Liebe Blogleser,

Im letzten Beitrag habe ich ja schon kurz erwähnt, dass ich und meine Mitvolos unsere ersten Einsatzplätze Mitte Januar verlassen haben und seitdem in für uns neue Projekte der Schwestern reinschnuppern dürfen. Jetzt soll es aber nochmal um mein erstes Projekt gehen, meine Zeit im Ausbildungszentrum. Die ersten vier Monate, die ich in Benin verbrachte, durfte ich die Jugendlichen im Maison de l‘Esperance begleiten, und das war eine Zeit, die mir sehr viel gebracht hat! Dass ich so viel Zeit mit Leuten in meinem Alter verbringen durfte, hat mir erstmal geholfen, das akzentvolle Französisch gut zu verstehen und zu sprechen. Dann habe ich durch die vielen Gespräche natürlich richtig viel über das Leben und die Kultur hier gelernt-dadurch konnte ich richtig in Benin ankommen, dieses Gefühl kam bei mir, als ich schon für gut drei Monate hier gelebt habe. Ankommen braucht nämlich echt seine Zeit, denn einerseits musste man sich erst an das fremde Land gewöhnen, andererseits war es auch gar nicht so einfach, herauszufinden, welche Aufgabe man jetzt genau als Volontär in den verschiedenen Projekten hat.

Mit der Zeit konnte ich also verstehen, wie es im Maison de l’Esperance läuft, den „normalen“ Tagesablauf kannte ich recht schnell (dazu gab‘s im Herbst einen Blogeintrag: Seife, Muffins und Baguette: Das Maison de l’Esperance), aber es gab auch immer wieder Tage, die etwas anders abliefen: Da gab es zum Beispiel den Tagesausflug, als wir in eine andere Stadt fuhren, um dort eine große Bäckerei zu besichtigen und danach den Nachmittag am Strand zu verbringen. Das Highlight war für mich aber die Busfahrt! Mit zwei Trommeln und einer Bombenstimmung ausgerüstet wurde die ganze Fahrt aus vollem Herzen gesungen und so gut es ging im Sitzen getanzt und mitgeklatscht.

Die Babys der minderjährigen Mütter waren natürlich auch mit dabei, und ich fand das einfach so schön, wie sich alle Jugendlichen echt lieb um die Kleinen gekümmert haben. So konnten die jungen Mamas den Tag auch richtig genießen, ohne ihr Baby immer auf dem Rücken tragen zu müssen.

Auch eine Diplomübergabe durfte ich im Ausbildungszentrum miterleben. An die neunmonatige Ausbildung schließt sich ja das dreimonatige Praktikum in verschiedenen Bäckereien, Konditoreien und Restaurants Cotonous an, danach bekommen die Jugendlichen ein staatlich anerkanntes Diplom. Vor der Übergabe wurde Gottesdienst mit den Eltern gefeiert, danach ging es weiter mit Tanzvorführungen und Sketchen. Die Jugendlichen, die ihr Diplom bekamen, haben sich richtig schick gemacht, die Mädels waren geschminkt und hatten sich Kunsthaar eingeflochten. Kleine Kuchen und leckerer Saft aus Hibiskusblüten wurden in der Konditorei und in der Küche vorbereitet und an die Jugendlichen verteilt, die Stimmung war echt gut!

Wir bekamen auch immer wieder mal hohen Besuch, wie zum Beispiel von UNICEF Benin, deren Vertreter sich das Ausbildungszentrum anschauten. Auch ein spanisches Fernsehteam verbrachte einen Vormittag bei uns und in anderen Projekten der Schwestern, um eine Reportage zu drehen. Ganz herzlich wurden auch Mitarbeiter der italienischen Organisation San Zeno, die das Maison de l’Esperance finanziert, empfangen. Für diesen Tag wurde das Ausbildungszentrum dekoriert, zum Teil mit schönen Zeichnungen von zwei künstlerisch begabten Jungs aus der Konditorei. Außerdem wurden ein kleiner Sketch und Geschenke aus der Seifenherstellung vorbereitet, Tanz, Trommelrhythmus und Gesang durfte natürlich auch nicht fehlen.

Da das aber alles Ausnahme sind, möchte ich euch noch ein bisschen genauer erzählen, wie es in den verschiedenen Ateliers gelaufen ist und dabei auch kurz auf einzelne Jugendliche und ihre Geschichten eingehen.

