Am Donnerstag und Freitag (14.09/15.09) waren alle fünf Vorschulen/ Kindergärten der Don Bosco Schwestern geschlossen, da die Erzieher eine Fortbildung über die Kinderrechte in Benin hatten.

Ich kam mit allen anderen bei ISFES (Institut Superieur de formation éducateur spécialisé) um 8 Uhr an. Dann gingen wir in ein Klassenzimmer im zweiten Stock, wo nach dem Verschieben der Tische und Stühle auch der Beamer aufgebaut wurde. Alles im allen schien es eine ganz normale Fortbildung zu seien mit einem Referenten. Er trug uns die lange Agenda vor, die uns sagte, dass wir einige Gesetzestexte lesen dürfen… Naja das hörte sich dann plötzlich doch nicht mehr so spannend an…

Zuerst wurde diskutiert welche Kinderrechte wir, also die Erzieher, bereits kennen: z.B. das Recht auf Gesundheit, auf Nahrung, auf Bildung, auf Freizeit, auf Ernährung, auf Unterkunft, …

Hierauf sammelten wir die vier Grundprinzipien (Erster Teil, Kapitel 2), welche sind:

  1. Nicht­dis­kri­mi­nie­rung (Art. 7)
  2. Beteiligung (Art. 9)
  3. Förderung und Entwicklung (Art. 16)
  4. Kindeswohlvorrang (Art. 8)

Und da fingen wir dann langsam an zu diskutieren und zu hinterfragen: Respektiert bzw. hält IFMA (Les filles de Maria Auxilliatrice, damit sind die Aktivitäten des Schwesterordens gemeint) all dies ein. Zum Beispiel diskriminiert IFMA wirklich nicht? Was ist mit den Jungs, kümmert sie sich um die? JA, in den Kindergärten und im Ausbildungszentrum sind auch sehr viele Jungs. Aber wie ist es mit der Religion? Schließen sie Nicht-Christen aus? NEIN, z.B. in den Kindergarten wo ich arbeite, gibt es ein Kind, welches immer einen Schleier trägt (Muslim). Aber dann erinnerte ich mich an meinen Besuch beim OCPM (Staatl. Auffangstelle aller Kinder, die in ganz Benin gefunden werden. Dazu ein anderes Mal mehr). Dort waren zwei Jungs die ein Handicap haben, der eine ist taub-stumm der andere ist geistig behindert. Beide sind dort seit mehr als 1 ½ Jahre in dieser „Zwischeneinrichtung“, wo die Kinder eigentlich höchstens 3 Monate bleiben sollen bis sie an NGOs, an die Familie oder andere Einrichtungen weitergeleitet werden. Diese Kinder hat IFMA nicht aufgenommen. DAFÜR aber andere körperlich behinderte Kinder: letztens in meine Vorschulgruppe war ein Junge mit solch unglaublich ausgeprägten O-Beinen da, ich habe mich wirklich gefragt wie er überhaupt laufen kann. Diese Deformation kommt daher, dass die meisten Mütter ihre Babys auf den Rücken tragen und diese dann in ein Tuch einwickeln, sodass die Beine um den Bauch der Mütter anliegen. Wenn dies jeden Tag über viele Stunden so gemacht wird, deformieren sich die Beine.

Wir haben über das Thema der Behinderten noch länger diskutiert, sowie dann auch über alle anderen Grundprinzipien der Kinderrechte: Schutz, Förderung, Beteiligung, Nicht­dis­kri­mi­nie­rung, Kindeswohlvorrang. Hierauf begannen wir an den dritten Teil des Gesetzestextes Kapitel für Kapitel, Artikel für Artikel zu lesen. Über jeden Artikel haben wir mindestens 5 Minuten diskutiert, Erlebnisse und Erfahrungen geteilt. Einfach unglaublich spannend!! So habe ich einen super Eindruck bekommen was die Kinder und Jugendlichen oft bereits erlebt haben, welche Umstände zur ihrer Misslage geführt haben, welche allgemeinen Umstände in Benin kritisch sind, wie ihnen geholfen wurde und wie ihnen nicht geholfen werden konnte. Ich konnte einfach durch den Austausch der Erlebnisse und Erfahrungen vieles über die Einrichtungen, Projekte, Organisation und Schicksale erfahren.

