Mit Don Bosco in Duékoué

Franzi in der Elfenbeinküste

5- In einer anderen Zeit

P1030539

die Kirche

P1030541

von innen

Eigentlich wollte ich doch in die Elfenbeinküste und nicht ins Mittelalter…
Am letzten Sonntag waren wir mit den inzwischen 25 (ja, langsam wird es voller im Foyer!) Mädchen in der Messe. Auch wenn unter ihnen ein paar Muslime sind, gehen wir sonntags alle zusammen in die Kirche. Und die Muslime sind oft diejenigen, die am lautesten mitsingen und mit ganz viel Spaß dabei sind. Das ist echt faszinierend.
Nach 1 1/2 Stunden Gottesdienst waren wir fast beim Segen angekommen. Und das war für mich schon wirklich  ziemlich lang, vor allem, wenn man die Hälfte der Texte noch nicht so ganz versteht. Und da mann eine halbe Stunde vor Beginn in der Kirche sein muss, um noch einen Platz zu bekommen, saßen wir inzwischen 2 Stunden in der Kirchenbank.
Jede Woche singt ein anderer Chor und bei jedem Lied wird geklatscht. Das ist immer ganz schön. Doch so richtig getanzt wird nur vereinzelt in den Bänken und Trommler gibt es auch keine 🙁 Dafür ein Keyboard mit allen nur erdenklichen Soundeffekten… Alles wird auswendig gesungen, dass macht es für mich nicht gerade leichter, mitsingen zu können. Und P1030291wenn mal ein traditioneller Chor auftritt, dann verstehen nur die wenigsten Leute etwas, weil es hier sehr viele verschiedene Ethnien gibt, die verschiedene Sprachen sprechen oder singen.
Nach 1 1/2 Stunden hab ich mich gefreut, dass es gleich ein leckeres Frühstück gibt. Doch das musste leider noch länger auf sich warten.
Denn kurz vor dem Segen steht ein Mann auf und redet 1 Stunde und 13 Minuten (Ja ich hab ganz genau auf die Uhr geschaut!). Er ist im Kirchenvorstand der Gemeinde für den Haushalt zuständig und er hat unbewusst eine Zeitreise mit uns gemacht. Ich dachte wirklich, ich bin im der Zeit des Ablasshandels gelandet. Eine Stunde lang hat er auf die Gemeinde eingeredet  (die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt und ist nicht gerade klein und vor der Tür stehen auch ganz viele Menschen, die einfach nicht mehr reinpassen).
Zuerst wurden 2 süße Kinder gesucht, die ein Tuch halten sollten. Dann sollten alle, die keine Arbeit haben oder Hausfrauen sind, nach vorne kommen, um in das Tuch Geld zu schmeißen. Denn so erlangen sie ein Jahr voll von Segen. Und er erzählt uns eine Geschichte von ihm, wie er gespendet und das Vielfache zurückbekommen hat. Immer wieder zitiert er Bibelstellen, die genauso ausgelegt werden können, wie er es gerade braucht,um die Menschen zu überzeugen. Oder wie ich sagen würde, um sie zu manipulieren.
Die Leute sind nach vorne geströmt als gäbs kein Morgen mehr, dabei hat der Chor gesungen. Als nächstes spricht er die „Arbeiterklasse“ an und wieder setzt der Chorgesang ein, während die Menschen euphorisch spenden. Diese Prozedur wiederholte sich viele Male. Ihm sind die Ideen für einen neuen Ansturm auf das Tuch  nie ausgegangen. Und nachdem sich die Menschen wieder hingesetzt hatten und ich dachte, es reicht jetzt, bittet er eine andere Gruppe, nach vorne zu kommen. Jedes Mal, wenn Scheine den Geldbeutel verlassen haben und ins Tuch gefallen sind gab es Applaus, Geschrei, Standing Ovations.
Der Kirchenvorstand hat richtig Stimmung gemacht. Zwischendurch sollten alle, die Gottes Segen wollen oder an ihn glauben, aufstehen und so laut jubeln,  bis es nicht mehr lauter ging. Es ging wirlich ab! Das kann man sich kaum vorstellen, wenn man das nicht selbst erlebt hat.
Nachdem dann nach einer Dreiviertelstunde die meisten Kirchgänger 3 oder 4 Mal Geld ins Tuch geworfen haben, wurde direkt ausgezählt, wie viel zusammengekommen ist. Der Mann kommt kurz darauf wieder mit dem Ergebnis und 3 Kerzen. 3 ganz besonderen Kerzen, wer sie kauft, der erfährt dieses Jahr besonderen Segen. Gott beschützt die Menschen, die diese Kerzen anzünden. Magische Kerzen. Eine Kerze kostet aber mindestens 100000F, das sind ungefähr 150€.  150Euro für eine Kerze!!!! Davon leben ganze Großfamilien einen Monat. Und die drei Kerzen waren innerhalb von wenigen Sekunden weg. Ich hab echt gedacht, ich bin  im falschen Film. Und was ist mit denen, die 100000F niemals besitzen werden, sind sie deshalb minderwertig und weniger gesegnet??
Am Ende verkündet er stolz und zufrieden das Ergebnis: mehr als 2000€ sind in der Kollekte reingekommen. Sein Ziel war 1 Million Francs, und das hat er doch tatsächlich locker geschafft.
Mich hat die Szene wütend und traurig gemacht. Man kann doch nicht Segen kaufen oder verkaufen! Im 21. Jahrhundert, nach der Reformation und all den Fortschritten in der Geschichte. Es scheint, als wären die Menschen hier ganz weit zurück in der Zeit. Am liebsten wäre ich einfach aus der Kirche gerannt, aber das macht sich nicht. Vor allem, wenn man weiß ist, und sowieso auffällt. Also bin ich in der Bank gesessen, habe versucht, meine Emotionen zurückzuhalten und einfach gehofft, dass es so schnell wie möglich vorübergeht. Es hat nur noch die Handauflegung gefehlt zum Supergau 🙂 Sicherlich muss ich lernen, andere Kulturen und Geschehnisse, die mir fremd sind, zu akzeptieren. Es hinzunehmen, wie es ist. Doch in dem Fall ist mir das wirklich schwer gefallen, weil das gegen alles strebt, was in meinen Augen gut und gerecht ist.
Ich habe mich gefragt, ob das in Afrika „normal“ ist. Doch nachdem auch die afrikanischen Schwestern große Empörung äußerten, war mir klar, dass es so eigentlich nicht ablaufen darf.
Nun bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Kirchenvorstand geredet wird und so die nächsten Sonntagsgottesdienste dann nur noch 1 ½ Stunden ohne Zwischenfälle und Zeitreisen dauern;)

