Reise nach Kanyakumari – Teil 2
Im zweiten Teil des Reiseberichts geht es um bedeutende indische Persönlichkeiten, einen ziemlich blassen Sonnenaufgang und eine kleine Himalaya-Entschädigung. Falls ihr Teil 1 noch nicht gelesen habt, gibt es hier die Möglichkeit dazu.
Hinduismus für alle
Den Samstag wollen wir den Sehenswürdigkeiten Kanyakumaris widmen. Die bekanntesten sind die Bauwerke auf den zwei Felsen vor dem Festland. Dabei handelt es sich zum einen um eine eine Gedenkstätte für den hinduistischen Wandermönch Swami Vivekananda. Dieser meditierte auf einem eben jener Felsen im Jahre 1892 für drei Tage, nachdem er zuvor durch ganz Indien gereist war, und fasste daraufhin den Beschluss nach Amerika zu gehen, und in Chicago vor dem Weltparlament der Religionen zu sprechen. Er wollte dem Westen den Hinduismus, als Weltreligion für alle Menschen, vorstellen. Im Gegenzug jedoch auch, den westlichen Fortschritt in Sachen Wissenschaft, Technik oder Lebensstandart in die indische Gesellschaft einführen. Er sorgte damit für einen kulturellen Austausch, der vor allem im Westen großen Anklang und Fürsprache fand.
Zu Vivekanandas Lehren zählt unter anderem der Vergleich Indiens mit der westlichen Welt. Während er Indien als Wiege der Religiosität und Spiritualität sieht, ist seiner Auffassung nach, die westliche Leistungsgesellschaft dem seelenlosen Materialismus zum Opfer gefallen. Dies kann auch ich durch meine bisherigen Erfahrungen bestätigen.
Die Inder sind ein überaus religiöses Volk, welches für beinahe alle Handlungen und Dinge eine Art spirituelle Erklärung hat, die für uns teilweise schon an Aberglaube grenzen mag. So betet die bei uns ansässige ländliche Bevölkerung im Tempel regelmäßig beispielsweise für Regenwetter, damit es eine erfolgreiche Ernte geben wird. Es wird sehr viel Verantwortung in die Hände der Götter gelegt, was einen selbst wiederum der eigenen entbindet. Wir im Westen wollen, entgegengesetzt dazu, nichts dem Zufall überlassen und arbeiten beinahe krankhaft an maßloser Perfektion, in allen Bereichen des Lebens. Das mag zum einen zwar wirtschaftlichen Erfolg und materiellen Reichtum mit sich bringen. Jedoch gibt es eben auch die Schattenseiten, wie sie Vivekananda darlegt: Egoismus, eine gewisse Seelenlosigkeit und vor allem ein enormer, durch Perfektionismus angetriebener, Druck innerhalb der Gesellschaft.
Und da Vivekananda eben so eine entscheidende Persönlichkeit für den Hinduismus darstellt, ist auch der Ort Kanyakumari das Ziel zahlreicher Pilger geworden. Dabei gehört der Besuch der Gedenkstätte und des Tempels genauso dazu, wie auch ein Bad im Meer oder das Beobachten des Sonnenaufgangs. Diesem wollen wir am Sonntagmorgen ebenfalls beiwohnen. Letztlich müssen wir uns aber, wie die Hundertschaften hinduistischer Pilger, ob des unvorteilhaften Wetters –aufgrund des Nebels ist der Horizont kaum auszumachen – eingestehen, dass es heute nicht mehr zum romantischen Sonnenaufgang kommen wird. Der Besuch der Gedenkstätte und des Museums, welches Vivekanandas Wanderschaft ausführlich darstellt, ist aber dennoch drin.
Tamilisches Minderwertigkeitsgefühl
Wie ja bereits angedeutet gibt es noch ein weiteres Bauwerk vor der Küste Kanyakumaris. Hierbei handelt es sich um eine Statue, welche dem tamilischen Dichter Thiruvalluvar zu Ehren erbaut wurde.
Sie misst 133 Fuß (40,5 m), was in Zusammenhang mit seinem 133 Kapitel umfassenden Werk Tirukkural steht. Auf ein Alter von über 1500 Jahre wird das, auf Palmblättern verfasste, Manuskript geschätzt. Es enthält Lehren zu den drei Lebenszielen des Menschen: Tugend, Wohlstand und Liebe. Recht amüsant ist die in einem Reiseführer geschilderte Entstehungsgeschichte der Statue am Südkap Indiens. Da Swami Vivekananda aus Kalkutta stammt, und damit ein Nordinder ist, wollte man auch einer Ikone aus Tamil Nadu die Ehre erweisen. Somit entstand die im Jahre 2000 eröffnete Statue, welche sich nun auf zahlreichen Selfies der Touristen wiederfinden lässt. Wie wir finden, ein ziemlich komischer Grund, solch ein Bauwerk zu errichten.
