Mit Don Bosco in Duékoué

Franzi in der Elfenbeinküste

8- Dass ich diesen Tag noch erleben darf

Sonntag, 12. Oktober 2014: Ich zähle die Mädchen und dann gleich noch einmal: 55! Wahnsinn – nun sind tatsächlich alle  angekommen. Das fast einen Monat nach offiziellem Schulbeginn.
Ich hab schon nicht mehr dran geglaubt, dass es jemals 55 auf einmal sein werden. Denn manchmal fahren die Mädels für ein paar Tage heim, weil im Dorf ein Fest ist oder weil sie noch irgendetwas von zu Hause brauchen. Und die letzten sind heute erst eingetrudelt.
Für die allermeisten Mädchen hat die Schule erst vor 2 Wochen angefangen, bei manchen geht es erst jetzt los. Die ersten Ferien sind übrigens schon Ende Oktober! Und das Schuljahr ist Ende Mai vorbei! Also bleibt nicht mehr viel Zeit.
Wenn ich ihre ziemlich leeren Stundenpläne  sehe, frag ich mich, was sie dieses Jahr lernen wollen. Mit 13 Stunden in der Woche kann ein Kind doch nicht ausreichend Bildung erlangen, um das Gelernte zu verstehen und anwenden zu können. Manche Kinder sind einen ganzen Tag ohne Unterricht, manche haben nur vormittags Schule, andere nur nachmittags. Ich glaube, mehr als 20 Wochenstunden hat keines der Mädchen. Ganz schön traurig – sie könnten so viel mehr aus der Schulzeit machen!
Es sind also zu jeder Tageszeit Mädchen im Foyer. Deswegen gibt es vormittags, nachmittags und abends Lerneinheiten, für diejenigen, die keinen Unterricht haben. An manchen Samstagen geben die Lehrer (verpflichtende) Vertiefungskurse, die die Schüler allerdings bezahlen müssen. Eine geschickte Maßnahme, um sich sein Lehrergehalt aufzubessern. Die Klassen sind riesig, 80 Kinder sind die Regel. In einer Klassenstufe gibt es meistens mehr als 15 Klassen. Soweit ich weiß, gibt es 6 weiterführende Schulen in Duékoué. Ich frage mich, wo all die Kinder herkommen.
Der Schulbesuch kostet die Eltern viel Geld. Es müssen Schuluniformen  gekauft , alle Schulbücher ( ein Ausleihsystem wie in Deutschland gibt es hier nicht) und Hefte bezahlt werden und außerdem kostet auch das Einschreiben in die Schule Geld. Viele Schulen sind privat, das ist dann gleich nochmal etwas teurer. Außerdem müssen die Familien aus den Dörfern den Transport zur Schule zahlen oder wenn es zu weit zum Pendeln ist, Miete. Entweder leben die Dorfkinder dann in einem Internat wie bei uns im Foyer oder sie werden  in eine andere Familie in die Stadt geschickt, wo sie für geringes Geld leben dürfen, die Schule besuchen können, aber meistens auch ziemlich hart arbeiten müssen.  Für  kinderreiche und arme Familien wird der Schulbesuch also schnell zum Geldproblem und Bildung somit schon fast zum Luxusgut.
Umso gravierender ist es, dass die Kinder, die zur Schule gehen können, ein so schlechtes Niveau haben. Wirklich erschreckend zu sehen ist, wenn ein Mädchen in der 9. Klasse nicht einmal 3+2 rechnen kann. Von einem englischen Text versteht sie nicht einmal „Hello“ oder „I’m“. Und nein, das ist kein krasser Einzelfall und auch nicht übertrieben – das ist hier die Realität. Am Anfang war ich wirklich verzweifelt, doch inzwischen sehe ich jeden kleinen Fortschritt als Erfolg, auch wenn es nur der Unterrichtsstoff der Grundschule ist. Wenn am Ende des Schuljahres die Noten nicht reichen, um weiterzukommen, tut es meistens auch ein Geldschein. Die Frage ist, wer dabei an die Mädchen denkt und was ihnen das bringt?

Im Foyer bringen wir den Mädchen also die Grundlagen bei (das 1×1, englische Zahlen bis 20…), denn den allermeisten Lehrern scheint es egal zu sein, wer den Unterricht versteht und wer nicht. Es ist auch irgendwie nachvollziehbar, dass man als Lehrer von 80 Kindern in einer Klasse nicht individuell auf jeden Schüler eingehen kann, um die Leistungsstarken zu fordern und die Leistungsschwachen zu fördern. Ich habe es mir hier zur Aufgabe gemacht, vor allem diejenigen zu unterstützen, die wirklich lernen wollen, weil sie verstanden haben, dass Bildung der Schlüssel für ihre Zukunft ist. Es gibt nämlich auch ein paar Mädels, die nicht so sehr schätzen, was ihre Eltern für sie tun, wie sie sich teilweise aufopfern, damit sie zur Schule gehen können. Dass Bildung nicht nur ein Menschenrecht ist, sondern auch eine riesige Chance für sie, ihr Leben selbst gestalten zu können.

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Familienfoto mit „Mama“ Irène und unseren 55 Kindern 😉

55 Mädchen – Leben – Geschichten – Namen – Gesichter
Ich kenne die 55 Gesichter und auch die allermeisten Namen, ein paar ihrer Traditionen und einzelne Lebensgeschichten.  Es freut mich jeden Tag aufs Neue, dass ich sie ein kleines Stück in ihrem Leben begleiten darf. Und dass sie alle Teil meines Lebens geworden sind. Denn ich glaube, so verschieden wir und unsere „Welten“ sind, so sehr können wir uns helfen, austauschen, ergänzen und voneinander lernen. Auch die 55 Mädchen sind nicht einfach „Afrikanerinnen“ oder „Ivorerinnen“. Man kann sie nicht abstempeln. Sie sind unterschiedlich alt (10-20), kommen aus verschiedenen Dörfern, haben viele verschiedene Ethnien, sprechen verschiedene Sprachen,  kommen aus ganz verschiedenen sozialen Schichten. Die einen kämpfen ums tägliche Überleben und die anderen leben für die Verhältnisse hier gut. Auch wenn sie schnell gesagt die „Foyermädchen“ sind, bleibt jede Einzelne  für mich ein ganz besonderer Mensch.
Trotz all unserer Verschiedenheiten versuchen wir jeden Tag, uns ein bisschen mehr zu verstehen. Eine Familie zu werden. Ich habe diese 55 Mädchen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, schon sehr in mein Herz geschlossen.

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Mit meinen Schwestern Françoise, Lucie, Rosanna und Irène

Bis bald,
Eure Franzi

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  1. Liebe Franziska!
    Was können wir froh sein über unser deutsches Schulsystem. –
    Das ist ja erschreckend, wenn jemand in der 9. Klasse kaum rechnen und vermutlich ebenso kaum schreiben und lesen kann. Gibt es eine Erklärung, warum in den Schulen so wenig Wert auf Leistung gelegt wird? Oder sind die Lehrer selbst nicht ausreichend gebildet?
    Da machst Du wirklich „Entwicklungs-Arbeit“. – Und klasse, dass Du nicht nur über das Negative jammerst, sondern versuchst, das Positive zu sehen, auch wenn die Fort-Schritte noch so klein sind.
    Wir wünschen Dir viel Kraft und Kreativität bei Deiner Bildungsinitiative.
    Sei lieb gegrüßt von
    Anni und Kurt

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