Die Seifenherstellung war ein Atelier, das ich als sehr ruhig empfunden habe. Hier wurden ungefähr zehn Mädchen ausgebildet, die meisten davon waren Mütter aus dem Maison du Soleil. Der Vorteil an der Seifenmanufaktur ist nämlich, dass die Mädels danach unabhängig zu Hause Seife herstellen und danach auf dem Markt verkaufen können. Das ist für die jungen Mamas, die sich zusätzlich noch um ihr Baby kümmern müssen, echt praktisch. Oft waren die Mädchen müde oder haben den Stoff nicht gscheid gelernt, weil sie in der Nacht wegen ihrem Kind wenig geschlafen hatten. Die 14-jährige Micheline* war eine davon:

„Seit einem Jahr bin ich schon im Maison du Soleil, das hat mir eine Freundin meiner Schwester empfohlen. Am Anfang wollte ich das Baby gar nicht, aber mir blieb nichts anderes übrig-meine Familie hat finanzielle Probleme, und Abtreiben wäre deshalb nicht in Frage gekommen. Im Maison du Soleil war es zu Beginn auch nicht immer einfach, oft gab es kleine Konflikte zwischen den Mädchen. Mit meinem Sohn bin ich inzwischen aber so glücklich! Manchmal ist er wie ein Psychologe für mich, er merkt, wenn es mir nicht gut geht, und dann versucht er, mich aufzumuntern und fängt an zu weinen, wenn er das nicht schafft. Aber auch den richtigen Psychologen vom Maison du Soleil mag ich echt gern! Wenn ich mit ihm rede, vergesse ich für einen Moment all meine Sorgen. Sobald ich mein Diplom habe, kann ich zum Glück in meine Familie zurück, das ist ja auch nicht bei allen Mädchen aus dem Maison du Soleil so. Vom Ausbildungzentrum bekomme ich ein paar Materialien, damit ich meine eigene Seife zuhause herstellen und dann verkaufen kann.“

Selbstbeherrschung war in der Konditorei gefragt! Denn wie zu Hause während der Zubereitung vom Teig zu naschen, das ging natürlich nicht :). Zusammen haben wir Rezepte aufgeschrieben, Methoden gelernt und viele Kuchen, Blätterteigtaschen und Kekse gebacken, und ganz so einfach wie in Deutschland war das nicht: Um Eischnee mit dem Schneebesen oder Puderzucker mit dem Nudelholz gut hinzubekommen, braucht man schon einige Kraft. Aber im Team funktioniert das gut!

Anstrengend war es auch, den ganzen Tag zu stehen. Meine Schülerbeine, die das viele Sitzen gewöhnt sind, waren das einfach noch nicht gewöhnt. Manchmal durften wir die Gebäcke auch probieren, das lief dann so ab, dass Tata Pâtisserie Fragen zum Unterricht stellte, und wer die richtige Antwort wusste, bekam eine kleine Keksbelohnung.

Cyrille* hat eine Geschichte, die die meisten Jugendlichen im Ausbildungszentrum in ähnlicher Form mitbringen: Er kommt aus einer Familie aus armen Verhältnissen, die sein Schulgeld nicht mehr bezahlen konnte. Die Familie ist groß, stolz hat er mir einmal seine vielen Geschwister, Neffen und Nichten vorgestellt. Cyrilles Mutter arbeitet als Frisörin, sein Vater ist Mototaxifahrer. Auf dem Gymnasium hätte es für ihn nicht mehr lange zum Abitur gedauert, doch Cyrilles Mutter wurde krank. Um die Behandlung zahlen zu können, brach er die Schule ab und machte die Ausbildung im Maison de l’Esperance, das er über einen Freund kennenlernte. Er war immer motiviert dabei und einer der Besten in seinem Kurs. Wenn er genug Geld zusammenbekommt, möchte er wieder zurück in die Schule, um sein Abitur zu beenden und danach studieren zu können. „Dieu fera“, also „Gott wird’s schon machen/ Gott wird mir helfen“ ist ein Spruch, den ich hier in Benin schon öfters von Menschen in einer schwierigen Situation und von Cyrille besonders oft gehört habe.

Die Küche war ein Atelier, das ich manchmal fast schon als wuselig beschrieben hätte. Das lag zum einen daran, dass das Essen für alle 60 Jugendliche und die Tatas und Fofos mittags pünktlich fertig sein musste, zum anderen, dass hier die meisten Jugendlichen waren und das oft leichte Platzprobleme machte. Um sich hier einen Weg zu verschaffen, wurde laut „Chaud!“, also „Heiß!“, gerufen. Ständig wechselte man zwischen den zwei Räumen, die zur Verfügung standen, hin und her. In dem einen wurde viel vorbereitet, Bohnen aussortiert, Zwiebeln und Gelberüben geschnitten. In dem kleineren Raum wurde dann richtig gekocht, in großen Töpfen über Kohlegrills. Neben beninischen Spezialitäten wie Maisbrei oder Rote Bohnen mit Reis wurde auch europäisch gekocht, ich hab mich immer sehr über die leckeren Salate und Spaghetti Bolognese gefreut. Dazu gab es immer Fisch oder Hühnchen und viel Chili.

