clara in chennai

ein Jahr Indiaa

5 months later

Heute ist der 19. August, der Tag an dem ich ohne Corona zurück gekommen wäre. Anlässlich dessen also heute ein finaler Blogeintrag..

5 Monate zu früh bin ich wieder in Deutschland gelandet. Dass damit nicht alles umsonst war, ist mir absolut klar geworden. Also, was ist geblieben? Erinnerungen, Freunde, Fotos, Blogeinträge, aber je länger ich wieder in Berlin bin, desto bewusster wird mir, wieviel ich tatsächlich nachhaltig aus der Zeit mitgenommen habe. Und davon schreib ich heute ein bisschen…


Meine Brille ist in Indien gebrochen. Wurde geklebt, wieder gebrochen.. Wie das halt beim Fußball und Cricket so passieren kann. Manchmal saß sie also schief oder war gar nicht da, dreckig oder ganz klar.

Aber nicht nur von der echten Brille hing die Wahrnehmung meiner Zeit in Indien ab, auch meine innere Brille, meine auf Stimmungen, Werten, persönlichen Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken, Aufmerksamkeit… beruhende Perspektive hat entscheidend dazu beigetragen, wie ich Situationen wahrgenommen habe. Und das will ich hier noch einmal betonen: Alles was ich erzähle, auf meinem Blog schreibe und geschrieben habe, ist ausgehend von meiner subjektiven Wahrnehmung entstanden und kein „Standard“ o.ä. für Indien. Das ist wichtig. Denn klar entstehen durch die Texte hier auf dem Blog Vorstellungen und Bilder in den Köpfen von jedem Leser und ich erzähle liebend gerne von meiner Zeit dort, aber möchte hier noch einmal ganz klar hervorheben, dass ich kein Experte für Indien bin oder Erlebnisse, von denen ich erzähle, „indisch“ sind. Dass man solche Informationen im Kopf schnell zu einem Stereotyp zusammensetzt und eine undifferenzierte Sichtweise über so etwas Vielfältiges wie ein Land entwickelt, passiert schnell, das merke ich bei mir selbst auch. Aber es ist wichtig sich darüber bewusst und offen für neue, vielleicht ganz andere Informationen zu sein, ohne Menschen kategorisch in Schubladen zu schieben und in „bei uns ist das so“ und „bei den Anderen ist das so“ einzuteilen.

Denn das ist eigentlich die wichtigste Lernerfahrung, die ich in meiner Zeit in Indien gemacht habe: Ich habe gelernt, dass Menschen überall gleich sind. Das klingt etwas banal, aber ich habe mich selbst vor meiner Abreise ertappt und werde auch manchmal gefragt, wie die Menschen in Indien wohl so ticken. Und ja, es gibt, so fand ich, teilweise eine andere Mentalität als in Berlin (z.B. dass man auf den Straßen auch wenn man sich nicht kennt, ohne zögern einfach mal ein Gespräch anfängt), aber letztendlich sind natürlich nicht alle Bewohner*innen Chennais so und ich konnte für mich feststellen, dass es genau solche Charaktere wie in meiner bisherigen Welt, überall gibt, unabhängig von Herkunft und Kultur. Jeder Mensch ist individuell und es macht wirklich gar keinen Unterschied wie man aussieht, welcher Religion man angehört etc.. Menschen nach oberflächlichen Merkmalen zu kategorisieren und homogenisieren ist falsch, aber passiert viel zu häufig. Strukturell, institutionell und unterbewusst oder bewusst im Alltag von jedem von uns.

Besonders sensibilisiert für das Thema Rassismus und Vorurteile hat mich die Erfahrung als „die Weiße“ häufig und extrem selbstverständlich als jemand Außergewöhnliches, fast schon Höhergestelles gesehen zu werden. Leute wollten mir die Hand schütteln, sich mit mir unterhalten, Selfies machen, mir wurde als Einzige ein Stuhl angeboten, während alle anderen auf dem Boden saßen… Durch diese unverdiente, privilegierte Behandlung kam ich das erste Mal in meinem Leben wirklich bewusst mit dieser Zuschreiben von Eigenschaften und Homogenisierung aufgrund der äußerlichen Erscheinung in Kontakt. Das war kein Rassismus, aber dieses Gefühl, aufgrund seines Aussehens sofort eingeordnet zu werden, konnte ich zum ersten Mal wirklich nachvollziehen.

Dass das nicht so sein sollte und wie wichtig es ist, sich der globalen Problematik des Rassismus auseinanderzusetzen, ist mir nach meiner Zeit in Indien bewusst geworden. Denn nur durch das Bewusstsein darüber kann sich auch etwas verändern.

Ein sehr guter Artikel zum Thema Privilegien: https://perspective-daily.de/article/1303/probiere

Ein Hörbuch, das ich sehr empfehlen kann, um die Bedeutung von Rassismus und die Perspektive deutscher BIPoC noch besser nachempfinden zu können: https://open.spotify.com/album/0FhTAyG7izSGUi7x8xaPgm

Katha war in Mansa (Sambia) und hat auch einen Blogeintrag über dieses Thema geschrieben, der nochmal deutlich macht, wie absolut nicht veraltet die Debatte über Rassismus ist: https://blogs.donboscovolunteers.de/katharinainsambia/2020/07/21/lets-talk-about-privileges/


Das ist eines der Themen, die mich momentan stärker beschäftigen und ich hoffe, ich konnte euch -falls es nicht eh schon vorhanden war- mit etwas Interesse dafür anstecken 😉


Jetzt nun aber noch ein riesen Dankeschön an alle, die in dieser intensiven Zeit an mich gedacht und meine Erzählungen hier verfolgt haben, durch euer Interesse hatte ich das Gefühl, einen Teil meiner Erfahrung mit euch zu teilen und Indien nicht mehr ganz so fremd und entfernt erscheinen zu lassen.

Vielen, vielen Dank auch an alle Spender*innen! Das Spendenkonto hat den Mindestbetrag eindeutig überschritten und die Freiwilligendienste und Don Bosco somit erfolgreich unterstützt.

Ein letztes Mal also: Danke für’s Lesen und liebe Grüße,

Clara

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Unfassbar

  1. I loved your story, Clara! 😍👏👏 I’m glad I could follow a little bit of your time in India. I’m also sure you are a unique and very special person. 🥰Kisses from your Brazilian friend, Theresa😘

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