Fast vier Wochen atmen Valerie und ich jetzt schon beninische Luft. Damit bin ich nun offiziell nicht nur weiter, sondern auch länger von zu Hause weg, als ich es je zuvor war. Eine Sache, die ich mich in diesen fast vier Wochen oft gefragt habe ist, wann man eigentlich angekommen ist. Der Kulturschock (ein sowieso kritisches Wort, wie wir bei den Vorbereitungsseminaren gelernt haben) ist bei mir ausgeblieben. Klaro, dass hier ganz schön viele Sachen neu für mich sind oder anders, als ich es von zuhause gewohnt bin. Aber ich hatte dennoch nie ein Fremdheitsgefühl. Bin ich also schon von erster Sekunde an hier angekommen? Nein, so schnell geht´s dann doch nicht! Mit der Zeit habe ich die Abläufe in der Communauté kennengelernt, die einzelnen Schwestern mit ihren Charakterzügen und Verantwortungsbereichen und die Projekte mit all den Menschen, die diese ausmachen. Bedeutet dieses auskennen nun angekommen zu sein? Dem kann ich nur teilweise zustimmen, denn ein wichtiger Teil hat Valerie und mir immer noch gefehlt: Autonomie.
In dieser Hinsicht haben wir diese Woche große Fortschritte machen können. Sich alleine ein Zem auszuhandeln und im Notfall während des Fahrens das Handy rausholen und den Zemfahrer per Google Maps navigieren war auf jeden Fall einer dieser Fortschritte („Maintenant à gauche“, „Là-bas à droite“, „Oui, ici“). Und auch sich alleine auf den großen Markt zu wagen und sogar zurechtzufinden, war ein wichtiger Step. Außerdem waren Valerie und ich zum ersten Mal seit wir hier angekommen sind für ein paar Stunden voneinander getrennt (Montag und Dienstag jeweils den halben Tag, Mittwoch den ganzen). Leider haben wir diese Woche mehr Probleme denn je ansprechen müssen und angesprochen. Auch das muss man lernen! Dies sind alles Schritte, die uns noch mehr in die Richtung des Ankommens tragen und uns eine erfrischende Freiheit geben. Und dann, jedes Mal wenn man einen dieser Schritte gemeistert hat, hat man einen guten Grund ein bisschen stolz auf sich zu sein! Das Ankommen ist also ein Prozess, der auch noch ein ganzes Weilchen dauern wird. Die nächsten Schritte für uns sind, sich ohne die Hilfe von Google Maps zuverlässig zurecht zu finden und, da wir seit dieser Woche selbst kochen müssen, den Wocheneinkauf ohne fremde Hilfe zu meistern (was am Markt mit Preise kennen und verhandeln für uns herausfordernder ist, als es im ersten Moment klingen mag). Ja und dann bleibt da noch die Sache mit dem Französisch (inklusive des beninischen Dialektes…). In manchen Momenten läuft es richtig gut, in anderen Situationen habe ich oft eher das Gefühl Rückschritte zu machen (was wohl an den weniger oberflächlich werdenden Gesprächsthemen und den steigenden Ansprüchen an mich selbst liegt). Ich denke das mit der Sprache braucht noch so seine Zeit, wird sich dann aber umso mehr auszahlen!😊
Falls ihr Lust habt, könnt ihr euch nun noch drei Geschichten meiner Woche zu Gemüte führen:
MARIAGE: Montagnachmittag nach der Baracke sitze ich auf dem Zem. Erst ist alles ganz normal, doch als wir schon die meiste Strecke des Weges hinter uns gebracht haben dreht der Zemfahrer plötzlich seinen Kopf zu mir: „Du bist schön!“, sagt er. Ähm ok. Na gut das kenne ich hier mittlerweile, dass Männer einem das unerwartet mitteilen. Wobei ich vermute, dass sie damit meistens nicht explizit mich meinen, sondern die Aussage auf meinen Hautton beziehen. „Kann ich deine Nummer haben?“ Ok, auch das ist uns hier nicht mehr unbekannt. „Nein. Schau vor auf die Straße!“, sage ich ihm. Glaubt mir, auf beninischen Straßen ist es definitiv besser, wenn der Fahrer den Blick nach vorne richtet! Dann verstehe ich noch etwas von „mariage“ (=Hochzeit“), traue meinen Ohren aber kaum. Irgendwann gibt er es auf und schaut (DANKE!) wieder nach vorne auf die Straße. Als wir angekommen sind und ich ihm das ausgemachte Geld gegeben habe, fängt er jedoch erneut an. „Gib mir doch deine Nummer.“ „Nein“. Dann wieder irgendwas mit „mariage“. „Heiraten?“, frage ich. „Oui, ich bin katholisch, du doch auch oder? Bist du doch.“ „Danke fürs Fahren, tschüss“, sage ich nur und gehe weg. Was ein romantischer erster Heiratsantrag! Wir haben nun schon ein paar Mal die Erfahrung gemacht, dass Leute sich nach Europa sehnen. Wobei sie dabei oft kaum an auftretende Komplikationen denken, sondern Europa einfach als den Kontinenten vor sich sehen, der alle Probleme löst. Schwieriges Thema…
BLAUE FLECKEN: Als ich mich am Dienstagabend umziehe sehe ich, dass meine Oberschenkel übersäht mit Sams-Wunschpunkten sind. Den Grund dafür findet man, wenn man ein paar Stunden zurück spult: Espace Eveil, Vorschule. Pause für die Kinder. Also spiele ich mit einigen Kindern ein Schnurspiel und Schokoschokolala. Als die Erzieherin kurz darauf sagt, dass wir nun weiter mit ihnen spielen sollen, muss eine Idee her. Wie beschäftigt man 26 kleine Kinder ohne Materialien und ohne, dass man sich wirklich verständigen kann, weil sie kaum französisch sprechen? Eine Minute später stehe ich vor der Gruppe: „Aramsamsam aramsamam gulli gulli gulli gulli gulli ramsamsam…“ Singe ich und mache die dazugehörigen Bewegungen: Bei „aramsamam“ z.B. muss man sich auf die Schenkel schlagen. Weil ich die Kinder bei Laune halten will, mache ich das allerdings ziemlich fest. Der Vorschlag der Erzieherin, dass nun jedes Kind einzeln vor die Gruppe kommt, wobei ich weiter hinten im Raum die Bewegungen vormache, bringt mich zu dieser außergewöhnlichen Oberschenkelbeschmückung.