Spontane Wandertour
Sonntagvormittag treten wir wie geplant die Heimreise an. Auf der Busfahrt von Kanyakumari nach Nagercoil erspähen wir jedoch einen Berg, über welchen ich zuvor bereits ein wenig gelesen hatte. Der Ausblick soll recht schön und der Aufstieg interessant sein, da man unter anderem auch an Tempeln und einem Ashram vorbeikommt. Da unser ursprünglicher Wunsch, eine Reise in den Norden Indiens zum Himalaya-Gebirge, wohl in diesem Freiwilligendienst nicht verwirklicht werden kann, brauchen wir zudem eine miniminimale Entschädigung. Das Gepäck „parken“ wir am Bahnhof in Nagarcoil und begeben uns anschließend auf die Spuren des wandernden Mönchs.
Während des Aufstiegs begegnen wir zahlreichen Familien oder Pilgern. Immer wieder bin ich erstaunt und beeindruckt, dass diese den teilweise doch recht beschwerlichen Weg mit Flip-Flops oder barfuß antreten. Zudem tragen die Frauen wie immer ihre langen Kleider, welche für eine Wanderung ebenfalls eher weniger optimal sind. Aber auch sie kommen letztlich, wie auch wir, am Gipfel des knapp 250 m hohen Bergs an. Durch das bereits erwähnte Wetter wird der Ausblick im wahrsten Sinne des Wortes zwar etwas getrübt, trotzdem konnte man einiges der Umgebung noch sehr schön erblicken. Nicht nur die umliegenden Dörfer, Felder und Tempel, sondern auch die sich in drei Himmelsrichtungen erstreckende Küste. Zu unserem Glück sind wir auch noch Zeugen einer kleinen hinduistischen Zeremonie, welche sich um die Reinigung der Gebetsstätte und kleinen Gottesstatue dreht. Auch hier wird man wieder offen aufgenommen und so gut wie es die Sprachkenntnisse und Zeichensprache zulassen, erklärt, worum es sich hierbei handelt. Bevor wir uns wieder bergab in Bewegung setzten, bekomme ich noch einen gelben Strich auf Stirn gemalt und ein paar Selfies werden mit uns geschossen. Das gehört eben einfach dazu…
Für die Rückfahrt versorgten wir uns zuvor mit Zugtickets. Da wir jedoch keine Reservierung haben, sitzen wir die zweieinhalb Stunden Fahrt auf einer Pritsche knapp über den Köpfen der anderen Fahrgäste. Für die Länge der Fahrt ist das zwar absolut ausreichend – vor allem bei einem Preis von 75 Rupien bzw. einem Euro pro Person – bei weiten Stecken sollte man dann aber doch lieber in einer höheren Klasse seine Plätze reservieren.
Die erste Reise in den südlichsten Süden Indiens war sehr spannend und von einigen interessanten Begegnungen geprägt. Vor allem die Landschaft, welche sich von der Umgebung Keela Erals schon sehr stark unterscheidet, hat uns unglaublich gut gefallen. Die unmittelbare Nähe der Berge, Wälder und des beruhigenden Rauschen des Meeres ergibt eine tolle Mischung, welche den Besuch sehr abwechslungsreich gestaltet hat.
Ich hoffe euch allen geht es gut, wünsche eine besinnliche Adventszeit und versende Liebe Grüße in alle Ecken der Welt!
euer Hendrik
Tiberius
Hey Hendrik,
das ist ein sehr toller Blogbeitrag geworden. Vor allem der erste Teil hat mir gut gefallen. Es zeigt, dass der Materialismus der westlichen Welt einen niemals glücklichen machen kann. Im Gegenteil unser Leben ist geprägt von Neid und Egoismus.
Wünsch dir weiterhin viel Spaß bei deinem Abenteuer in Indien und genieß die Zeit mit Julia und deiner Mama!
Hendrik Schwörer
Hallo Tibi,
vielen Dank!! 🙂 Es freut mich, dass du die Problematik erkennst und die Meinung von Vivekananda teilst. Damit bist du schon weiter als der Großteil der westlichen Welt.
Auch den anderen etwas zu gönnen und sich mit ihnen zu freuen, kann genauso erfüllend sein, wie ein eigener Erfolg. Julia und Mama habe ich heute morgen zum Flughafen gebracht und verabschiedet. Wir hatten sehr schöne zwei Wochen zusammen.
Liebe Grüße nach Grafenhausen