-Pari? -Paro! Kein Fasching sondern Generalstreik

Wer die letzten Wochen Nachrichten aus Bolivien mitbekommen hat, kommt um ein Thema nicht herum: den Generalstreik in Santa Cruz. Das bedeutet, dass die Einwohner die völlige Blockade der Stadt (und somit des wirtschaftlichen Zentrums des Landes) als Druckmittel gegen die Regierung verwenden, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Sie wollen den für später geplanten Zensus schon 2023 durchführen, um mit einer offiziell bestätigten höheren Zahl von Einwohnern auch ihre Anzahl an Abgeordneten und damit ihren Einfluss im Parlament noch vor den nächsten Wahlen berechtigterweise nach oben zu korrigieren.

Konkret bedeutet dies nun seit beinahe vier Wochen vor allem Straßenblockaden (somit kaum Verkehr und eingeschränkte Fortbewegungsmöglichkeiten), meistens geschlossene Geschäfte und Märkte, aber auch anfangs abends gemütliches Zusammensitzen, Karten- oder Ballspielen, Tanzen und das Leben feiern – mitten auf der Straße oder dem Kreisverkehr.

Mittlerweile ist die Situation aber deutlich angespannter: Die Stimmung ist oft aufgeladen, es kam zu Toten und Verletzten und die Ladenbesitzer leiden unter den geringen Einnahmen. Aus dem Spaß im Protest ist Ernst geworden.

Veränderungen im Arbeitsleben…

Doch wie ändert der Streik unseren Alltag? Bei unserer Arbeit im Hogar Don Bosco bedeutet das erstmal mehr Verantwortung für uns Volontäre: Da einige Mitarbeiter keine Möglichkeit mehr haben zur Arbeit zu kommen, waren wir teilweise komplett alleine mit unserer jeweiligen Gruppe, wenn es bspw. abends ans Duschen ging, was zwar erstmal leicht überfordernd, dann aber doch auch ziemlich spannend war.

Unter der Woche fühlen dann nicht nur wir, sondern auch unsere Jungs sich manchmal in den Corona-Lockdown zurückversetzt: Seit bald 35 Tagen findet komplettes Homeschooling statt, was im Hogar bedeutet, zu viert vor einem Tablet zu sitzen und zu versuchen, beim lautstarken Online-Flötenunterricht nebenan, den Lehrer zu verstehen. Anders als in Deutschland waren vor allem der Sportunterricht (es sieht super lustig aus, wenn 30 Kinder vor ihren Kameras Hampelmänner machen) und die Examen am Ende des Schuljahrs (die Sommerferien starten allesamt diese Woche) am Computer. Dabei ließen sich die Jungs selbstverständlich fleißig von ihren Nebensitzern inspirieren.

Am Wochenende waren nun erstmals Ausflüge mit den Kindern zur Fuß durch die Stadt möglich. Es ging in verschiedenste Stadtparks, wo fleißig Obs(ch)t von den Bäumen geerntet und auf Dinosaurier geklettert wurde. Vorletzten Sonntag besuchten wir das Stadtzentrum mit der schönen Kathedrale – für viele Kinder das allererste Mal im Leben. Dort wurden Tauben (sogar auf dem eigenen Bauch) gefüttert und es gab handgemachtes Slush-Eis für alle.

Gerade wird im Hogar sogar zwei Wochen lang eine Olympiade in Fußball, Basketball und Volleyball ausgetragen und, was soll ich sagen, – mein Team steht heute Abend im Finale (wenn auch natürlich nicht meinetwegen). Drückt mir fest die Daumen, dass wir gegen das Team von Teresa ordentlich punkten.

… und in der Freizeit

Auch in der Freizeit merken wir die Beschränkungen durch den Streik natürlich, doch wir machen das Beste daraus: Statt auszugehen stehen Filmmarathons und zu Hause Spaß haben, statt Restaurants selbstgemachte Lasagne und Grillabende und statt Wasserfall, stehen Freibadbesuche auf dem Programm. Und auch die bundeslandspezifischen Gewohnheiten wurden gewürdigt: Zum Wändebemalen im Hogar erscholl ebenso wie zu Hause Ende Oktober non-stop die SWR1-Hitparade und seit dem 11.11. läuft hier immer wieder Karnevalsmusik aus Köln.