DANCINGQUEENS: Freitagabends hört man hier meistens Musik. So auch dieses Mal. Wenn man die Quelle dieser guten Laune aufspüren will, landet man im Mädchenwohnheim. Valerie und ich haben letzten Freitag mal vorbeigeschaut und das, was da abgeht, ist definitiv erzählenswert: Während einige Mädchen sich wie üblich die Haare flochten und andere Kalaha spielten, hatte sich in der Mitte des Platzes eine Traube versammelt. Die Mädchen trommelten, sangen dazu laut mit und tanzten. Auch die kleinsten und zurückhaltenden Mädchen kamen richtig aus sich raus. Keine 10 Sekunden nach unserer Ankunft wurden Valerie und ich mit in den Sog der Stimmung gezogen. Wobei wir schnell feststellen mussten, dass wir da mit unseren deutschen Tanzschritten nicht weit kommen. Eines kann ich euch sagen: wenn beninische Mädchen tanzen, dann aber so richtig! Die Hüfte darf dabei nicht fehlen und auch der Einsatz der Schultern darf nicht unterschätzt werden. Einige Schritte habe ich versucht mir abzugucken, andere wurden mir gezeigt. Und dennoch haben sich die Mädchen köstlich über Valeries und meine Bemühungen amüsiert. Ich glaube ich habe mich noch nie so deutsch auf der einen und afrikanisch auf der anderen Seite gefühlt!
Habt noch einen schönen Tag und bis bald! LG Teresa
Klara
Liebe Teresa, so schön zu hören bzw zu lesen, dass es dir gut geht. Und: Ich hätte dich so gern tanzen gesehen 😉
Teresa Stefenelli
Ich kann euch gerne mal eine kleine Tanzeinlage geben, wenn ich zurück bin 😉
Lea
Hallo Teresa, ich bin ganz begeistert von deinen Texten. Es grüßt dich ein faszinierter Fan aus der Schalinski-Road. Mach weiter so!
Teresa Stefenelli
Freut mich, danke für den Support!
Dulima
So spannend und interessant wieder, was Du schreibst! Eine Frage hätte ich aber: was ist eine Kalaha?
Teresa Stefenelli
Kalaha ist ein Spiel, das aus einem Holzbrett mit Mulden und Steinchen besteht.
Mia Niemann
Es ist total schön aus Benin zu lesen! Aller Anfang ist ein Abenteuer!
Un peu, un peu wie die Beniner sagen würden und schwupps die wupps werdet ihr bald auch les « yovos béninois » werden! Ich wünsche euch beiden noch einen lebhaften Entdeckergeist und ganz viel Mut aus der eigenen Komfortzone zu treten für diese so aufregende Anfangszeit :)))
Teresa Stefenelli
Darauf freu ich mich schon! Merci beaucoup 🙂
Anita
Bitte schreib weiter diesen Blog. Ich finde die Mitteilung Deiner Erlebnisse richtig mitreißend und auch sehr interessant.
Anita
Teresa Stefenelli
Gerne, es bereitet mir Freude euch auf diese Weise teilhaben zu lassen 🙂
Elisabeth Oefelein
Ich lese weiterhin begeistert mit und finde es nach wie vor unglaublich toll, dass Du dieses besondere Freiwillige Jahr machst 🥰 das hätte mich nach dem Abi, glaub ich, auch sehr begeistert, wenn ich auch bestimmt nicht so mutig gewesen bin wie Du.
Ganz liebe Grüße
Elisabeth
Teresa Stefenelli
Freut mich 🙂 Bisher kann ich es sehr empfehlen, sich ein Jahr Zeit für solche Erfahrungen zu nehmen!