In diesem Beitrag geht es um meine Erfahrungen mit Glaube und Religion. Ich arbeite aktuell in der Jugendhilfe mit Jugendlichen zwischen neun und neunzehn Jahren bei einem kirchlichen Träger, das hat meiner Meinung nach manchmal einen etwas bitteren Beigeschmack. Nicht selten werde ich gefragt, wie ich zur Kirche und den aktuellen Vorwürfen stehe.

Die fortdauernden und systematischen Skandale der katholischen, aber auch der evangelischen Kirche beim Thema Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen verurteile ich sehr scharf. Aktuell steht die katholische Kirche aufgrund der vielen Fälle unter Zugzwang, doch auch die evangelische Kirche ist mit der Aufarbeitung um Jahre hinterher. Ich fühle mich nicht in der Position, das Thema zu behandeln, dafür fehlt mir der Bezug und das Wissen. Das unermessliche Leid betroffener Menschen kann ich lediglich versuchen zu erahnen. In den Kirchen muss viel geschehen, um dem verursachten Schaden annäherungsweise aufzukommen.

Dennoch möchte ich gerne meine Erfahrung mit Spiritualität und Glaube bei Don Bosco und mit der katholischen Kirche teilen. Aufgrund meiner positiven Erlebnisse mit Don Bosco fällt es mir sehr schwer mir vorzustellen, dass meine Erfahrungen und die Fälle von Missbrauch teil einer gemeinsamen Institution sind.

Nun zum eigentlichen Beitrag:

Jaja, die Sache mit der Religion. Bei dem Thema fühle ich mich wie Gretchen, als Faust sie diese Frage stellt: völlig überfordert (zu irgendwas muss das Deutschabi zu Goethes Faust ja nützlich gewesen sein). Jede*r hat eine Meinung zum Konzept Religion und von der Schuld am Versagen der Menschheit bis hin zum überlebenswichtigen Konzept für die Rettung der Welt ist alles dabei. Wie soll ich denn dazu denken?

Aufgewachsen in einem evangelischen Elternhaus mit einem Vater als Kirchenmusiker habe ich durchaus stets viel mit der Kirche am Hut gehabt. Kindergottesdienste, Kirchenchor, Konfiteamer, Kirchentagsgänger, das ganze Programm. Diese Aktivitäten haben mir immer Spaß gemacht und ich habe Kirche positiv erlebt. Dennoch bin ich mir der Probleme und Konflikte weltweit bewusst, die verschiedene Religionen so mit sich bringen. Und wenn ich an Freunde denke, die nicht religiös sind, merke ich, dass ich von Kind auf von Kirche geprägt bin. Ist meine Erfahrung mit Kirche vielleicht nur deshalb positiv, weil ich es nicht anders kenne? Ist Religion nur ein Betäubungsmittel, um Menschen zu besänftigen und sie ihrer Verantwortung zu entziehen? Ist die Macht und der Einfluss, den die Kirchen in Deutschland haben, noch gerechtfertigt? Und schnell landen wir wieder bei Grundsatzfragen.

Meine Erfahrung mit Don Bosco

Jedenfalls habe ich vor meinem Freiwilligendienst bei Don Bosco nicht geahnt, wie sehr ich mit Religion und Glaubensfragen in Kontakt kommen werde. Gut, ein katholischer Träger, aber im Vordergrund steht ja meine Fahrt nach Argentinien und meine Arbeit dort, so dachte ich zumindest. Corona wandelte diese Aussicht bekannterweise zu einem abwechslungsreichen Jahr in Deutschland. Vor allem die Akademie-Zeit im Kloster Benediktbeuern – tief im katholischen Bayern – mit Gottesdiensten am Sonntag und täglichen spirituell angehauchten Good-nights traf meinen unsicheren Glauben unerwartet. Doch erstaunlicherweise habe ich mich schnell wohl gefühlt in dieser Umgebung und konnte dem festen Ablauf im katholischen Gottesdienst etwas abgewinnen. Die Eucharistie hat durchaus etwas Festliches. Zudem haben wir die Gottesdienste meist sehr musikalisch und frei gestaltet. Ich war überrascht von der Toleranz, Weltoffenheit und Selbstkritik der Menschen in Benediktbeuern. Wie ist das Leben im Zölibat, Diversität und Gleichberechtigung in der Kirche, wie lebe ich meinen Glauben, moderne Missionierung oder die Kirche als Sekte, vor keinem Thema haben wir halt gemacht.

Vorbereitung für unseren Gottesdienst

Am meisten habe ich aus vielen Gesprächen mit meinen Mitvolunteers und den Salesianern mitgenommen. Die offenen Diskussionen zu dem Thema waren unglaublich spannend und inspirierend. Unterhaltungen nachts um drei gingen weit über Fragen wie die der Gottesexistenz oder dem richtigen Glauben hinaus, hin zu persönlichen Erfahrungen, inneren Konflikten und der Bedeutung von Glaube für das eigene Leben. Ich habe nochmal viel über mich selbst gelernt und meine eigenen Vorstellungen aus neuen Blickwinkeln betrachtet.

Für meine Zukunft weiß ich, dass ich weiterhin meine Augen und Ohren beim Thema Glaube und Religion spitzen werde. Es wäre ja schade, irgendeine der coolsten, absurdesten oder stimmigsten Glaubensvorstellungen zu verpassen. Gerade andere Religionen würde ich gerne noch näher kennenlernen. Ich weiß nicht, ob wir Religion brauchen oder ob sie uns Menschen guttut. Sie ist Teil unserer Gesellschaft und sollte sich dieser anpassen und ihren Zusammenhalt unterstützen. Religion sollte stets das Wohl aller und nicht nur das seiner Anhänger*innen im Blick haben.

Und wie sehe ich die Kirche gerade?

Aktuell erlebe ich die Kirche als solidarische Institution, die maßgeblich zum Wohl junger Menschen beiträgt. Don Boscos Gedanke wird hier in meinem Freiwilligendienst in Sannerz gelebt und fördert eine Kinder- und Jugendhilfe, auf die unsere Gesellschaft sehr dringend angewiesen ist. Rechtfertigt das die fehlende Gleichberechtigung, die Trans- und Homophobie und Frauenfeindlichkeit, den intransparenten Umgang mit Finanzen oder gar die fehlende Aufarbeitung der Kirchen beim Thema Missbrauch? Nein und dennoch leistet Don Bosco als Orden hier eine unschätzbare Arbeit. Kinder und Jugendliche, sowie die Gesellschaft profitieren von den Früchten der Arbeit Don Boscos.

Antworten auf die großen Glaubensfragen gab es heute keine, aber ich hoffe, dass der Beitrag Euch ein paar Einblicke zu meinen aktuellen Erfahrungen gegeben hat. Ich freue mich sehr über Fragen, Austausch oder gar hitzige Diskussionen! Demnächst kommen hoffentlich wieder regelmäßiger Beiträge über meine derzeitige Situation und was ich so mache.

Einen guten Start in den „Pride Month“ sowie in den Sommer pünktlich zum meteorologischen Sommeranfang!