Morgengabe nach der Streiknacht ?!

Trotz der positiven Seiten freuen wir uns natürlich, dass das Streikende in Sicht ist: Mittlerweile werden die Straßen zumindest vormittags vollständig geöffnet und auch die Einheimischen rechnen nicht damit, dass der Streik noch lange fortgeführt wird, auch wenn die Regierung die Volkszählung 2023 bis jetzt noch nicht genehmigt hat.

Zwar war es durchaus spannend, solche – in Deutschland unbekannten – Formen des demokratischen Widerstands zu erleben und wir hatten sicher genauso viele schöne Momente wie davor, von denen es einige ohne den Paro (Streik) so überhaupt nicht gegeben hätte. Dennoch freuen wir uns auch, wenn wir unseren Bewegungsradius endlich wieder vergrößern können und mit den Kindern im Dezember ins campamento (Zeltlager) fahren dürfen, was man schon fast als unsere Morgengabe (zufällig auch mein Lieblingsbuch😉) nach der langen Streiknacht sehen kann. Davon werde ich dann selbstverständlich wieder berichten.

¡Hasta luego-Bis bald!

Hannah

Update: Nach 36 Tagen Generalstreik ist kurz nach diesem Blogbeitrag selbiger tatsächlich (ohne die Forderungen zu erreichen) zu einem Ende gekommen und wir genießen die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen

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  1. Ursula prakesch

    Hallo Hannah, danke für deinen interessanten Bericht aus Bolivien. Immer wieder spannend zu hören wie es in anderen Ländern zugeht. Dir wünschen wir weiterhin viele neue eindrücke und Erlebnisse in deiner „neuen heimat“. L.g. und alles Gute von ursel und Werner aus wernau.

    • Hannah Dreizler

      Liebe Ursel,
      ihr wisst gar nicht wie ich mich über euren Kommentar gefreut habe, vielen Dank dafür!
      Meine neue Heimat gefällt mir tatsächlich außerordentlich gut, auch wenn ich grade die Adventszeit in Deutschland ein wenig vermisse.
      Ganz liebe Grüße zurück nach Wernau!
      Eure Hannah

  2. Elke Hildenbrand

    Liebe Hannah,
    acabo de leer tu blog y de enterarme de las aventuras que has vivido y de las pruebas que has tenido que superar. Te deseo todo lo mejor – sobre todo en esta época navideña en la que seguramente vas a echar de menos a tu familia. Estoy segura de que el cariño de tus compañer@s, alumn@s y familias bolivianas te ayudará en los momentos nostálgicos. Te deseo unas felices fiestas y todo lo mejor para el año que viene, que cada día de 2023 sea un gran viaje lleno de aventuras y grandes experiencias.
    Con un saludo muy cordial
    Elke Hildenbrand

    • Hannah Dreizler

      Liebe Frau Hildenbrand,
      vielen vielen Dank für Ihren Kommentar, ich habe mich unglaublich gefreut. Ohne Sie und Ihren Spanischunterricht würde ich keine einzige der neuen Erfahrungen machen können, ich merke bei jedem bekannten Wort, wie wertvoll dieser war. Ihnen auch schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
      Saludos cordiales,
      Hannah

  3. Bernt das Brot

    Un buen dia Hannah,
    por fin he leido tu blog. Ahora cuando escribo este comentario el „paro“ seguro ya termino😉. La navidad se acerca y aqui en Alemania tambien tenia un poco nieve. Espero que estas bien.
    Muchos saludos
    Bernt

    • Hannah Dreizler

      Buenos días mi amigo Bernt!
      Gracias por tu comentario. Mientras escribiste tu mensaje (un poco retrasado como siempre choco😉) ya he hecho mi „Update“ por eso claro, tienes razon, el paro terminó.
      Extraño mucha a la nieve (y un poco a ustedes también).
      Tschüssikowski,
      Hannah

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