Eigentlich wollte ich an dieser Stelle gerne einen Eintrag über einen Besuch bei einer indischen Hochzeit veröffentlichen. Ein Hostel Boy hat uns zur Hochzeit seiner Schwester eingeladen und wir freuten uns schon sehr auf diesen Tag, da es eine erstmalige Erfahrung für uns werden sollte. Leider kam dann letztlich, ganz plötzlich, alles anders.

Nur eine Stunde von uns entfernt – im indischen Maßstab ein Katzensprung – liegt an der Ostküste des indischen Subkontinents die 400.000 Einwohner Stadt Tuticorin. Schon seit Beginn des Jahres wird hier regelmäßig gestreikt und demonstriert. Grund für den Unmut der Bevölkerung ist ein Schmelzwerk für Kupfer (Sterlite Copper), das erweitert werden sollte. Die Menschen sind beunruhigt über ihre Gesundheit, da die Fabrik offenbar Luft und Wasser so sehr verschmutzt, dass es zu Atem- und Hautproblemen, sowie zu Kreislaufstörungen komme. Sie fordern die sofortige Schließung der Anlage, die schon seit 1996 in Betrieb ist.

Da am 22. Mai seit einhundert Tagen demonstriert wurde, wollte man dieses „Jubiläum“ nutzen und ein starkes Zeichen setzten. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße und skandierten gegen die Fabrik – „Ban Sterlite“ – und die Regierung, welche die seit Wochen anhaltenden Proteste einfach ignorierte. Doch zum ersten Mal wurden die Protestierenden auch teilweise gewaltätig und steckten mehrer Autos in Brand. Die Polizei war mit der Masse an Menschen total überfordert und musste vor ihr flüchten (siehe YouTube-Video). Dies führte letztlich dazu, dass 13 Menschen erschossen wurden und über 100 weitere schwer verletzt. Die Tatsache, dass nicht-uniformierte Polizisten mit Sturmgewhren auf die Menschen geschossen haben, lässt viele vermuten, dass diese Aktion von der Regierung geplant war, um die Menschen einzuschüchtern, und Macht zu demonstrieren.

Innerhalb von kürzester Zeit verbreitete sich diese Nachricht über die sozialen Medien. Überall waren Bilder der Opfer oder Videos des Protestmarsches zu sehen. Es wurden Cartoons und Bilder mit regierungskritischen Botschaften erstellt und vielfach geteilt. Die tamilsche Regierung reagierte darauf, indem sie kurzerhand für vier Tage in Tuticorin und den Nachbardistrikten das Internet ausschalteten, was auch uns betraf. Ein Vorgehen, wie ich es ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten habe. Ein solch willkürliches Vorgehen einer demokratisch gewählten Party, eine kurzzeitige Zäsur der Bürgerrechte, gab es in dieser Form, wie uns die Fathers sagten, noch nie in Tamil Nadus Geschichte.

Doch auch der Busverkehr wurde beinahe komplett eingestellt und die Straßen von den Polizisten abgeriegelt, sodass für uns nicht an den Besuch der Hochzeit zu denken war. Ganz abgesehen davon, dass unser Rektor nicht damit einverstanden war, uns nur zwei Tage nach dem Vorfall in die Richtung Tuticorins gehen zu lassen. Letztlich trägt er die Verantwortung für uns.

Immerhin wurde aber letztenendes das Gelände, welches der Betreiber der Kupferschmelze für deren Ausbau vorgesehen hatte, wieder von der Regierung zurückgenommen und die Fabrik zumindest vorübergehend geschlossen. Die Menschen haben mit ihren Protesten zwar schwere Opfer hinnehemen müssen, aber dennoch ihren Willen durchgesetzen können.

Eine Erfahrung, die man mit Sicherheit kein zweites Mal machen will. Nicht nur, weil man für wenige Tage mehr oder weniger von der Ausenwelt abgeschnitten war. Sondern auch weil ich gemerkt habe, was es heißt unter einer willkürlich handelnden Regierung zu leben. Schon oft haben wir von Korruption und Bestechungen in der indischen Politik aus Erzählungen gehört. Doch dies war nochmal eine ganz andere Erfahrung.

Ich hoffe euch geht es allen gut und ihr könnt die kommenden Ferien genießen!

Liebe Grüße aus Keela Eral