Der frische Nachtwind saust mir um die Ohren, während ich in den frühen Morgenstunden auf dem Zem Richtung Busstation sitze. Unser Ziel: der unbekannte Norden Benins.
Ich befinde mich verschlafen auf einer Treppenstufe neben Teresa und Nielson (einem alten Schulfreund, der ein Volontariat in Ghana macht und uns für die Reise besucht), als ich endlich Euloge unseren Freund und Reiseführer aus einem voll beladenen Auto aussteigen sehe. Müde laufe ich den anderen Richtung Bus hinterher, wo ich warte, dass alle Gepäckstücke angekommen sind. Mein Blick streift verwundert über einen vollbeladenen Sack nach dem anderen, mit denen Euloge um die Ecke biegt. „Ganz schön afrikanisch“, denke ich mir.
Endlich winkt Euloge uns zu und ich laufe mit den anderen zur hinteren Tür des Busses, wo wir einsteigen und uns auf unsere Plätze begeben. Ich sitze neben einer Frau, die ein etwas größeres Platzbedürfnis hat, wodurch ich mich mit weniger Raum zufrieden gebe. Mir ist es relativ gleichgültig, solange ich schlafen kann.
Mit einem Zischen schließen sich die Türen und der Bus rollt langsam los. Ich schließe meine Augen und lasse mich von der Fahrt in einen sanften Schlaf schaukeln. Hin und wieder schrecke ich hoch und blicke aus dem Fenster. Doch jedes Mal meldet sich sofort eine unangenehme Übelkeit, weshalb ich die Augen wieder schließe und tief durchatme. Die Stunden gehen vorüber, der Bus hält hin und wieder an, Menschen steigen ein und aus, kaufen Snacks und Getränke bei den heranströmenden Verkäuferinnen oder entleeren sich im nächsten Graben. Doch der Bus steht nie länger als zehn Minuten.
Ich bin wieder am Dösen, als ich diesmal von Teresa geweckt werde, die mir sagt, dass es an der Zeit sei auszusteigen. Zügig stopfe ich meine Sachen in den Beutel und mache nach zehn Stunden Fahrt erste unsichere Schritte Richtung Ausgang. Ich sehe Euloge mit seinem Gepäck neben einem alten Opel Astra stehen und halte direkt auf ihn zu. Mein Blick streift einen fast vollen Kofferraum und einige uneingeräumte Säcke. „Wie soll das alles in diesen Kofferraum passen“, frage ich mich, weiß jedoch, dass hier in Afrika immer für alles eine Lösung gefunden wird.
Keine zehn Minuten später sitze ich Schulter an Schulter neben Teresa und Nielson, unser Gepäck hat jeder auf dem Schoß. Auf dem Beifahrersitz kann ich Euloge kaum erkennen, da mir ein Sack voller Gießkannen auf seinem Schoß die Sicht versperrt. Der Motor brummt leise vor sich hin und das Auto rollt über die Straße, zumindest am Anfang unseres Weges. Nach ein paar Minuten befinden wir uns auf einer tief durchfurchten Staubpiste in Richtung Wildnis. Volle Fahrt voraus – und wenn dann doch mal gebremst wird, folgen sofort seitliche Bewegungen, die alles an einen neuen Ort befördern, das nicht festgeklebt oder eingequetscht ist. So setzt sich unser Tanz fort und ich staune nur über die Piste, Natur und Fahrkünste des Chauffeurs.
Endlich erblicke ich Häuser, doch nicht solche, wie ich sie erwartet hätte. Moderne runde Ferienbauten prangern mir mitten zwischen den Bäumen entgegen. „Was ist das hier für ein Ort?“, frage ich mich. Der Wagen hält an und ich klettere hinter Nielson aus dem Auto. Sofort wird wieder fleißig ausgeladen, dabei sehe ich ein paar ältere Männer ankommen. Ich lege den Rucksack, den ich gerade in der Hand halte ab und lausche den Gesprächen, die zwischen Euloge und den Männern stattfinden.
