1.
Nachdem am 25. Dezember das Weihnachtsfest ordentlich gefeiert wurde, hieß es am 26. für alle Kinder: Ab in die Ferien zur Familie! Koffis Vater hatte angekündigt, ihn am 26. morgens im Foyer abzuholen. Koffi hat sich wirklich schick gemacht, mit Hemd, feiner Hose und sogar geschlossenen Schuhen, das ist echt selten. Am Morgen hatte er sich besonders gründlich gewaschen, ob man das riechen würde, fragte er mich. Natürlich rieche man das, erwiderte ich, daraufhin er, sehr gut, heute sei nämlich ein wichtiger Tag für ihn, denn er werde heute zum ersten Mal seit 5 Jahren von seinem Vater persönlich abgeholt. In den Jahren zuvor hatte dieser leider keine Zeit, um Koffi während der Ferien bei sich aufzunehmen. Sein Vater sei nämlich Polizist, erzählte Koffi mir stolz. Ein Polizist, dem alles wichtiger ist als sein Sohn, denke ich mir.
Da sitzen wir als im Foyer, wartend auf Koffis Vater während die anderen Kinder mit einem Erzieher zu ihren jeweiligen Familien gebracht werden, um dort eine Woche Ferien zu verbringen. Mittlerweile ist das Mittagessen vorbei, wir legen uns zur Siesta hin. Koffis Vater ist noch nicht aufgetaucht. Der Tag nimmt seinen Lauf, das Abendessen rückt immer näher, Koffis Vater jedoch anscheinend nicht. Irgendwann ist Schlafenszeit. Koffis Vater ist nicht gekommen. Am nächsten Tag dasselbe Spiel: Koffi wäscht sich äußerst gründlich und macht sich schick, schließlich kommt ja heute auf jeden Fall sein Vater um ihn abzuholen. Um zu vermeiden, dass wir wieder den ganzen Tag umsonst warten, rufen wir Koffis Vater an. Koffi telefoniert selbst mit seinem Vater und dieser sagt ihm, dass die Polizei in der Nachbarkommune eine Straßensperre errichtet hat und er dort als Polizist beschäftigt ist. Er komme aber auf jeden Fall am nächsten Tag, also Freitag, den 28. Dezember. Gut, dann können wir ja zu den Kindern im Foyer Maman Marguerite gehen, die bleiben ja über die Ferien dort. Am 28. dann ruft einer der Erzieher nochmals Koffis Vater an, diesmal sagt dieser, er könne seinen Sohn gar nicht abholen, er sei nämlich seit Tagen nicht in der Stadt. Wir sagen Koffi, dass sein Vater heute leider verhindert ist und wir ihn zu seinem Onkel bringen. Ihm zu sagen, dass sein eigener Vater ihn angelogen hat, bringt keiner übers Herz.
2.
Ich hoffe in den deutschen Medien ist es nicht vollkommen unter den Tisch gefallen: In der Silvesternacht hat sich hier in Abidjan ein schweres Unglück ereignet. Bei einer Massenpanik am Stadion, wo jedes Jahr mit ca. 50000 Besuchern die größte Silvesterparty des Landes steigt, sind 60 Menschen ums Leben gekommen. Weiterhin gab es 49 Verletzte. Der Großteil der Opfer sind Kinder. Als Deutscher erinnert ein solches Unglück natürlich sofort an die Loveparade in Duisburg 2010, bei der 21 Menschen starben und 541 verletzt wurden. Zwei Besucherströme, die sich in entgegengesetzte Richtung bewegten, vergebliche Versuche der Polizei diese umzuleiten, all dies weckt traurige Erinnerungen. In Abidjan unterstreicht das Unglück aber noch ein anderes Problem: die Aufgabenverteilung von Armee und Polizei. jeuneafrique.com schreibt, dass die Polizei Fluchtwege aus nicht nachvollziehbaren Gründen blockiert hat. Und wie so oft, sind die lokalen Zeitungen in ihrer Berichterstattung alles andere als glaubwürdig und selten politisch neutral. Die einen schreiben, Polizei und Armee haben alles richtig gemacht, die anderen schreiben das genaue Gegenteil. Außerdem werden in den letzten Tagen auch Stimmen laut, dass die Opferzahlen von der Regierung geschönt wurden und es weit mehr als 100 Tote gegeben haben soll. Diese Ungewissheit über die Korrektheit der Informationen macht die ganze Sache umso tragischer.
