Heute sind es noch genau zwei Wochen, bis unser Jahr hier vorbei ist, etwas, was ich immer noch nicht ganz realisiert habe. Erst letzte Woche hat mich endlich meine Familie besucht und ich konnte ihnen Stück für Stück mein Leben hier zeigen, besonders natürlich meine Jungs und meine Mitvolos. Gleichzeitig stehen in den verbleibenden Tagen noch so viele große Feste und Events an, wie beispielsweise Don Boscos Geburtstag, dass überhaupt keine Zeit bleibt, sich allzu viele Gedanken zu machen.
Trotzdem wird die Zeit immer knapper und ein vorletzter Blogbeitrag muss auf jeden Fall noch sein. Denn auch, wenn bereits über zwei Monate vergangen sind, möchte ich unbedingt von Teresas und meinem fast einmonatigem Abenteuer durch Bolivien berichten, dem wohl abwechslungsreichsten Land, das ich je bereisen durfte.
Sucre – die weiße Stadt
Nachdem wir am Abend vorher den allerletzten Nachtbus geradeso erwischt hatten und unsere schweren Rucksäcke zwölf Stunden lang auf den Schoß nehmen durften, kamen wir am 25. April um sechs Uhr morgens in der Hauptstadt Boliviens an, in Sucre. Da wir netterweise für die drei Nächte in der WG anderer Weltwärts-Freiwilliger unterkamen und diese nicht in aller Frühe wecken wollten, setzten wir uns bis kurz vor acht erstmal bei wohligen 9 °C auf die Straße und frühstückten entspannt. Besser als mit Cola, Gummibärchen und Obst kann so eine Reise doch gar nicht beginnen.
Das Highlight in Sucre ist wohl die Altstadt selbst: Ganz anders als in Santa Cruz sind alle Häuser im Kolonialstil erbaut und blütenweiß angemalt, was unglaublich schön aussieht. Die folgenden drei Tage besuchten wir reihenweise Schlösschen, Kirchen, Märkte, Museen und sogar einen Folklore-Tanzkurs. Am spannendsten war dabei wohl das „Casa de la Libertad“, also das Haus und besonders der Raum, in dem letzten Sonntag (6. August) vor 198 Jahren die Unabhängigkeitserklärung Boliviens unterzeichnet wurde.
Durch die Minen Potosís
Weiter ging es für uns dann nach Potosí, durch ihre Silberminen im Berg „Cerro Rico“ einst die reichste und zweitgrößte Stadt der Welt. Auch wenn schon lange kein reines Silber mehr vorhanden ist und vor allem Zinnerz abgebaut wird, erstrahlt, die für mich wohl schönste Stadt Boliviens, mit ihren großen Steinbauten bis heute im Glanz vergangener Tage. Und, obwohl allein 70.000 ihrer fast 200.000 Einwohner in den Minen arbeiten, mutet sie an wie ein verschlafenes italienisches Kleinstädtchen. Besonders spannend war hier aber selbstverständlich unsere Tour unter Tage, hinein in das Herz des Berges.
Nachdem wir alle mit Schutzkleidung und Helmen ausgestattet worden waren, nahm uns unsere Führerin (eine ehemalige Minenarbeiterin) zuerst mit auf den Markt der Minenarbeiter, auf dem man als „minero“ von Dynamit, über Coca-Blätter, bis hin zu 96-prozentigem Schnaps alles bekommt, was notwendig für den Alltag, in einem der gefährlichsten Berufe Boliviens ist. Danach ging es auch für uns hinein, in die bis heute aktive Mine. Während wir ihr durch die dunklen Stollen folgten, trafen wir auf Minenarbeiter am Werk: Don Severino beispielsweise arbeitet seit 40 Jahren Tag für Tag dort unten – seit seinem dreizehnten Lebensjahr.
Die als Geschenk mitgebrachten Coca-Blättern helfen den Arbeitern, auch auf 4000 Metern über dem Meeresspiegel, jeden Tag über Stunden schwerste körperliche Arbeit zu verrichten. Der Schnaps dient einerseits, wie auch Zigaretten oder Coca-Blätter, jeden Morgen als Opfergabe an den Tío Jorge (der Gott unter der Erde oder auch der Satan), andererseits macht er natürlich auch die ewige Dunkelheit deutlich erträglicher. Besonders eindrücklich fand ich es, gemeinsam nebeneinandergekauert im Dunkeln zu sitzen und die Erschütterungen der Explosionen zu fühlen.
Unsere Führerin erzählte uns, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Arbeiter bei 45 Jahren liegt und trotzdem entscheiden sich jeden Tag zehntausende Menschen dazu, in die Minen hinabzusteigen, da man dort im Vergleich natürlich besser verdient, als in vielen anderen bolivianischen Berufen. Die Eindrücke aus der Welt unter der Oberfläche, werden mich sicher noch lange begleiten.
Vulkane, Geysire und Flamingos: der Salar de Uyuni
Mein absolutes Highlight der Reise war mit viel Abstand der Salar de Uyuni – der größte Salzsee der Welt. Da die Regenzeit bei uns schon vorbei war, heißt Salzsee einfach Salzkristall an Salzkristall und das auf einer 10.000 Quadratkilometer großen Fläche. Nach den üblichen Tourispots, wie einem Eisenbahn-Friedhof oder einem Salzrestaurant mit Flaggenhügel, folgten die obligatorischen Perspektivfotos mit Chipstüten und Dinofiguren und die Kaktusinsel. Besonders berührt hat mich der Salar aber erst am Abend: Selten habe ich so einen schönen Sonnenuntergang erlebt, wie den an unserem ersten Abend, während wir mit unserem guía Henry und unseren vier Mitreisenden (zwei Mexikanern und zwei Düsseldorfern) im Auto durch das endlose Weiß rasten.
