Am Sonntag bin ich mit 2 Freunden, Pater Carlos und Soeur Françoise in ein sehr abgelegenes Dorf gefahren, das aber zur Gemeinde Duékoué gehört (sowie 90 andere Dörfer!): Michelkro (Kro = Dorf auf Baoulé, also Michels Dorf). Dort hat Pater Carlos eine Messe gefeiert und wir sind mitgefahren, um das Dorf anzuschauen und die Menschen zu besuchen.
Die Fahrt dorthin dauerte eine Stunde. Die ersten 20 Minuten fuhren wir komfortabel auf einer Teerstraße. Und dann hört die Straße plötzlich auf und es gibt nur noch rote Sandwege, die einer Kraterlandschaft gleichen. Ohne Jeep hat man da wirklich keine Chance, durchzukommen. Ich war sehr froh, dass ich morgens nur eine Banane gegessen habe. So durchgeschüttelt, wie man dort wurde, wäre das mit vollem Bauch nicht gut gegangen 😉 Dagegen ist Berg-und-Talbahn-Fahren nichts.
Ich war mit einem GPS-Gerät ausgerüstet, mit dem ich jedes Dorf und jede Weggabelung markiert habe. Anschließend soll so eine Karte der Gemeinde entstehen, weil es bis jetzt einfach keine gibt.
Bis zur Messe hatten wir noch 2 bis 3 Stunden Zeit. Es hat ja niemand eine Uhr, also sind wir relativ flexibel. Die Menschen in den Dörfern leben sehr im Einklang mit der Natur und richten ihren Tagesrhythmus nach Sonnenaufgang und -untergang aus.
Aus vielen Nachbardörfern sind die Menschen in Scharen kilometerweit bei praller Hitze hergelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren, nur um bei der Messe dabei sein zu können. Da sie kurz nach Sonnenaufgang losgelaufen sind, ging die Messe dann um 10 Uhr los. Wer würde in Deutschland einen stundenlangen Marsch auf sich nehmen, nur um in die Kirche gehen zu können? A propros Kirche. Es war ein mit Blättern überdachtes Holzgestell. Darunter hatten vielleicht 200 Leute Platz. Drumherum saßen Hunderte Leute auf dem Boden, Steinen oder zusammengeschusterten Stühlen…
Die freie Zeit haben wir genutzt, um durch das Dorf zu laufen, Familien zu besuchen, die Einkaufsstraße zu erkunden… Die Dörfer sind viel sauberer als die Städte. Obwohl hier jegliche Infrastruktur fehlt, schaffen die Dorfbewohner es, sich gut zu organisieren und ihren Ort schön zu machen. Außerdem habe ich trotz der wirklich großen Armut in diesem Dorf so viel Lebensfreude und Gastfreundschaft gespürt. Auf jedem „Hof“ fanden wir Großfamilien, Männer beim Kakao bearbeiten oder Betrituale durchführen , stillende Frauen, die gleichzeitig den Abwasch machen, nackte oder nur mit einer Unterhose bekleidete Kinder, Tiere an jeder Ecke. Das Dorf hat ganz viel Ruhe ausgestrahlt und war trotz allem so voll von Leben.
Die Shoppingmeile:
Zum ersten Mal hatte ich das Problem, dass ich mich mit einigen Dorfbewohnern nicht verständigen konnte, weil sie nur ihre Stammessprache sprechen. Auch die Messe wurde in drei Sprachen (Französisch, Baoulé und noch eine Stammessprache) gehalten, damit alle daran teilhaben können. Und es sangen und tanzten 3 verschiedensprachige Chöre. Sehr schön zu sehen war es, wie harmonievoll die zwei großen Hauptethnien des Dorfes miteinander leben.
Wenn ich in Duékoué durch die Straßen und Quartiere laufe, dann kommen viele Kinder, um mich zu umarmen oder mir die Hand zu schütteln. Zumindest zuwinken tut mir fast jedes Kind. Sie freuen sich, mich zu sehen. Ihr Lieblingsspiel: Phase 1: „Singe LA BLANCHE LA BLANCHE und renn weg, sobald dich die Weiße anschaut und schreie vor Glück!“ Phase 2:“ Versuche, sie unauffällig zu berühren!“ Phase 3: „Versuche, ihre Hand oder ihren Arm an deine Lippen zu pressen und ziehe an ihren Haaren, um zu sehen, ob das Extensions sind „.
