Üblicherweise kommen fast nur Väter ins Foyer, um ihre Kinder zu besuchen, zu Elternabenden,… Das ist hier Männersache. Doch es gibt zwei, drei Mütter, die emanzipierter sind und sich selbst auf den Weg ins Foyer machen.
Eine davon ist Fidèle, Mutter von 7 Kindern und das 8. ist im Anmarsch. Ihre Tochter macht gerade ihre Abschlussprüfungen und ist deswegen noch im Foyer.
Ich kenne die Mama sehr gut, sie kommt oft im Foyer vorbei und dann plaudern wir. Am Donnerstag war der Geburtstermin, einen Tag davor schaut sie noch bei uns im Foyer vorbei, legt sich ein bisschen auf den Boden, weil sie müde ist. Aber ansonsten sind die Untersuchungen im Krankenhaus, zu denen sie aus dem Dorf extra nach Duékoué gefahren ist, bestens verlaufen. Das Baby kann kommen!  Viele Schwangere machen nur eine einzige Echographie (wenn überhaupt) , weil sie sich mehr Untersuchungen einfach nicht leisten können.
Donnerstag: Gegen 14 Uhr sehe ich Fidèle vor dem Krankenhaus, sie soll noch ein bisschen laufen und abwarten. Sie sieht glücklich aus, man spürt die Vorfreude, dass sie ihr Baby, dass sie seit 9 Monaten in ihrem Bauch und Herzen trägt, schon ganz bald in ihren Armen halten kann.
17 Uhr: Ihre Tochter und ich wollen schauen, ob das Baby schon da ist. Zusammen mit ungefähr 10 anderen Frauen liegt sie in einem Raum, alle kurz davor, zu entbinden. Manche liegen auf dem Boden, andere in schlichten Metallbetten. Von Intimität und Komfort nichts zu spüren. Bis zur Geburt kann es noch einige Stunden dauern, also lassen wir sie allein.
18 Uhr: Die Foyermädchen kochen für die Mama und den Papa, denn im Krankenhaus herrscht Selbstverpflegung. Wer krank ist, braucht eine Begleitung, die ihn gut mit Essen und Co versorgt. Außerdem muss man alle Medikamente, Utensilien, Behandlungskosten im Voraus bezahlen. Also braucht man auch noch jemanden, der das mit dem Geld regelt..
22 Uhr: Ein paar Foyermädchen sind immer noch im Krankenhaus, denn weil der Kindesvater nicht so viele Rechte und Möglichkeiten hat, seine Frau zu sehen und zu unterstützen, helfen sie. Weil es schon spät ist und die Mädchen morgen ihre letzten Prüfungen haben, hole ich sie ab. Sie sitzen vor dem Operationsraum. Es musste ein Kaiserschnitt gemacht werden. Einige Minuten später wird die Mama wortlos aus dem OP geschoben und in ein Zimmer mit 8 Patientinnen (+ Angehörige drumherum) verlegt. Sie ist noch nicht ansprechbar. Wo ist das Baby? Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Warum sagt uns keiner was? Langsam kommt Panik in uns auf. Und dann kommt die traurige Nachricht. Das Baby hat es nicht geschafft. Die Mutter weiß von all dem nichts, aber der Vater bricht zusammen und auch das Foyermädchen ist zutiefst traurig. Kaiserschnitte gehen hier leider öfter nicht gut aus. Es ist kein Einzelfall, dass es die Babys nicht schaffen. Ich fühle mich so ohnmächtig und irgendwie auch wütend, das ist doch nicht gerecht. Wenn sich genau die gleiche Szene an einem anderen Ort mit besserer medizinischen Versorgung, neueren Apparaturen… abgespielt hätte, da bin ich mir ziemlich sicher, würde der kleine Junge jetzt leben dürfen.
Auf dem Heimweg sagt mir seine große Schwester mit tränenerstickter Stimme: „Ich wollte doch mit meinem kleinen Bruder spielen!“
Niemand hat damit gerechnet, es war doch keine Risikoschwangerschaft. Bis vor 2 Stunden lief doch noch alles nach Plan.
Am nächsten Tag besuche ich die Mama. Sie macht sich um mich Sorgen, weil ich während der Schwangerschaft (seit 9 Monaten bin ich hier, seitdem kenne ich die Mama und seitdem ist sie schwanger) so mitgefiebert habe und mich so mit ihr auf das Kind gefreut habe. Immer wieder, mit einer schwachen, schläfrigen Stimme sagt sie: Ich habe das Baby nicht bekommen, es ist kaputt. Tränen laufen ihr über ihr erschöpftes Gesicht und sie ist zu k.o., um sie mit ihrer Hand wegzuwischen. Normalerweise ist sie eine Powerfrau, hat schon 7 Kinder großgezogen. Es tut weh, sie so gebrochen zu sehen. Der Verlust ihres kleinen Jungen scheint sie um Jahre älter werden zu lassen.
Sie ist froh, dass ich da bin. Um sie herum liegen sieben andere Frauen mit ihren Neugeborenen und so wird sie immer wieder daran erinnert, dass ihr etwas fehlt. Dass sie jetzt auch ein Baby im Arm halten sollte.
Jeden Tag bis zu ihrer Entlassung werde ich sie im Krankenhaus besuchen, ein bisschen ihre Hand halten und sie in dieser schweren Zeit begleiten. Immer wieder bricht sie einfach in Tränen aus,immer wieder nimmt sie meine Hand und sagt mir Danke. In der Tradition ist es eigentlich „verboten“ um das erste verstorbene Kind zu  weinen, denn man sagt, dass die Tränen und die Trauer für alle anderen der Familie den Weg in den Himmel versperren. Aber wie kann man einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, verbieten zu trauern. Gerade das Trauern ist doch wichtig, um das alles verarbeiten zu können. Und obwohl hier die Kindessterblichkeit noch ziemlich hoch ist und die Familien sehr kinderreich sind, tut jeder Verlust, jedes junge Leben, dass zu früh gegangen ist, weh.
Von Tag zu Tag sehe ich in ihren Augen einen Hoffnungsschimmer, der jedes Mal ein bisschen kräftiger ist. Und ich bin mir sicher: Sie wird aufstehen, ihre Kräfte sammeln und alles geben, um die beste Mama von 7 Kindern und einem Engel zu sein.