laufe des Tages etwas verwischt.

Zwischenseminar

Jaa und nach dieser letzten großen Fete machten Jakob und ich uns dann auf den Weg nach Hyderabad. Von der Fahrt habe ich ja oben schon erzählt, aber da schon wieder einige Zeit vestrichen ist, seit ich begonnen hab diesen Blog zu schreiben, kann ich gleich noch weiter erzählen..

Nach einer kalten Nacht im indischen Schlafzug (die Klimaanlage meinte es zu gut mit uns) kamen wir morgens früh in Hyderabad an, um dann für eine Woche mit allen 15 anderen Don Bosco Volunteers aus Indien Erfahrungen auszutauschen, Probleme zu besprechen und Pläne für die 2. Hälfte unserer Zeit in Indien zu schmieden. Mal wieder nur unter Deutschen zu sein und zu sehen, dass viele ähnliche Erfarhungen machen und man gar nicht so allein dasteht, hat in der Woche echt gut getan und zu vielen inspirierenden und motivierenden Gesprächen geführt. Und generell sind Seminare einfach immer cool, also hatten wir eine ziemlich schöne Woche.

Hier noch ein paar Reiseeindrücke aus Hyderabad:

die Seminarcrew bei einem Trip in die Stadt
gar nicht gestellt…
das war dann an einem unserer Urlaubstage bei einem Trip zum Golkonda Fort

Nach 4 Tagen, die wir zum Stadterkunden länger in Hyderabad geblieben sind, ging es dann wieder zurück nach Chennai ins Anbu Illam. Und da wir das erste Mal 10 Tage nicht im Projekt waren -unsere bis jetzt längste Reise- fühlte es sich schon an als würde man nach einem Urlaub nach Hause kommen in die mittlerweile vertraute Umgebung, ins eigene Zimmer. Und zum Teil haben sich die Jungs auch richtig gefreut, dass wir wieder da sind. Da hab ich mich dann auch nochmal mehr gefreut zurück zu sein.

Also, es war viel los hier und Ende Januar, kurz vor dem Don Bosco Day, haben uns auch noch unsere 2 niederländischen Mitvolontärinnen nach dem Ende ihrer 5 Monate Freiwilligendienst verlassen. Ab da nur noch zu zweit gab es dann mehr zu tun und die Tage waren noch gefüllter und intensiver als zuvor mit 4 Volunteers. Unter anderem bin ich zum Beispiel seitdem regelmäßig sonntags im Girls Home, 20 Minuten vom Boys Home entfernt, das hatten bisher immer die 2 Niederländerinnen übernommen. Und ich muss sagen, die Mädels sind ziemlich cool drauf. Mit ein paar Malprojekten haben wir auch schon sehr schöne Kunstwerke (z.B. zum Weltfrauentag, 8.März) auf die Beine gestellt. Neuerdings bin ich die Strecke ins Girls Home und zurück immer mit einem alten Fahrrad aus dem Mädchenheim gefahren, damit ich mir nicht jedes Mal eine Rikshaw suchen muss, die mich mitnimmt. Und ich muss sagen, Fahrrad fahren durch den indischen Linksverkehr ist noch einmal eine ganz neue Erfahrung. Da bleiben die staunenden bzw. belustigten Blicke der Inder über eine Weiße auf einem viel zu kleinen Fahrrad ohne Bremsen und Gangschaltung nicht aus und manchmal fährt eine Rikshaw neben mir extra langsam oder Menschen auf dem Motorrad vor mir drehen sich um, um mich nochmal ganz genau zu mustern..

Jedenfalls hat dieser intensivere Alltag dazu geführt, dass meine Freizeit etwas kürzer geworden ist und ich eher weniger zum Blog schreiben gekommen bin.. Aaber dafür gibt’s heute gleich zwei Einträge, also lest gleich im nächsten weiter.

Bis dann!