Wie ein Wimmelbild

Das Wort „Wimmelbild“ beschreibt meiner Meinung nach ganz gut, wie man sich das Leben hier in der Stadt Cotonou vorstellen kann. Dieser Eindruck entsteht z.B. durch die wild befahrenen und hauptsächlich von Motorrädern genutzten Straßen. Aber auch durch die vielen Schulkinder, denen man hier an jeder Straßenecke auf ihrem Weg zur Schule oder zurück heim begegnet. Die braune Schuluniform, wie ihr sie oben auf dem Bild sehen könnt, ist Pflicht. Ebenfalls ein Grund für die Beschreibung Wimmelbild ist die Art hier einzukaufen. Auf der einen Seite gibt es da natürlich die Märkte, für die das Wort Wimmelbild doch eine glatte Untertreibung wäre. Aber auch sonst findet man am Wegesrand überall kleine Lädchen und Stände, bei denen u.a. Früchte, Kekse und Brot verkauft werden. Generell habe ich das Gefühl, dass sich das Leben hier sehr viel auf der Straße abspielt und Privatsphäre nicht so groß geschrieben wird. Und dabei wirkt es oft auf mich so, als ob alle Beniner hier untereinander alte Bekannte wären. Ist natürlich Quatsch, aber Geld wechseln, übersetzten, den Weg erklären usw. sind hier alles Selbstverständlichkeiten. Fast alle Beniner wirken super offen und meist fröhlich, wodurch der Umgang mit fremden Leuten gleich deutlich weniger distanziert wirkt, als in Deutschland.

Außerdem sind Babys und Kleinkinder hier in der Gesellschaft viel präsenter. Liegt auf der einen Seite wohl daran, dass die Leute hier deutlich mehr Kinder bekommen. Auf der anderen, dass die Kinder einfach fast immer bei dem was die Eltern machen dabei sind. Ständig bekommen Valerie und ich im Vorbeigehen, meist von Kindern, einen Sprechgesang zugerufen, in den wir mittlerweile immer mit einsteigen: „Yovo, yovo bonsoir. Ça va bien, merci!“ (~Weiße weiße, guten Tag. Mir geht´s gut, danke!) Dass wir eine andere Hautfarbe haben, wird hier ständig auf z.B. solche Art und Weisen betont. Anfangs hat es mich etwas verwirrt, v.a. weil mir dieses Thema in Deutschland oft fast als Tabuthema erschien, aus der Angst Falsches zu sagen. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt hier eben ein bisschen aufzufallen, auch weil die Menschen das „Yovo“ meistens ganz liebevoll meinen. In einigen Situationen komme ich mir aber doch ein bisschen dumm vor als Yovo. Situationen, die für die Beniner absolute Normalitäten und für mich mit meinem europäischen Backround Neuland darstellen. Sei´s wenn ich merke, dass ich preislich über´s Ohr gehauen wurde, oder den Wickelrock falsch gebunden habe (Mittlerweile weiß ich einigermaßen wie´s geht, ist eine eigene Kunst für sich!)

Eine Sache, in der die Beniner sehr gut sind ist Smalltalk. Und damit meine ich nicht, dass der Smalltalk den Deeptalk ersetzt, nein, der Smalltalk ersetzt die Zeit, in der wir Deutschen uns ignorieren oder uns mit einem einfachen „Hallo“ zufriedengeben. Weil das eigentlich keine allzu komplexe Sache ist, gibt es nun explizit für euch eine kleine Runde „Beninisch für Anfänger“:

Jedes Mal wenn du eine Person siehst, die du kennst, oft aber auch wenn du sie nicht kennst, grüßt du! Das ist bei uns, da wir auf einem großen Gelände leben, praktisch der Dauerfall. Von morgens bis mittags sagt man „Bonjour“ (~Guten Tag), von mittags bis abends „Bonsoir“ (~Guten Abend). Weil ich es tatsächlich meistens ziemlich schwer finde mich in dem Bruchteil einer Sekunde daran zu erinnern, welche Tageszeit es gerade ist, bekommt man von mir öfters mal ein „Bonjoir“ zu hören. Und nun gibt es ein paar Szenarien, wie die Konversation weitergeführt werden kann:

  1. „Ça va?“ (~Wie geht´s?) Eine feste Regel ist hierbei, dass man immer mit „Ça va bien, merci“ (~Es geht gut, danke) antwortet. Dabei ist es egal wie es einem wirklich geht, da es sowieso mehr eine Höflichkeitsfrage, als wirkliches Interesse ist.
  2. „Tu es là?“ (~Du bist da?) Jap, die Frage macht keinen Sinn. Ich habe einfach aufgehört genauer darüber nachzudenken, sondern zu lächeln und mit „oui“ zu antworten. Ebenso lustig geht es mit Frage drei weiter:
  3. „Tu as fais un peu?“ (~Hast du ein bisschen was gemacht?) Auch hierbei handelt es sich um keine Frage, wo eine ausführliche Antwort erwartet wird, sondern ein „Oui“ die einzig richtige Antwort ist.
  4. „Ce matin?“/“Ce jour?“ (~Dieser Morgen?/Dieser Tag?) Ja was ist denn mit diesem Morgen/Tag?, habe ich mich anfangs immer gefragt, bis ich verstanden habe, dass ich einfach „C´était bien“ (~ War gut) darauf antworten muss.

Valerie und ich haben das hier mal ein bisschen überzogen dargestellt:

Auf der einen Seite sind die Floskeln natürlich nett und ich finde es schön, dass man auf diese Weise immer einen netten kleinen Moment mit wem auch immer teilt. Auf der anderen Seite erweckt es den Eindruck, als müsse man immer glücklich sein und alles super laufen. Naja oder zumindest, selbst wenn es mal nicht so gut läuft, das „Alles ist super“-Bild zu wahren, da die Antwort „gut“ ja schon im Vorhinein feststeht. Eine weitere Art der Floskel besteht übrigens daraus, immer das zu sagen, was die andere Person gerade tut und davor ein „Bon“ (~Gut) zu hängen. Die häufigsten „Bons“ sind „Guten Appetit“, „Gutes Arbeiten“ und „Gutes Ankommen“. Die zwei lustigsten Bons die ich bisher gehört habe waren wohl „Gutes Sitzen“ und „Gute Verdauung“ 😉

Eine andere Art, bei der man die gute Laune der Beniner zum Spüren bekommt, ist das Tanzen! Gerade in dem Moment, wo ich ich diese Zeilen schreibe höre ich schon wieder eine Trommel und den Gesang einiger Mädchen, vermutlich aus dem Foyer. Und auch wenn ich sie nicht sehe, kann ich euch schwören, dass sie gerade das Tanzbein schwingen. Valerie und ich bekommen auch regelmäßig unsere Tanzstunden. In der Baracke, begleitet durch eine Trommel und Gesänge oder der großen Musikbox vor Ort. In unserem Stammrestaurant mit der Köchin und jeglichen anderen Bekannten des Restaurants. Jeden Freitagabend im Foyer. Und neulich sogar auf einer Beerdigung, die wir besucht haben. Es ist wirklich unfassbar, wie hier jeder, egal welchen Alters oder Geschlechts die Hüfte schwingen und die Schultern zittern lassen kann. Ich bin da noch nicht ganz im Game drinnen und deswegen immer umso dankbarer, dass die Beniner mich jedes Mal hartnäckig zum Tanzen auffordern und mir fleißig Schritte zeigen. Tja und seit neuestem twerke ich sogar. Das ist hier nämlich ein ganz normaler Tanzmove. Ok, ein bisschen frech vielleicht, aber jedenfalls nicht ganz so sexuell wie in Deutschland. Und bei der Stelle „Doyewu“ des Songs „Cough“, der hier gerade überall ziemlich durch die Decke geht, ist es absolute Pflicht zu twerken. Da ist es das größere Verbrechen nicht mitzumachen, als dass das Twerken komisch aussieht 😉

So und zu guter Letzt möchte ich euch gerne noch drei Alltagserleichterungen der Leute hier vorstellen, die sich, warum auch immer, in Deutschland nicht durchsetzen konnten:

  1. Mit der Hand essen: Stellt euch folgende Situation einmal vor: Ihr sitzt mit eurer Familie am Tisch und plötzlich fängt eine Person an sich den Reis mit der Hand in den Mund zu schaufeln. „Du kleines Ferkelchen!“, würde man wahrscheinlich sagen. Aber warum eigentlich? Ganz ehrlich, ob man im nachhinein das Besteck oder die Hände wäscht, ist doch auch irgendwie gleich. Hier zumindest ist mit den Händen essen komplett normal: Die Schwestern bevorzugen zwar das Besteck, aber im Foyer und dem Maison de l´Espérance z.B. wird ausschließlich mit der Hand gegessen, was, wenn man es ein bisschen schlau anstellt, auch gar keine Sauerei sein muss. Ich auf jeden Fall ziehe die Hand, wenn es sich anbietet, eindeutig dem Besteck vor.
  2. Auf dem Kopf tragen: Sieht man jemals Leute in Deutschland Sachen auf dem Kopf tragen? Eigentlich nie, oder? Ich glaube ein Grund ist, dass die Beniner generell in ihrem alltäglichen Leben mehr körperlich arbeiten, wie zum Beispiel Sachen zu tragen. Und v.a. sieht man sie mit Ware auf dem Kopf herumlaufen, die sie verkaufen wollen. Weil das Kopftragen sehr in der Gesellschaft verankert ist, sind die meisten Gefäße auch schon darauf ausgelegt. Aber warum wir das in Deutschland so gar nicht machen, obwohl das Gewicht dann offensichtlich gleichmäßiger verteilt ist, bleibt mir ein Rätsel.
  3. Kinder auf den Rücken binden: Ok, Babys sieht man wiegesagt in Deutschland eh verhältnismäßig selten. Und Babys, die auf den Rücken gebunden sind, sind erst recht eine absolute Rarität. Im Gegensatz zu hier: Links, rechts, vorne, hinten… überall auf unserem Wimmelbild Benin findet man Frauen, die ihre Schützlinge auf genau diese Weise bei sich am Körper tragen. Es scheint, als sei das auch der einzige Weg, wie Babys hier transportiert werden. Maxi-Cosi, Kinderwagen, Kraxen oder Babys am Bauch habe ich zumindest noch nie gesehen. Auch wir machen das öfters mit den Kinder des Maison du Soleils, wenn sie scheinbar grundlos weinen oder einschlafen sollen. Und es wirkt Wunder. Einfach das Kind mit einem normalen Tuch und einer nicht allzu komplizierten Technik auf den Rücken binden und alle Sorgen sind wie verschwunden. Die Kinder genießen diese Trageweise regelrecht, und ich auch 🙂

So viel nun zu den Beninern, ihren Gewohnheiten und dem Alltagsleben! In vielen Punkten durchaus ein bisschen unterschiedlich zu unserem deutschen Leben und teils sehr inspirierend!

Ganz liebe Grüße und schönen Advent! Teresa

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Ein weihnachtlicher Blogeintrag

  1. Elisabeth

    Liebe Teresa, wir sollten die Alltags-Erleichterungen zukünftig zumindest bei Familienfeiern einführen! Das wird eine Schau 😀! Hab weiterhin eine gute Adventszeit🕯🕯

  2. Anna Gilg

    Hi Teti! Das is definitiv einer meiner Lieblingsblogs bisher😁 VLG x

  3. Ulla

    Hallo Teresa, ich lese auch immer wieder gerne rein in deine lebenigen interessanten Artikel! Viele Grüße
    Ulla Fricke (Don Bosco Volunteers Bonn)

    P.s. ich habe meine Kinder lange im Tuch getragen, aber tatsächlich immer am Bauch oder auf der Hüfte. Später dann in der Maduca. Zumindest hier in der Stadt (Köln) ist das ziemlich weit verbreitet

    • Teresa Stefenelli

      Danke, das freut mich! Ja ich bin überzeugt, dass die körperliche Nähe den Kindern mit am Besten tut 🙂

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