Dann beginnen wir einen kleinen Trampelpfad zu erklimmen, der steil einen Berg hinaufführt. Irgendwann sehen wir lauter kleine Lehmhütten, die größtenteils eingestürzt und unbewohnt sind. Wir biegen um die Ecke und stehen in einem kleinem Zentrum, wo drei Mädchen mit staubigen Füßen gerade dabei sind zu kochen. Eine alte Frau begrüßt uns herzlich in ihrer Sprache, sie spricht anscheinend kein Französisch. Hinter einer kleinen Hütte entdecke ich einen alten Mann, der auf einer Matte auf dem Boden sitzt. Ich sehe, wie unser Chauffeur zu ihm geht und sich tief vor ihm verbeugt. Ich kriege schnell mit, dass es sich um den König des Dorfes handelt.
Endlich ist es an der Zeit unser Lager aufzuschlagen: Zelte. Ich hatte mir vorher keine Gedanken gemacht, wie ich wohl die Nacht verbringen werde, weshalb ich etwas überrascht war. Doch so wirklich aus der Bahn werfen tut mich nur noch wenig, da hier das Unglaubliche Alltag ist. Ich beobachte noch einige Zeit, wie Euloge alle begrüßt und den Platz für unsere Zelte aussucht.
Ich wundere mich sehr darüber, dass es ein Dorf voller Hütten ist, ich jedoch bis jetzt nur eine einzige Familie gesehen habe, die wirklich hier zu wohnen scheint. Strom, Gas, oder fließendes Wasser gibt es hier nicht. Vor einer Hütte brennen zwei Äste, auf denen ein Topf mit Wasser steht. Die teils runden und viereckigen Lehmhütten sind überwiegend mit Gräsern gedeckt, doch auf manchen thront ein Wellenblechdach, das einen daran erinnert, dass man sich im 21. Jahrhundert befindet.
Taneka Beri, so heißt das Dorf, ist ein Ort, an dem die Menschen wie vor hunderten von Jahren leben. Ein Teil aus der Vergangenheit, der bis heute noch existiert und fortbestehen kann. Erst bei genauerem Nachfragen treten die Spuren der Gegenwart hervor. Die Bewohner leben nur noch zeitweise in ihren Hütten, da vor allem die Männer für einige Zeit nach Nigeria zum Arbeiten gehen, weil sie ohne dieses Geld nicht mehr über die Runden kommen würden. Auch gehen einige Kinder mittlerweile zur Schule, wo sie unter anderem Französisch lernen und somit für uns dolmetschen können. Taneka Beri ist für mich ein magischer Ort der Natur und Kultur.
Fix und fertig stehe ich zwischen Zelten und Menschen und möchte mich am liebsten nur noch ausruhen. Doch die anderen wollen noch kurz den Berg hoch klettern, um von dort den Sonnenuntergang zu beobachten. Das hört sich sehr verlockend an, doch ich muss zwischen meiner Abenteuerlust und meinen Kräften ein Gleichgewicht finden. Ich gebe mir einen Ruck und entscheide mich doch mit zu gehen.
Ein staubiger Pfad schlängelt sich zwischen alten, teilweise eingestürzten Lehmhütten den Berg hinauf. Vorbei an herumliegenden Felsen, verdorrten Gräsern und verbranntem Boden kämpfe ich mich Stück für Stück den Hügel hinauf. Auf der Kuppe ist mehr Stein als Vegetation, doch ich finde ein gemütliches Plätzchen auf einem warmen Fels unter einem Strauch mit Blick auf den Sonnenuntergang.
Während ich daliege, sauge ich die Natur auf, die mich in völliger Ruhe umgibt, sehe in den Himmel und denke an Nichts.
Nach einigen Minuten gesellen sich dann auch die anderen zu mir und ich lausche den Geschichten Euloges über die verschiedenen Dörfer und wie sie entstanden sind. Plötzlich fällt uns auf, dass es schon fast dunkel ist und wir treten den Heimweg zu unseren Zelten an. Endlich kann ich mich fix und fertig schlafen legen. Teresa kommt zu mir und gibt mir noch Bescheid, dass sie nochmal ins Dorf fahren, um dort was zu essen, doch ich bleibe lieber da.
Ich lege mich im Zelt auf die Isomatte, mit dem Kopf am Ausgang, wo ich nur das Fliegengitter geschlossen habe, decke mich mit meinem Pagne (Wickelrock) zu und schaue in den Himmel. Ich blicke einem Meer aus Sternen entgegen, die unendlich scheinen. In der Mitte erkenne ich das Sternbild des Orions, welches ich in Deutschland so oft gesehen habe, und bekomme ein Gefühl der Heimat. Diese grenzenlose Aussicht hat mich Stück für Stück in die Traumsphären begleitet.
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