Zurückhaltend und schüchtern oder gar ängstlich sind die kleinen Stadtkinder nicht. Ganz anders war das in Michelkro. Ich habe leider ganz viele Kinder zum Weinen gebracht. Sie haben sich vor mir versteckt, haben sich sehr erschrocken, sind weggelaufen und hatten schreckliche Angst. Ich hab mich gefühlt wie der böse Wolf. Selbst die Sensibilisierungsversuche sind gescheitert. Wenn ich ihre Mama berührt habe und die Kinder sehen konnten, dass ich ihr nichts Böses tue, haben sie nur noch mehr geheult. Ein kleiner Junge hat sich gar nicht mehr beruhigen können. Ich wollte seinem etwa zehnjährigen Bruder die Hand geben. Der hat einen Riesensatz nach hinten gemacht. Sogar er hatte Angst vor mir.
Dieses Dorf ist ziemlich abgeschieden von der Welt, es gibt keinen Strom und nicht einmal Solardächer habe ich gesehen. Außerdem lassen die öffentlichen Verkehrsmittel auch zu wünschen übrig, sodass die meisten Kinder ihr Dorf noch nie verlassen haben und nur diesen schönen Flecken der Erde kennen. Es war das erste Mal für die Kinder, dass sie einen weißen Menschen gesehen haben.
Nach der Messe wurden traditionelle Tänze aufgeführt und wir wurden von der Dorfgemeinschaft zum Essen eingeladen. Zum Glück gab es eine Extra-Sauce für uns (ohne Piment/Nelkenpfeffer) und sogar Löffel. Denn mit der Hand essen kann ich nach 3 Monaten Afrika immer noch nicht.
Auf dem Heimweg kam uns eine Menschenmasse auf der „Straße“ entgegen gerannt. Sie waren alle weiß gekleidet. Einige Männer trugen einen mit weißen Tüchern verhüllten Sarg. Dieses Bild wirkte unglaublich friedlich. Die Menschen in ihren weißen Kleidern sahen aus wie Engel, die den Toten nun noch das letzte Stück in den Himmel begleiten. Von Trauer war nichts zu spüren. Wie genau die Bestattungsrituale ablaufen, weiß ich nicht. Oft dürfen die Kinder aber nicht mit zur Beerdigung. Und wenn der Leichnam an jemanden vorbeigetragen wird, darf sich dieser nicht mehr umdrehen, sonst holt ihn auch der Tod. Man sieht immer wieder kleine Friedhöfe an den Straßenrändern. Sie sind meistens ein wenig außerhalb oder auf der anderen Straßenseite des Dorfes. Die Gräber ähneln den deutschen. Oft sind sie mit bunten Plastikblumenkränzen geschmückt. Einige Gräber sind üppiger oder sogar überdacht. Diese gehören meistens den Dorfchefs. Eine noch heute bestehende Tradition für einen „König“ eines Stammes (der Chef aller Dorfchefs einer Ethnie) ist folgende. Stirbt der König, so wird er zusammen mit lebendigen (!) Jugendlichen -bevorzugt Jungfrauen- beerdigt. Denn der König soll nicht allein unter der Erde liegen, er braucht Gesellschaft. Die Vorstellung, bei lebendigem Leib begraben zu werden – unmöglich. Ein Mädchen aus dem Foyer hat so ihren Bruder verloren.
Père Carlos hat in Youtube eine kleine Diashow von dem Tag gestellt: Schaut sie euch doch mal an 😉 https://www.youtube.com/watch?v=TpDO-f0_6dw&feature=youtu.be
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Zurzeit schwitze ich hier bei 30 Grad. Ich schicke euch ein paar wärmende Sonnenstrahlen ins kalte Deutschland.
– Franzi
Anni und Kurt
Liebe Franziska!
Du schilderst eine Welt, wie wir sie in den Medien so nie dargestellt bekommen. Hast Du keine Angst in solchen Situationen, wie in dem Dorf oder bei den Busfahrten? – Interessant ist auch der Umgang mit dem Tod, so friedlich, wie Du es beschreibst. War das eine christliche Beerdigung – oder waren das Stammesrituale? Vermutlich geht beides ineinander.
Von Ida Esslinger soll ich Dich herzlich grüßen; ich drucke ihr Deine Berichte immer aus, und sie ist ganz begierig, sie zu lesen, freut sich sehr darüber. –
Seit Sonntag ist Advent. Wie mag diese Zeit für Dich sein, bei 30°, ohne Adventskranz und Kerzenlicht. Wir wünschen Dir eine friedliche und wenn möglich, besinnliche Zeit des Wartens auf die Hl. Nacht.
Ganz liebe Grüße – in betender Verbundenheit!
Anni und Kurt