Zurück in Deutschland – Back Home?

Das Noticeboard für unsere Verabschiedung…

Hallo zusammen,

Unglaublich aber wahr, denn ich vermute, dass dies vorerst mein letzter Blogartikel werden wird. Ein Jahr ist nun vorbei und für mich ist die Zeit wahnsinnig schnell verflogen. Natürlich gab es zwischen drin mal ein paar Durststrecken, aber ich finde das sollte auch dazugehören, weil sonst wäre ich in diesem Jahr nicht so gewachsen, wie ich jetzt gewachsen bin. In einem Jahr hat man genug Zeit zu lernen: Zu lernen über die andere Kultur, sich selbst und wie man mit Schwierigkeiten im Alltag umgeht. Zum Beispiel wenn es darum geht mit Kommunikationsschwierigkeiten zurecht zu kommen, und dabei geht es nicht um die sprachliche Kommunikation, sondern um die Kommunikation auf zwischenmenschlicher Ebene oder immer wieder auch seine eigene Persönlichkeit einzuschränken, weil man in einer anderen Kultur nicht immer so sein kann wie man eigentlich ist.

Jetzt denken vielleicht ein paar von euch, dass sich das ja doch eher negativ anhört und das es bestimmt schwer war in dem Jahr. Das war es natürlich manchmal auch, aber ich bin froh um diese Erfahrungen, weil ich viel von ihnen lernen konnte. Außerdem überwiegen die positiven Erfahrungen ganz eindeutig und ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit bekommen habe ein zweites Zuhause zu finden:

 

Ich möchte jetzt hier einen kleinen Auszug aus meinem Tagebuch veröffentlichen, den ich ca. 3 Wochen vor meiner Ausreise geschrieben habe. Dieser erzählt von der letzten Zeit, Abschiedsgefühlen und davon wofür ich dankbar bin.

Abschied

Und irgendwie sind die Gefühle in mir so durcheinander: Da ist Traurigkeit, Unsicherheit, Freude und Angst. In weniger als 4 Wochen werde ich Indien verlassen und mein Abenteuer ist schon wieder vorbei. Ich habe Angst den Ort, den ich mittlerweile mein Zuhause nennen kann hinter mir zu lassen und damit auch die ganzen lieben Menschen, die ich kennengelernt habe: Unsere Chaos Media Batch, die schreienden winkenden Crea School Kinder, die manchmal nicht ganz so friedliebenden Waisenhauskinder und auch die neuen Schüler, die irgendwie ganz anders, aber auch alle so liebenswert sind.

Ohne es wirklich zu glauben und es sich richtig vorstellen zu können, bin ich hineingerutscht in die indische Welt: Die mich immer wieder berührt, fasziniert, entsetzt, mich zur Verzweiflung oder einfach zum Lachen bringt. Es berührten mich die Geschichten der Waisenhauskinder. Mich fasziniert immer noch das Treiben auf den indischen Straßen und das irgendwie doch alles immer wieder funktioniert. Sodass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte, dass doch noch alles gut wird. Entsetzen tut mich das Denken von vielen Leuten hier, zum Beispiel dass viele Leute Hitler mögen… Und auch keiner so richtig verstehen will, wieso das schlimm war was da damals passiert ist. Zur Verzweiflung bringt mich immer wieder, dass ich hier als Ausländer und als Mädchen, oft nicht wirklich ernst genommen werde und ich oft das Gefühl habe, dass meine Meinung gar nichts zählt. Zum Lachen bringen mich immer wieder die Verhaltensweisen der indischen Jungs, wenn sie mir romantische Liebeslieder übersetzen oder den Mädels hinterher schauen.

In diesem Jahr habe ich soviel gelernt, bin soviel gewachsen und stärker geworden. Habe ich meine Weltsicht einmal auf den Kopf gestellt und wieder neu aufgebaut. Wie ich zum Beispiel am Anfang gedacht habe: „ Die armen Jungs müssen alle zusammen in einem Raum auf Strohmatten schlafen“ und jetzt frage ich mich selber wie es sich wohl anfühlen wird wieder in einem Bett zu schlafen.

 

Ja naja, dass war 4 Wochen vor der Ausreise und ich finde man merkt ab und zu schon meine Zerissenheit zwischen der Freude auf Deutschland und Indien, den Ort den ich schon irgendwie als mein zweites Zuhause bezeichnen würde. Jetzt wo ich wieder hier bin: Bin ich sehr glücklich meine Familie und meine Freunde wieder um mich zu haben, aber trotzdem vermisse ich Indien: meine Freunde, die Jugendlichen und Kinder, meinen Alltag als Voluntär und die manchmal schwer nachvollziehbare indische Kultur. Ich habe ja oben geschrieben:          „Ich habe meine Weltsicht einmal auf den Kopf gestellt und wieder neu aufgebaut.“ Und damit habe ich auch jetzt immer noch Schwierigkeiten, weil ich diese Weltsicht die ich mir neu aufgebaut habe, jetzt in Einklang bringen muss mit meinem Leben hier sind es viele Themen mit denen ich mich zur Zeit auseinander setze:

Konsumgesellschaft ↔ einfache Lebensweise

traditionelles Kulturdenken ↔ Globalisierung

Armut ↔ Wohlstand

egozentrischem Denken ↔ humaner Selbstlosigkeit

konservative Einstellungen überdenken ↔ konservative Einstellungen behalten

Gemeinschaftsgefühl ↔ Selbstfixiertheit

Zufriedenheit ↔ Das-Immer-Mehr-Haben-Wollen

( Ihr könnt ja mal selber überlegen, was ihr auf welche Seite tun würdet Indien oder Deutschland oder ob man manches vielleicht auch gar nicht so zuordnen kann…

Bitte gerne Kommentare unten!! )

All diese Gedanken und Ansichten habe ich versucht in den letzten Wochen für mich zu ordnen. Und auch auf unserem Rückkehrerseminar in Benediktbeuern haben wir zusammen nach Kompromissen gesucht, wie man diese zwei Welten hier in Deutschland miteinander vereinen kann.

Ich weiß jetzt, dass das was ich in Indien erlebt habe, was ich für Erfahrungen gesammelt habe, was ich gelernt und gesehen habe, dass das alles immer ein Teil von mir sein wird und ich diesen nicht verleugnen kann und das auch gar nicht will. Und dass ich mir überlegen muss wie ich, dass was ich in Indien gelernt habe, und jetzt hier in Deutschland vermisse, hierher mitbringen kann…

Abschließend möchte ich mich bedanken bei jedem der mich in diesem Jahr finanziell, als auch in Gedanken oder menschlich unterstützt haben. Ohne euch alle wäre dieses Jahr für mich so nicht möglich gewesen! Romba nandri! Vielen Dank!

Bis bald und passt auf euch auf! Patarama poitu vanga! Eure Lea <3

P.S: Kurz zu dem, was ich jetzt mache: Ich werde in ein paar Tagen nach Nürnberg ziehen, um dort Soziale Arbeit zu studieren (ganz nach dem Volunteer- Klischee :D), weil ich später gerne mit Flüchtlingen zusammen arbeiten will. Wer auch immer mal in der Nähe ist darf gerne vorbeikommen! 😉

 

Zu guter Letzt habe ich noch eine kleine Geschichte zum Nachdenken …

Eines Tages nahm ein Mann seinen Sohn mit in ländliches Gebiet, um ihm zu zeigen, wie arme Leute leben. Vater und Sohn verbrachten einen Tag und eine Nacht auf einer Farm einer sehr armen Familie.

Als sie wieder zurückkehrten, fragte der Vater seinen Sohn: "Wie war dieser Ausflug?"

"Sehr interessant!" antwortete der Sohn.

"Und hast du gesehen, wie arm Menschen sein können?"

"Oh ja, Vater, das habe ich gesehen."

"Was hast du also heute gelernt?" fragte der Vater.

Und der Sohn antwortete: "Ich habe gesehen, dass wir einen Hund haben und die Leute auf der Farm haben vier. Wir haben einen Swimmingpool, der bis zur Mitte unseres Gartens reicht, und sie haben einen See, der gar nicht mehr aufhört. Wir haben Mauern um unser Grundstück, die uns beschützen sollen, sie haben Freunde, die sie beschützen. Wir haben prächtige Lampen in unserem Garten und sie haben die Sterne. Unsere Terrasse reicht bis zum Vorgarten und sie haben den ganzen Horizont."
Der Vater war sprachlos.

Und der Sohn fügte noch hinzu: "Danke Vater, dass du mir gezeigt hast, wie arm wir sind."

Vorheriger Beitrag

Was so passiert ist…Abschiede, Reisen und Neuanfang?

1 Kommentar

  1. Sabine

    Liebe Lea,
    ich finde es toll, dass Du Dich getraut hast, für ein ganzes Jahr in eine uns fremde Welt einzutauchen, Dir eine Welt zu eigen zu machen, die wir so gar nicht verstehen und in die wir uns nicht hinein versetzen können. In unserer Wegwerf-Gesellschaft, in der wir oberflächlich mit Gefühlen und Ressourcen umgehen lebt es sich zumeist bequem und sicher. Du hast Dir nun die Kehrseite angesehen und lieben gelernt. Ich wünsche Dir, dass Du noch viele schöne Erlebnisse zu unvergessliche Erinnerungen machen kannst . Viel Erfolg bei Deinem Studium und bei allem anderen natürlich auch.
    Ich habe all Deine Blogs sehr emotional berührt gelesen, und es war schön, aus der Ferne ein bisschen auch dabei gewesen zu sein.
    Alles alles Liebe wünscht Dir Sabine

Kommentare sind geschlossen.

Läuft mit WordPress & Theme erstellt von Anders Norén