Finger im Essen

Die Sonne stand bereits hoch über dem Strand von Agoda Beach. Es war Nachmittag, und noch immer saßen einige Touristen, Rucksackreisende und Alternative in Fatimas Corner, um ein verspätetes Mittagsmahl zu halten.

Die Einkaufsstraße in Agonda Beach: Rechts die Speisekarte eines typischen Lokals

Es war heiß. Zwar nicht für indische Verhältnisse, schließlich war es Winter. Doch die meisten Gäste versuchten, sich die 30 Grad mit kurzen T-Shirts und Tanktops vom Leibe zu halten. Vorzugsweise bedruckt mit einem kunstvoll gestalteten Om-Zeichen, gekauft vermutlich an der großen Strandpromenade, aus der der Ort zum größten Teil besteht. Aus der Küche zog der warme Duft von frisch Gebratenem in das Lokal. Lächelnd serviert der Kellner, ein Nordinder, der Saisonweise hier arbeitet, einem jungen Mann mit übergroßen, gepflegtem Barthaar ein großes Beef-Steak. „One Kings, please“. Wenig später folgt das bestellte Bier. Kurz darauf betreten zwei Jugendliche mit hoch aufgepackten Rucksäcken das kleine Lokal. Sie zögern kurz und setzen sich schließlich an einen kleinen Tisch in der hinteren Ecke.  „Gibt es hier eine Möglichkeit zum Händewaschen?“ lautet promt die erste Frage an den Kellner.  Dieser nickt stumm und deutet auf das kleine Waschbecken am Eingang.

Endlich waren wir in Goa angekommen. Die letzte Nacht war kurz gewesen. Wir hatten sie in einem zugigem Abteil der indischen Eisenbahn verbringen müssen. Auf einer Gepäckablage. In der niedrigsten Reiseklasse. 16 Stunden lang. Unsere gebuchten Tickets hatten es leider nicht von der Warteliste geschafft. Danach weitere zwei Stunden mit dem Bus. Übermüdet und hungrig war uns das kleine Restaurant vor der Kirche genau gelegen gekommen. Jetzt saßen wir an unserem Tisch und warteten ungeduldig auf das Essen. „Das dauert aber auch lange, bis das kommt“, meinte Hendrik. „Ja, ist man gar nicht mehr gewohnt!“, antwortete ich. In den kleineren indischen Restaurants, die wir mittlerweile gewohnt waren, steht das Essen bereits nach wenigen Minuten auf dem Tisch. „Und für das Wasser müssen wir anscheindend auch noch extra bezahlen.“ Das wird sonst kostenfrei in Metallkrügen zur Verfügung gestellt. „Dafür gibt´s hier auch eine größere Auswahl. Pizza, Burger, Steak, Fisch, …“ Nach weiteren geschlagenen 10 Minuten des Wartens schlängelte sich tatsächlich der Kellner mit unserem Besteck durch die Sitzreihen. In aufrechter, höflicher, westlicher Kellnermanier platzierte er es schwungvoll vor unseren Nasen. Kurz darauf erschienen auch unsere bestellten Naan und Roti, zwei nordindische Sorten Fladenbrot, in bereits geschnittener Form. Zusammen mit dem mitgelieferten Masala platzierten wir alles ordentlich auf dem Porzellanteller, der das sonst übliche Bananenblatt ersetzte.

Typisch sündindisch: Reis mit Sambar und Appalam auf einem Bananenblatt, dazu ein Glas Wasser

Das restliche Besteck landete mit entschiedener Miene schließlich außer Reichweite am Tischende.  Selbstbewusst begannen wir also, die Gerichte auf indischer Weise mit den Fingern zu verspeisen, wohl darauf achtend, die linke („unreine“) Hand nicht zu gebrauchen. Mit einem Lächeln im Gesicht räumte der Kellner später unsere Teller wieder ab. „Wollt ihr sonst noch was?“ fragte er pflichtbewusst. „Ja, einen Espresso bitte!“ bestellte ich darauf hin. Der wurde sogleich aus der original italienischen Espressomaschine gepresst. Einer meiner ersten Nicht-Instant-Coffee-Pulver-Kaffees in Indien. Serviert ohne Zucker, denn der steht ja schon auf dem Tisch bereit. Nachdem wir bezahlt und ein vernünftiges Trinkgeld gegeben hatten, verließen wir „Fatima´s Corner“, um unser Strandresort in der Touristenstadt zu suchen.