 

Ich werde nun noch vier weitere Diskussionsthemen bzw. Artikel darstellen:

Erster Teil, Kapitel 5, Abschnitt 1, Artikel 17: Elementare Rechte eines Kindes

Jedes Kind hat das Recht darauf:

a) Ohne Kosten registriert zu werden

Selbst dieses erste Recht der elementaren Rechte, die einem Kind ab der Geburt zustehen, ist nicht gewährleistet. Die Eltern müssen nämlich eine Geburtsurkunde kaufen, welche so viel kostet wie ein Monatseinkommen (umgerechnet circa 25 Euro). Diese Geburtsurkunde ist wie ein Ausweis, den man auch braucht, um die Schule besuchen zu dürfen. Ich arbeite Vormittags in einer Vorschule. Aber es kann sein, dass einige 5-Jährige trotzdem nächstes Jahr dann nicht in die Schule gehen können, wenn wir bis dahin nicht die Geburtsurkunden finanzieren können.

b) …

c)  Seine Identität behalten und schützen soll, insbesondere sein Alter, sein Name und seine Abstimmung

Selbst dies wird manchmal nicht eingehalten. Es gab anscheinend einmal ein Kind welches von der Mutter immer bei ihrem Namen genannt wurde. Dann sollte das Kind von der Grundschule ins Gymnasium eingeschrieben werden, doch die Mutter hatte die Geburtsurkunde verloren. Nach vielen Mühen und Anstrengungen hatten sie einen Termin, um sich eine neue Geburtsurkunde ausstellen zu lassen. Beim Termin waren die Mutter, die Tochter, die Lehrerin und ein Bekannter anwesend. Der Bekannte gab sich als Vater aus, da der echte Vater nicht mehr aufzufinden war, doch für den Prozess brauchte man einen Vater. Es stellte sich dann heraus, dass die Tochter nicht mit ihrem Rufnamen registriert ist, sondern unter einen völlig anderen Namen. So hat sie bisher in ihrem Leben sozusagen mit ihrem falschen Namen gelebt.

 

Im vierten Teil (Kapitel 3, Abschnitt 2, Artikel 150 und Teil 1 , Kapitel 5, Abschnitt 1 Artikel 20) wird das Recht auf Gesundheit erklärt. Was bedeutet, dass die Eltern sich um die Gesundheit des Kindes kümmern müssen und vom Staat angeordnete Impfungen machen lassen müssen. Alle Kinder die in den Kindergärten und Vorschulen der Don Bosco Schwestern sind haben eine Krankenversicherung.  Diese kostet die Eltern nur 5000 CFA (circa 7,50 Euro pro Jahr), das können sich somit auch die Ärmsten leisten! Dennoch habe ich erlebt, dass Eltern ihr krankes Kind einfach nicht zum Krankenhaus brachten. Als die Erzieherin die mit mir arbeitet, das mitbekommen hat ist sie zurecht die Fassung verlohren: Warum bringt man ein krankes Kind nicht zum Arzt, wenn man die Rechnungen nicht mal selbst bezahlen muss?? Ein anderes Mal, hat eine Mutter einfach schnell ihr fiebriges Kind abgegeben und ist gegangen. Es war dann an uns jemanden zu organisieren, der das Kind zum Krankenhaus fährt.

 

Ein weiterer Artikel der zu viel Diskussion führte, war ein Artikel im dritten Teil, Kapitel 1, Abschnitt 1

In Artikel 112 garantiert der Staat jedem Kind Bildung. In Artikel 113 steht, dass die Eltern dazu verpflichtet sind die Kinder bei den Schulen anzumelden. Aber wie überprüft dies der Staat? Und Artikel 114 garantiert eine kostenlose Schulbildung für alle. Es ist wahr, dass es in Benin bei öffentlichen Schulen (oder NGO) keine Einschreibungs- oder Bearbeitungs- oder Schulkosten gibt *, aber um zur Schule gehen zu können braucht man die Geburtsurkunde, welche, wie ich bereits erklärt habe, nicht kostenlos ist. Das aber eigentlich größere Problem liegt hierbei eher an der Einstellung der Beniner. Diese meinen, wenn jemand sagt es ist kostenlos muss man gar nichts zahlen. Sie sind somit oft nicht bereit Schulartikel zu kaufen, die Schuluniform zu bezahlen und schicken teils ihre Kinder nur zum Essen in die Schule und nicht in den Unterricht. Teilweise schicken die Eltern ihre Kinder ohne Essen in die Schule, weil sie ja wissen, dass sie dort etwas zu essen bekommen. Dies verstößt also gegen das Recht der Fürsorge und Ernährung (Erster Teil, Kapitel 5, Sektion 1, Art. 17) und Art. 24. Manche Eltern, die die Mittel hätten ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken, tuen dies nicht, da es ja auch kostenlose Schulen gibt. So kam zum Beispiel ein Kind zum École alternative der Don Bosco Schwestern, dies ist eine Grundschule für Kinder ist, die bereits zu alt für den normalen Schuleinstieg sind. Dieses Kind behauptet es wäre 12 Jahre und könnte weder schreiben, noch rechnen, noch einen französischen Satz sagen. Doch in der ersten Schulstunde schrieb, das gerade eben beschriebene Kind, in perfektem Französisch einen Satz an die Tafel.