Nicht alle Jugendlichen beenden die Ausbildung im Maison de l’Esperance. In der Küche gab es gleich zwei Mädchen, die nicht regelmäßig gekommen sind und beim Unterricht unaufmerksam waren. Nach einigen Gesprächen und Verwarnungen mit den Sozialarbeitern und Psychologen aus dem Team wurde beschlossen, die Ausbildung abzubrechen. Ich fand es schade, dass diese Jugendlichen ihre Chance nicht nutzten, denn alle Auszubildenden kommen aus schwierigen Situationen und ein staatlich anerkanntes Diplom würde ihnen viel weiterhelfen.

In der Bäckerei waren die meisten Jungs, denn hier ist eher Kraft als Feinmotorik gefragt. In der Früh wurden die Baguettes aus dem Teig gemacht, und auch ich durfte mithelfen. Es war gar nicht so einfach, das Brot genauso schön hinzubekommen wie die anderen. Danach setzten wir uns hin und warteten darauf, dass die Baguettes in den Ofen konnten. Wir hatten viel Zeit zum Reden, unterbrochen von kleinen Unterrichtseinheiten von Fofo Boulangerie.

Ein kurzer Zeitraum stand uns zur Verfügung, um auf der Straße essen zu gehen. An den Straßenrändern des breiten Sandwegs findet man nämlich immer wieder Frauen, die in kleinen Ständen Reis oder Maisbrei mit Soße und frittiertem Fisch anbieten. Gegessen wird mit den Händen und die Jungs waren sich einig, dass der kleine Fischkopf das Beste an der ganzen Mahlzeit ist-gut für mich, diesen Teil des Essens durften sie nämlich gerne für mich übernehmen :). Die Jugendlichen aus der Bäckerei hatten ihren täglichen Unterricht in Französisch und Verwaltungstechnischem am späten Vormittag. Drei von ihnen, die nie in die Schule gegangen sind, blieben immer etwas länger im Klassenzimmer. Darunter Jean-Paul*, ein siebzehnjähriger Junge, ein echt netter Kerl, der fast kein Wort Französisch spricht, sondern die Stammessprache Fongbe. Ein ehemaliges Straßenkind, das seit einiger Zeit in einem Foyer einer Organisation wohnt, mit dem das Maison de l’Esperance unter anderem zusammenarbeitet. Für ihn ist der Unterricht schwierig, das fängt schon in der Bäckerei an. Dort kann er nicht wie die anderen die Lerneinheiten in sein Heft schreiben. Auch die Konzentration lässt schnell nach, das lange Sitzen und Zuhören ist er einfach nicht gewöhnt. Mit ihm und den zwei anderen macht der Sonderpädagoge, den die Jugendlichen richtig gern haben, eine Extraeinheit Unterricht. Inzwischen kann Jean-Paul seinen Namen schreiben, lernt die ersten Buchstaben aufzumalen und die Uhr zu lesen. Er hat sich immer so gefreut, wenn ich noch bei seinem Unterricht dageblieben bin und hat mir als Dankeschön stolz ein selbstgefaltetes Papierschiffchen geschenkt.

Ein schöner, abwechslungsreicher Teil meines Freiwilligendienstes liegt also schon hinter mir. Jeden Tag komme ich jetzt mittags von der Vorschule ins Ausbildungszentrum, um mit den anderen Fofos und Tatas zu essen. So sehe ich meine Jugendlichen also noch täglich…

…Isabelle*, die am Nachmittag immer 4 gewinnt spielen wollte,

…Luc*, der unbedingt meinen Rucksack haben wollte,

…Antoine*, der oft mit Steinen jongliert hat,

…René*, der mich dadurch überraschte, dass er ganz viel westliche Musik, Filme und Bücher kannte,

…Théodore*, der immer Englisch mit mir reden wollte,

…Isidore*, der mich ganz lange so schüchtern gesiezt hat,

…Paula*, die immer so herrlich falsch gesungen hat,…

Mit ein paar hat sich eine echt schöne Freundschaft entwickelt, sodass wir auch mal privat etwas unternehmen. Es ist richtig spannend, von ihnen zu sich nach Hause eingeladen zu werden. So lern ich das Leben hier kennen.

Fröhlich bunte Farbklekse nach Hause,

Eure Barbara

Die Tatas und Fofos vom Maison de l’Esperance

*Alle Namen aus Datenschutzgründen geändert