Hey ihr Lieben,

Gerade sitze ich auf dem Balkon vor meinem Zimmer und habe Aussicht auf das Snehalaya, das ich auch jeden Tag mehr als mein Zuhause bezeichnen würde. Ich lebe mich immer mehr ein. Das merke ich vor allem daran, dass jeder Tag wie im Flug vergeht. Irgendwie habe ich gelernt, wie ich mir hier mehr oder weniger sinnvoll die Zeit vertreiben kann. Ich spiele viel Tischtennis, unterrichte und unterhalte mich mit Personal und den Jungs. Dabei sind vor allem die Gespräche mit den Jungs zurzeit sehr spannend. Jeden Tag öffnet sich ein Junge mehr, grüßt mich und fängt eine kleine Unterhaltung an. Da war beispielsweise ein kleiner Junge, der schon früh morgens von Bauchschmerzen geplagt wurde. Ich brachte ihn in die Krankenstation und beschloss schließlich ihm meine Wärmflasche zu bringen. Die Wärmflasche hatte wohl besondere Kräfte. Von nun an darf ich nicht mehr von seiner Seite weichen. Ich soll aufpassen, wenn er versucht einzuschlafen und ich soll am besten 24 Stunden in der Krankenstation bleiben. Wenn ich gerade nicht da bin, wartet er eben vor meiner Tür bis ich komme. In dieser Woche begannen aber vor allem auch die großen Jungs sich mit mir zu unterhalten. Sie wunderten sich über meine Größe, sprachen über deutschen black forest cake (ich habe ewig gebraucht um zu kapieren, dass sie Schwarzwälder Kirschtorte meinen. 😀 )und sind sehr interessiert in deutsche Vokabeln. So habe ich nun so langsam zu jedem der ca. 70 Jungen meine eigenen kleinen Beziehungen, die sich untereinander unterscheiden und in denen es sehr viel zu entdecken gibt.

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Selfies sind hier übrigens sehr sehr beliebt

Selfies sind hier übrigens sehr sehr beliebt

Ich fange allerdings auch an, eine andere Seite der indischen Bevölkerung kennen zu lernen. Immer mehr merke ich, dass ich eine Weiße bin und dies auch Auswirkungen hat. Um es euch zu erklären, beschreibe ich einfach mal eine Situation die 1 zu 1 so stattgefunden hat:

In Indien ist es an Geburtstagen nicht üblich Geschenke zu bekommen, sondern man schenkt Bedürftigen Geschenke. Aus diesem Grund kommen fast jeden zweiten Tag gut betuchte Einwohner von Baroda und spenden Kuchen, Chicken oder auch Säfte etc. Dabei kommen sie immer im ganzen Familienclan, Kamera inclusive. Die meisten sind sehr nett, begrüßen mich und freuen sich, dass ich da bin. Und ich bin ihnen natürlich sehr dankbar, denn die Kinder strahlen immer sehr, wenn es beispielsweise Mangosaft gibt. Es gibt aber auch die Leute, die auf alles die Kamera halten und sich dem entsprechend nicht unterhalten. So auch am letzten Donnerstag. Auch auf mich wurde die Kamera gehalten. Aber nicht nur das, es wurde eine richtige Szene inszeniert. Man schüttelte mir die Hand und tat so als würde man sich mit mir unterhalten. Schließlich steigern nachweisbare Fotos mit Weißen das Ansehen. Tatsächlich aber wechselten sie nicht mal ein Wort mit mir, sie kamen aus dem Nichts nahmen meine Hand, schauten mir in die Augen und schon war ein Foto im Kasten. Eine Frage ich dies überhaupt möchte gab es nicht. Stattdessen fühlte ich mich wie ein besonderes Tier im Zoo und irgendwie auch ausgenutzt.

Den Sonntag nutzte ich natürlich wieder für einen Ausflug. Ich fuhr mit einer Collegestudentin, die mittwochs und freitags mit mir die drei Kleinen unterrichtet, in die Altstadt, um mir eine Tracht für das bevorstehende Festival zu kaufen. Zusammen mit ihrer Schwester und einer Freundin, gingen wir in ein für meine Augen recht nobles Geschäft. Man setzte sich vor den Ladentisch und die Verkäufer breiteten einen Rock nach dem anderen samt Oberteil und Stola (keine Fachbegriffe) vor uns aus, bis uns eine Farbkombination gefiel. Nun trapierte eine Bedienstete den Stoff an unsere Körper. Dazu behält man seine Alltagskleidung an und mithilfe von Gürteln und Klammern werden die Stoffe an deiner Vorderseite befestigt. Wenn du dich dann für EInes entscheidest wird noch Maß genommen und ein paar Tage später holst du dir dein maßgeschneidertes Kleid ab. Auf dem Markt kauften wir uns dann noch spottbilligen passenden Schmuck.  Der Ausflug wurde dann noch bei westlichen Fastfoodketten und Eis beendet. Mir tun diese Sonntage immer unheimlich gut. Sie erlauben mir einfach eine junge Frau zu sein, die shoppt und tratscht und ich kann die Erzieherin, die ich im Snehalaya bin, hinter mir lassen.

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Altstadt und Zentrum von BAroda

Altstadt und Zentrum von Baroda

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Liebe Grüße Luise