*“Es ist wahr, dass es in Benin bei öffentlichen Schulen (oder NGO) keine Einschreibungs- oder Bearbeitungs- oder Schulkosten gibt“. Das stimmt, nicht ganz: Die Grundschulbildung an den staatlichen Schulen ist kostenlos. Die Jungs müssen dann ab dem College für die Schule zahlen und die Mädchen ab der 8ten Klasse. Dies wurde so geregelt, damit man die Eltern motiviert ihre Töchter zur Schule zu schicken, anstatt, dass sie beim Verkauf von Waren oder Kochen mithelfen. Die staatlichen Schulen sind sehr überfüllt, was bedeutet, dass in einer Klasse bis zu 70 Schüler sind. Natürlich kann man so keine gute Lern-Atmosphäre gestallten und viele Schülern kommen nicht im Unterricht mit. Aber auf der anderen Seite verwundert mich es nicht wirklich, dass die Klassen so groß sind, denn es gibt hier im Vergleich zu Deutschland 4-Mal so viele Kinder zwischen 0-14 Jahren  (Quelle unten). Viele Eltern sparen deshalb, um ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Denn immer mehr und mehr Eltern verstehen den Wert ihres Kindes und wollen ihnen eine bessere Kindheit und auch keine bessere Perspektive, als die Arbeit auf dem Markt bieten.

Im Gegensatz dazu gibt es aber einige, die ihr Kind als ihr Eigentum ansehen, sie haben diesem ja auch wie ein Emblem dessen Namen gegeben,  und sie sehen nicht ein ihr Kind auf eine Schule zu schicken. Damit mehr und mehr Eltern von dieser Einstellung umgestimmt werden hat IFMA einige Sensibilisierungsprogramme aufgestellt, um mehr und mehr Beniner zum Umdenken zu bringen.

 

Fortbildung über Kinderrechte

Thierry vergleicht die Rechte und Pflichten der Kinder. Währenddessen hört man zum zweiten Mal an diesem Tag den Ruf des Muezzin zum Gebet (Adhan). Die größte religiöse Gruppe ist aber Voodoo, danach das Christentum und dann  Muslim (Wikipedia kann man da nicht vertrauen).

Nun stellt sich aber auch die Frage, nachdem wir genau untersucht haben, ob IFMA allen Artikel entspricht und sich somit auf jede erdenkliche Weise für jedes Kind einsetzt, ob dies der Staat auch durchsetzt. Sie tuen viel aber alles klappt halt nicht, würde ich jetzt mal so sagen. Das sieht man z.B. Dritter Teil, Kapitel 7, Abschnitt 3: Verbot der Benutzung von Kinder als Verkäufer. Genau solche Kinder sehe ich jeden Tag beim Markt um die 50 wenn ich nur durch den Markt schländer. Später in der Baracke, wo die kleinen Verkäufer sich ausruhen sind dort meist 10-30 Mädels. Der Staat weiß ganz genau, dass es dieses Problem gibt, sonst hätten sie wahrscheinlich auch keinen ganzen Abschnitt mit Unterteilungen darüber geschrieben. Dennoch ist es eine tägliche Realität von den Kindern ab circa 7-19 Jahren jeden Tag am Markt für ihre Tuctrice eine beliebige Ware zu verkaufen. Manch eine 10-Jährige trägt auf ihren Kopf Jamswurzeln, die wir nur zu dritt auf ihren Kopf hieven könnten. In diesem zusammenhang scheint mir auch die Arbeitserlaubnisse für die „Vendeure ambulante“ (Laufende Verkäufer) der Mädchen sehr widersprüchlich. Wie kann es ein Gesetzt geben, dass die minderjährigen Vendeure ambulante verbietet, aber ihnen wird trotzdem eine Arbeitserlaubnis erteilt…?!