Ebenso besonders wie das Salzhotel der ersten Nacht, mitten im Nirgendwo waren dann auch die rauchenden Vulkane, die Wüste mit verschiedensten Lagunen voller Flamingos, die zwei Bahnschienen mitten durch das Nichts und die qualmenden Geysire des zweiten Tages. Nach Einbruch der Dunkelheit gingen wir gemeinsam in die nahegelegene heiße Quelle baden (diesmal bei -5 °C Außentemperatur) und schauten uns den Sternenhimmel über der Wüste an.
Am letzten Tag standen dann noch ein paar weitere Lagunen und ein kurzer Stopp zum Lamastreicheln an, vor allem aber die ewig lange Rückfahrt nach Uyuni. Mit Henry, den Mexikanern und den Düsseldorfern waren wir mittlerweile so eng zusammengewachsen, dass wir mit letzteren noch den Abend im Restaurant verbrachten, bevor wir den Nachtbus in die Stadt des Himmels nahmen – nach La Paz.
La Ciudad del Cielo – La Paz und der Titicacasee
Obwohl wir in La Paz eine ganze Woche hatten, verbrachten wir quasi jeden Tag komplett anders als den vorherigen. Während wir einen Tag lang die Todesstraße (Camino de la Muerte), einst die gefährlichste Straße der Welt, über 3000 Höhenmeter mit Mountainbikes hinabrasten, besuchten wir am anderen den größten Markt Südamerikas in „El Alto“, oberhalb von La Paz. Am Abend standen dann Vorführungen im ältesten Theater Lateinamerikas oder nächtliche Fahrten mit dem Wahrzeichen, der Seilbahn, über die glitzernde Stadt an.
Besonders lange im Gedächtnis wird mir jedoch unsere Besteigung des Pico Austria bleiben: Mit zwei Hessen und unseren drei guías kämpften wir uns mit brennenden Lungen durch den Schnee und die dünne Luft bis auch 5000 Meter! Für den wunderbaren Ausblick hatte sich der stundenlange Aufstieg aber mehr als gelohnt.
Von La Paz aus ging es für uns dann, über die Hafenstadt Copacabana hinaus weiter, mitten auf die „Isla del Sol“, eine Insel im höchsten schiffbaren See der Welt: dem Titicacasee. Dort besuchten und erlebten wir zwei Tage lang Sonnentempel, wundervollste Sonnenauf- und -untergänge und aßen mehrmals täglich trucha (Forelle), das typische Essen des Sees. Von dort ging es dann noch einmal für einen Tag zurück nach La Paz.
See you later alligator – drei Tage im Dschungel
Den Abschluss unserer Reise machte dann Rurrenabaque – eine Stadt im Regenwald, von der aus wir eine dreitägige Tour in den Urwald und die Pampas starteten. Während wir auf dem Weg zum Dschungel schon einen Jaguar sahen, entdeckten wir dort, neben Papageien auch Totenkopfäffchen und unser guía zeigte uns bspw. den Curare-Baum, dessen Gift die indígenas früher für die Spitzen ihrer Pfeile benutzten.
An Tag zwei ging es dann im wahrsten Sinne des Wortes ab in die Pampa: Dort schwammen wir mit rosa Flussdelfinen, suchten in der Dunkelheit nach den unzähligen Kaimanen, sahen einen unglaublichen Sternenhimmel und Sonnenaufgang. Als der Guide unser Boot das erste Mal mitten in einen Busch hineinfuhr, zweifelten wir noch solange an seinen Fahrkünsten, bis die ersten Totenkopfäffchen zu uns aufs Boot gehüpft kamen und keinen Meter von uns entfernt neugierig alles erkundeten.
Home sweet home
Anschließend fuhren wir, über Trinidad, wieder nach Santa Cruz und kamen nach fast vier Wochen, die sich wie wenige Tage angefühlt hatten, wieder nach Hause zu unseren Lieblings-Mitvolos zurück. Tatsächlich ist Bolivien für mich eines der aufregendsten, abwechslungsreichsten und atemberaubendsten Länder, das ich je bereist habe. Mit einer Nachtfahrt kann man von 5 °C und 4000 Höhenmetern auf 35 °C und 300 Höhenmeter kommen und andersherum. Ähnlich wie die Natur, sind auch die Menschen und ihre Kultur in jedem departamento (Bundesland) komplett verschieden, wenn auch gleichbleibend herzlich, sodass man sich überall schnell zu Hause fühlt.
Auch wenn ich nur noch zwei Wochen wirklich hier sein werde, dieses unglaubliche Land im Herzen Südamerikas wird immer ein Teil von mir sein. Doch noch will ich nicht über Abschied nachdenken, sondern mein Leben hier in vollen Zügen genießen.
¡Hasta luego-Bis bald!
Hannah
rebecca
sehr schöne photos !!
Maria
Dem kann ich nur zustimmen
Maria
Sehr schön geschrieben!
Ulla
Danke für Deine Berichte über da sJahr und lass Dir den Abschied nicht zu schwer werden! Gruß aus dem Bonner Büro von Don Bosco Volunteers