3.
Vor einiger Zeit schrieb ich hier an dieser Stelle über Salomon (16 Jahre alt), der Geld seines Zimmerkollegen gestohlen hat, um einige Tage auf der Straße zu verbringen, weil er keine Lust mehr auf Schule hat. Einige Tage später kam er wieder um eine Nacht im Foyer zu schlafen und am nächsten Tag wieder Geld zu stehlen und nochmals abzuhauen. Wiederum einige Tage später kam er dann wieder, daraufhin wurde er in den Erstempfang Maman Marguerite transferiert. Das Vertrauen in ihn war auf jeden Fall erstmal auf einen Tiefpunkt gesunken.
Seit dieser Zeit hat sich sein Verhalten aber wieder stetig verbessert, er hat sogar mit einigen anderen Kindern einen Tanz für das Weihnachtsfest einstudiert gehabt. Letzten Sonntag dann ein weiterer Bruch in seiner Laufbahn: Salomon nimmt ein paar anderen Kindern ihre Kleidung weg und haut aus dem Foyer ab. Diesmal haue er endgültig ab, sagen die anderen. Falls er jemals wieder zurückkommt, ist jedoch auch die Frage, ob er von den Verantwortlichen überhaupt noch akzeptiert wird nach so vielen Kapriolen. Wieso zieht er ein Leben auf der Straße einem Leben in geordneten Verhältnissen vor?
Jonathan
Hey Tobi,
Kopf hoch,
ich kann dich echt verstehen, aber du kannst nichts machen.
Bei uns sterben Kinder an Tuberkulose, weil wir nicht aureichend medizinisch ausgestattet und die staatlichen Krankenhäuser katastrophal sind, ich weiß, wie man sich da fühlt.
Aber du annst nichts dafür. Und auch, wenn man es nicht versteht, muss man es wohl irgendwie hinnehmen, so mies es auch ist.
Alles Gute,
Jonathan
Ulla
Hallo Tobi,
ja das was du schreibst kann ich gut nachvollziehen- verstehen jedoch auch nicht wirklich. Menschen sind eben sehr komplex. Und Dinge die eben im frühen Kindesalter nicht erlernt wurden (Vertrauen) sind eben nachher umso schwerer zu erlernen- wie das was du von Salomon schreibst. Warum Straßenkinder doch immer wieder die vermeintlich unsichere Straße dem Leben in einem scheinbar gesichterten Zentrum vorziehen? Wahrscheinlich weil sie es nur so kennen. Auf der Straße haben sie gelernt sich zu behaupten, sie kennen die brutalen Regeln und müssen nicht weiter als bis zum nöchsten Morgen denken.
Und vielleicht denkt jemand wie Salomon auch, er könne sich dann die Enttäuschungen ersparen (Koffi), denn die Welt um sie rum ist ja nicht besser geworden.
Danke fürs Teilen Deiner Gedanken!
Viele Grüße
ulla
Ann Kristin
Hallo Tobse,
ich habe endlich deinen Blog gefunden. 🙂
Ich finde super spannend, was du schreibst und wie letztendlich die Verhältnisse dort „unten“ sind. Man kann sich das alles gar nicht vorstellen und glaubt wahrscheinlich auch erst dran, wenn man es mit eigenen Augen sieht.
Die Geschichte von dem Jungen, dessen Vater ihn nicht zu Weihnachten abgeholt hat, hat mich sehr berührt und mein Mitleid erweckt.
Ich hoffe, dass du mit deiner Arbeit, deinem Engagement und deinem gutmütigen Charakter den Kindern und Jugendlichen etwas zurück geben kannst.
Ich habe nicht alle „Artikel“ gelesen und vllt hast du es schon erwähnt, aber wie stehen die Kinder zu dir? Bist du für sie mehr eine Autoritätsperson oder genau das Gegenteil; vertrauen sie sich dir an?
Liebe Grüße und bis bald 🙂
Ann Kristin