unbezahlbar. So wollte ich diesen Blogeintrag eigentlich nennen, um dann zu erzählen, wie das ist…

…wenn ein Junge, der sonst eher verschlossen ist, freudestrahlend auf mich zu kommt und mir stolz erzählt, wie er gerade im Cricket den entscheidenden Ball gecatched hat. Wenn mich meine Schüler eifrig nach der nächsten English Class fragen. Wenn jemand irgendwo im Haus fröhlich einen Tamilsong schmettert. Wenn die Jungs abends nach dem Night Prayer zum Gute-Nacht-Sagen zu uns kommen… Ja, von diesen Momenten, die mich hier glücklich machen, wollte ich erzählen, denn je länger ich hier bin, desto mehr spüre ich die wachsende Beziehung zwischen mir und den Jungs. Und jetzt nach über einem halben Jahr hier im Haus, bekomme ich immer mehr solcher Momente geschenkt.

Und nicht nur die Beziehung zu unseren Jungs wurde in letzter Zeit vertrauter. Generell habe ich mich in den letzten 6 Monaten an vieles gewöhnt und Neues wurde normal und fällt mir kaum mehr auf: Essen mit den Händen, kalt duschen, waschen ohne Waschmaschine, mein hartes, kurzes Bett, dass man hier auf den Straßen gerne einfach mal ein Gespräch anfängt. Bei der Essensverteilung an die Jungs weiß ich mittlerweile genauer, wer viele Chilis in der Soße will und wer lieber gar keine und ich stelle immer öfter fest, dass meine English Class Jungs wirklich Fortschritte machen hehe… Und auch mit den Girls, die ich ja nun auch regelmäßig sehe, wird es immer cooler. Man merkt, ich könnte diese Liste noch ewig weiter schreiben…

Tjaa und dann bekamen wir am 17. März die Nachricht, dass das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das unseren Freiwilligendienst staatlicherseits finanziell stark unterstützt) aufgrund der ungewissen Corona-Entwicklung weltweit beschlossen hat, alle Freiwilligen zurück nach Deutschland zu holen. Boom.

Das hat erstmal gesessen.

unfassbarkeit macht sich breit. Es kann doch nicht sein, dass wir einfach so ohne jede Vorbereitung aus unserem Leben hier gerissen werden. Es muss doch eine Möglichkeit geben, hierzubleiben. Da zerstört dieser Virus, von dem man in Chennai bisher kaum etwas mitbekommen hat, von einem Tag auf den anderen mein Leben in Indien, den Traum von einem Jahr Ausland, alle unsere Pläne für die 2. Hälfte, in die wir im Februar nach dem Zwischenseminar motiviert gestartet sind und was am meisten reinhaut: meine weiteren 5 Monate mit den Jungs, die ich mittlerweile so ins Herz geschlossen habe. Wie sehr, das spüre ich jetzt nochmal so richtig, wo im Raum steht, alle plötzlich auf unbestimmte Zeit verlassen zu müssen und ich Angst habe, dass wir überstürzt los müssen und nicht mehr allen Tschüss sagen können, denn da Anfang der Woche auch in Chennai corona-präventiv die Schulen geschlossen wurden, durften über die Hälfte der Jungs für die „corona Holidays“ zu ihren Familien und sind also seitdem nicht mehr bei uns im Heim. Noch hoffe ich, dass wir unseren Rückflug so lang es geht herauszögern können. Doch dann kommt am 19. März abends der Anruf, dass nun doch alles schneller gehen muss als gedacht, weil Indien schneller als erwartet die Grenzen dicht machen will und immer mehr Flüge gestrichen werden. Uns wird mitgeteilt, dass wir schon am frühen Freitagabend (20.März) einen Flug nach Mumbai erwischen müssen. Das bedeutet: weniger als 24 Stunden zum Packen und Verabschieden.

Meine Emotionen, die angesichts der ganzen Ungewissheit eh schon blank lagen, wurden dadurch nochmal kräftig durcheinander gewirbelt und dann noch irgendwie rational zu entscheiden was im Koffer mit zurück muss und was nicht, war schon eine Challenge, die dazu geführt hat, dass ich in der Nacht, plötzlich meiner letzten Nacht in Chennai, eher wenig geschlafen habe.

Am nächsten Morgen erfuhren dann die Jungs, die im Heim waren, dass wir am Abend fliegen würden und es gab ein kleines, spontanes Abschiedsprogram mit lieben Worten von ein paar Jungs, den Brothers und unserem Director, Father Leo. Das war wirklich schön, dass das so spontan noch für uns auf die Beine gestellt wurde, aber ich konnte während des ganzen Programs nicht richtig realisieren, dass das wirklich für uns ist. Das wir jetzt wirklich diejenigen sind, denen Danke gesagt und Alles Gute gewünscht wird. Dafür war das alles immer noch zu plötzlich.

Naja und nach letzten Packaktionen und einem letzten Cricketmatch, stiegen wir dann ins Auto zum Flughafen. Die Jungs gaben uns noch ein paar Ratschläge, wie wir uns in dangerous Germany gegen Corona schützen sollten oder fragten nochmal nach, ob wir denn jetzt wirklich fliegen und wann wir zurück kommen. Ja, und dann machten wir uns auf den Weg, ein letztes Mal durch den indischen Verkehr.

Als ich im Januar das erste Mal von diesem neuartigen Virus in China gehört habe, hätte ich niemals gedacht, dass er so einen großen Einfluss auf mein eigenes Leben, ja eigentlich auf das Leben von jedem von uns haben kann. Schon echt crazy wie schnell das alles geht. Wenn man sich z.B. die aktuelle Corona Lage in Indien anschaut, kann ich die Entscheidung uns zurückzuholen auch immer mehr verstehen. (Wer interessiert ist: https://www.tagesschau.de/ausland/indien-corona-infizierte-101.html ) Von solchen drastischen Maßnahmen haben wir vor einer Woche noch gar nichts mitbekommen.

Ja, jetzt bin ich schon seit einer Woche wieder in Berlin und gewöhne mich mehr und mehr an das deutsche Corona-Leben. Natürlich schwingt, wenn ich an Indien denke, Wehmut mit, und eigentlich will ich noch gar nicht wieder hier sein, aber ich versuche die Situation immer mehr zu akzeptieren und bin auch extrem dankbar, dass ich diese 7 Monate mit so tollen Jungs in genau dieser Einrichtung verleben durfte. Auch wenn es mal schwierige Tage gab und auf jeden Fall nicht immer alles rosig war, habe ich mich dort wirklich zu Hause gefühlt, was auch an unseren coolen Brothers, Fathers und Mitarbeitern gelegen hat.

Ich hoffe einfach, dass ich, sobald Corona vorbei ist, wann auch immer das sein wird, zurück nach Indien und die 2. Hälfte irgendwie noch nachholen kann…

Liebe Grüße und alles Gute in dieser ungewissen Zeit,

Clara