P1030543 Kopie

Parkplatz vor der Kirche – Das ist eher ein Bikertreffen, Autos gibt es nur eine Hand voll 😉

Noch eine andere Situation hat mich sehr an eine Zeit vor unserer erinnert:
Oft bringen die Väter der Mädchen aus dem Foyer noch Sachen vorbei, bezahlen etwas… Doch zwischen Vater und Tochter herrscht eine Beziehung, die mich schockiert. Die Mädchen sind sehr unterwürfig, sie berühren ihren Papa nicht und schauen ihm oftmals auch nicht in die Augen, sie stellen sich weit entfernt vom Vater hin und manchmal sogar mit dem Rücken zu ihm. Wenn nicht gerade Stille herrscht, dann reden sie in einem mir ungewohnten  Ton in einer Familie: der Vater sehr autoritär und befehlerisch, das Mädchen leise, kurz und ohne Widerrede.
Einmal ist ein Mädchen vor ihrem Papa sogar auf die Knie gefallen. Mir kommt es fast so vor, als hätten sie angst, mit ihrem Papa zu reden. Das höchste aller Gefühle war, als ein Papa seiner Tochter die Hand zur Begrüßung gegeben hat. Mir kommt das alles so distanziert, kalt, lieblos vor. Sœur Irène, die ja auch aus Westafrika kommt, hat mir erklärt, dass es hier üblich ist, so mit seinen Kindern umzugehen. Selbst die Frau ist noch oft dem Mann nicht gleichgestellt. Dass ein Mann hier mehrere Frauen hat, ist auch kein Einzelfall. In den großen Städten ist das alles etwas europäischer, doch unsere Mädchen kommen alle aus kleinen Dörfern und dort ist es eben die Tradition.
Papa, wenn ich dich jetzt bloß wiedersehen könnte, ich würde mich so freuen!.. Und dann hoffe ich doch, mehr als bloß eine Hand von dir zu bekommen 🙂 Ich würde dir alles erzählen und zeigen, mit dir lachen. Es wäre so ziemlich das krasse Gegenteil von dem, was ich hier jeden Tag sehe.

Um noch die Frage nach dem Klima zu beantworten: Wir befinden uns gerade so am Ende der Regenzeit, die dieses Jahr sehr lang ist. Morgens ist es erstaunlich frisch, nachmittags wird es dann aber heißer. Zur Zeit ist es hier also gut aushaltbar für mich. Doch ich habe die Befürchtung, dass bald die  unerträgliche Hitze,  an die man sofort denkt, wenn man nur Afrika hört, ausbrechen wird. Wegen der eher hügligen Landschaft hier habe ich leider noch keinen idyllischen Sonnenuntergang gesehen. Aber die Sterne sind wirklich sagenhaft.

P1030461

Der Berg von Duékoué

Heute ist es nun schon 4 Wochen her, dass ich in Deutschland aufgebrochen bin. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich bin so dankbar, für all die Erfahrungen und neuen Erkenntnisse, die ich bisher bereits sammeln durfte. Und auch für alle Menschen, die ich schon kennengelernt habe und die großzügig alles mit mir teilen wollen.
An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an euch alle, für eure Unterstützung – nicht nur finanziell 😉 – und das Interesse an meinem Blog & meinem Jahr in Duékoué.  Ohne euch wäre mein Freiwilligendienst nicht möglich.
Liebe Grüße,
eure Franzi

Vorheriger Beitrag

4- Kneif mich mal!

Nächster Beitrag

6- Kleine Hausführung

  1. Liebe Franziska!
    Deine Emotionen in der Kirche konnten wir selbst richtig spüren und nachvollziehen; das ist ja schlimmer wie in manchen Pfingstkirchen in Amerika… Und die Vater-Tochter-Beziehung eurer Mädchen – schlimm…
    Aber ja, die Welt ist vielfältig, die Kirche Gottes und der Glaube ist vielfältig. So lernst Du gut, die „Geister zu unterscheiden“. – Wir bewundern Deine tiefgründige Reflexionsgabe! – Alles Gute!
    Anni und Kurt

Schreibe einen Kommentar

Ich stimme zu, dass meine Angaben aus dem Kommentarformular zur Beantwortung meiner Anfrage erhoben und verarbeitet werden. Hinweis: Sie können Ihre Einwilligung jederzeit für die Zukunft per E-Mail an info@donboscomission.de widerrufen. Detaillierte Informationen zum Umgang mit Nutzerdaten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Läuft mit WordPress & Theme erstellt von Anders Norén