Freitag 7.Januar 2011

Mit der deutschen Ärztin Dr. Barbara Höfler und dem haitianischen Salesianerpater Olibrice Zucchi habe ich die Chance in die Cite Soleil zu fahren – ein Ort, den viele Journalisten die Hölle auf Erden genannt haben. Wer hier lebt für den kann es kaum schlimmer kommen.

Ich bin gespannt, was mich erwartet, als wir in den umgebauten Ambulanzwagen von Frau Höfler steigen. Wir fahren als erstes zur Don Bosco Schule Soleil 4, die sich am Anfangin der Cite Soleil befindet. Die Straße ist besser als viele Straßen in der Innenstadt. Ein sicheres Zeichen, verrät mir Dr. Höfler, dass hier einer der gefürchteten Chimären wohnt. Die Bewohner leiden nicht nur unter entsetzlicher Armut, sondern auch unter deren Terror. Seit Anfang dieses Jahrtausends erschüttern bürgerkriegsähnliche Unruhen den Karibikstaat. Bewaffnete Jungendbanden, die einst Präsident Bertrand Aristide schützen sollten, haben die Armenviertel in ihrer Hand.

Mit uns fährt zu unserer Sicherheit ein junger Mann, dessen Bruder einst ein gefürchteter Chimärenboss war. Nun ist er tot, sein Bruder aber immer noch eine geachtete Persönlichkeit in der Cite Soleil, der heute geläutert, an der Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Heimat mitarbeitet. Für die kleinen Schulen von Don Bosco ist er quasi unersetzlich.

 Der süßliche Kloakengeruch ist nur in der Nähe der offenen Abwasserkanäle richtig schlimm. Wasser sieht man darin nicht- statt dessen Tonnen leerer Plastikflaschen, Müll und Unrat. Wir fahren weiter durch die zunehmend engen Gassen. Wie angekündigt ist der „crazy german doctor“ hier bekannt wie ein bunter Hund. „Doktor Barbara, Doktor Barbara“ Rufe begleiten unsere Fahrt. Die anfänglichen Steinhütten wandeln sich, Wellblech, Karton, Planen und Plastiktüten sind nun Baumaterialien. Vor den Hütten sitzen Mütter mit Säuglingen und nackten Kleinkindern im Arm. Die Müllberge sind unglaublich. Männer sieht man kaum, stattdessen Kinder über Kinder. Es ist schön zu sehen, dass Kinder überall lachen und spielen, auch wenn ihre Umgebung trostloser kaum sein könnte. Schockierend finde ich die Schweine, die zwischen den Hütten herumlaufen und im Dreck wühlen. Keine niedlichen rosa Ferkel, sondern riesige schwarze bedrohliche Schweine. Passenderweise erzählt mir Frau Dr. Höfler die Geschichte zweier Verbrecher, die sie eines Tages ermordet neben dem fast letzten stehenden Baum  hier fand. Während sich die Schweine an der Leiche satt fraßen, beobachteten die Menschen stumm das Ende ihrer vormaligen Peiniger. Ich kriege das Bild der menschenessenden Schweine nicht mehr aus dem Kopf.

Schließlich halten wir am Ende einer Sackgasse und gehen zu Fuß weiter. Pater Zucchi und Dr. Höfler scheinen Gott und die Welt zu kennen und sparen nicht mit Ermahnungen zu allen Seiten. „Warum waren Deine Kinder gestern nicht auf unserem Fest, wieso lässt du dich nicht auf die Liste der besonders bedürftigen Familien setzen, etc.” Schließlich lädt uns Vievianne in ihre Hütte ein. Die junge Frau (angeblich 25, aber das mag keiner von uns glauben) hat zehn (!!!) Kinder und lebt mit ihnen in zwei Zimmerchen. Ein Wellblechdach gibt es nicht überall, es sind Tücher unter die Löcher gespannt. Vivianne ist eigentlich eine hübsche Frau, die jedoch einen völlig überforderten und naiven Eindruck macht. Nachdem ich mich an die Dunkelheit gewöhne, nehme ich im zweiten Zimmer schließlich 5 Kinder wahr, die wie angewurzelt stumm in einer Ecke des Zimmers kauern. Sie starren uns wortlos an und sitzen sicherlich schon den ganzen Tag in der Ecke. Nicht deren Armut ist das schlimmste – das völlige Fehlen irgendeiner Form von Beschäftigung und Förderung beklemmt mich. Wer so reizarm und vernachlässigt aufwächst, für den sind mit 6 Jahren zum Schulbeginn wahrscheinlich schon Hopfen und Malz verloren. Umso wichtiger ist für sie eine frühe Förderung in der Vorschule, wie sie die kleinen Schulen von Don Bosco anbieten. Überrascht bin ich als ich erfahre, das Vivieanne für die lächerliche Bruchbude ohne Boden und Dach auch noch Miete bezahlt – für uns westliche Besucher ein grotesker Irrsinn.

400.000 Menschen wohnen in der Cite Soleil, die wir nach dem Besuch der weiteren drei Don Bosco Schulzentren schließlich verlassen. Gerne hätte ich meinen Besuch vor dem Erdbeben am 12. Januar 2010 gemacht. Nicht weil sich das Bild der Cite Soleil durch das Beben so radikal gewandelt hat, sondern weil ganz Port au Prince auf mich den Eindruck eines riesigen Trümmerslums macht.  Verglichen mit den zahllosen Zeltlagern mitten auf Verkehrsinseln, Freiflächen und in den Trümmern ist das Leben in der Cite Soleil nicht viel anders. Doch hier sorgen die Menschen selber für ihr Wasser, müssen Miete bezahlen und sich um ihr tägliches Leben kümmern. In den Lagern werden die Menschen zur Passivität erzogen, so Dr. Höfler, die den Flüchtlingslagern kritisch gegenüber steht.

Mich wird der verschreckte Blick der kleinen Hüttenbewohner wohl noch eine Weile begleiten. Neben aller Erkenntnis, die der Besuch für mich persönlich bereit hielt, bin ich umso mehr vom Bildungsansatz zur Überwindung der Armut überzeugt. Erziehung und Bildung, nur so können Menschen verändert werden und schließlich Strukturen überwunden werden.

Wer für die kleinen Schulen und die Arbeit von Don Bosco in der Cite Soleil und dem Slum La Saline spenden will:

Spendenkonto: 22 37 80 15

BLZ: 370 601 93 – Pax Bank

Stichwort: Haiti

 

P.s. Ich schreibe dies übrigens an der Rezeption unseres Hotels nahe dem Flughafen in Port au Prince. Pool, Cocktails, lauter Latino Pop und Air Condition… Irgendwie fühlt sich das schäbig an….