Trotzdem empfinde ich es beeindruckend, dass die Assemblée National den Code de l’enfant en République du Benin erlassen hat und der Präsident dieses verabschiedet hat am 26 November 2015. (https://www.unicef.org/benin/media_8862.html)

 

In Deutschland gibt es sowas nicht. Die tatsächliche Situation der Kinder ist sicherlich in Deutschland um sehr vieles besser als hier ( Bildung, Individuelle Förderung, Zeit zum Kind-Sein etc), dennoch ist Deutschland rechtlich gesehen mit den Kinderrechten hinter Benin. Denn bisher stehen im Artikel 6 des Grundgesetzes nur Aussagen über Kinder und nicht für Kinder. Spezielle Kinderrechte werden nicht erwähnt!

Das Aktionsbündnis Kinderrechte schlägt dem Deutschen Bundestag und dem Deutschen Bundesrat vor, die Rechte der Kinder in einem neu zu schaffenden Artikel 2a in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Das Aktionsbündnis Kinderrechte möchte mit dem neuen Artikel 2a GG klargestellt wissen, dass Kinder als Grundrechtsträger anerkannt und mit besonderen Rechten ausgestattet sind. Grundlage der vorgeschlagenen Formulierung sind die Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention (Schutz, Förderung, Beteiligung, Nicht­dis­kri­mi­nie­rung, Kindeswohlvorrang).

 

Damit will ich sagen, dass die Kinderrechte nicht nur hier in Benin wichtig sind, sondern auch in Deutschland sowie auf der ganzen Welt!

 

Infos über Kinderrecht in Deutschland

http://www.kinderrechte.de/kinderrechte/kinderrechte-ins-grundgesetz/

http://www.kinderrechte.de/kinderrechte/die-gesetzlichen-regelungen-in-deutschland/

 

Um euch mal einen statistischen Überblick über die Situation der Kinderrecht in Benin zu geben, habe ich die UNICEF Seite (https://www.unicef.org/benin/youth.html) dazu durchgelesen und euch hier eine kleine Tabelle erstellt. Leider sind die Daten etwas alt (von 2014)

  2006/2008 2014 Kommentar
Kindersterblichkeit unter 5 Jahren 125 Kinder von 1000 115 Kinder von 1000 Eine viel zu langsame und schwache Entwicklung
Chronische Unternährung 3 Kinder von 10
Todesursache Malaria bei kranken Kinder 4 Kinder von 10 Man muss gegen Malaria meist nur Tabletten nehmen und nach einer Woche ist man wieder gesund
Rate der arbeitenden Kinder 34% aller Kinder 52,5% aller Kinder *
Kinder mit Geburtsurkunde 8 von 10 Kindern
Heirat eines Mädchen vor dem 15. Geburtstag 1 von 10 Mädchen
Heirat eines Mädchen vor dem 18. Geburtstag 3 von 10 Mädchen

 

*Früher trafen Eltern mit der sogenannten Tuctrice eine Vereinbarung: Diese sollte das Kind in der Stadt zur Schule schicken, da die Familie selbst auf dem Land lebt und eine Schule zu weit weg ist. Doch heutzutage wird diese Vereinbarung nur noch ausgenützt und die Mädchen und Jungs in Cotonou zum Arbeiten auf den Markt geschickt. Da es diese besondere Situation in Benin gibt, gibt es einen extra Abschnitt, der genau regeln soll, wann ein Kind an eine dritte Person „weiter gegeben“ werden darf. Eigentlich müssten somit sehr viele Tuctrice festgenommen werden und für 2-5 Jahre, wie es das Gesetz vorsieht, eingesperrt werden. Doch wie wir alle wissen, passiert das nicht.

 

Das war jetzt wirklich sehr viel! Aber ich empfand diese Fortbildung so interessant und fand es spitze wie passioniert und mit wie viel Herz alle dabei waren und über jeden Artikel und jede Kleinigkeit diskutiert und sich ausgetauscht haben!! Es zeigte mir, dass all diesen Erziehern ihre Arbeit wichtig ist und die Geschichten, Erfahrungen und Schicksale die sie teilten, das sind für was sie kämpfen und für was nun auch ich kämpfen werde.

 

Quellen über Kinderrate: http://perspective.usherbrooke.ca/bilan/servlet/BMTendanceStatPays?codeTheme=1&codeStat=SP.POP.0014.TO.ZS&codePays=BEN&optionsPeriodes=Aucune&codeTheme2=1&codeStat2=x&codePays2=BEN&optionsDetPeriodes=avecNomP&langue=fr, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/