Annalus Jahr in Mumbai

Ein Freiwilligendienst im Shelter Don Bosco

Didi no go Germany

Entsetzen. Enttäuschung. Angst. Verzweiflung. Trauer. Viele dieser Gefühle begleiten mich die letzten Tage. Emotionen überschütten sich. Warum müssen wir zurück nach Deutschland? Bin ich nicht in Indien viel sicherer? Warum so kurzfristig? Wie konnte diese Krise in nur 3 Tagen so ausarten?

Fragen über Fragen, die ich mir immer wieder stelle, aber mir selber nie beantworten können werde.  

Ja, es waren drei Tage, die mein Leben in Mumbai komplett verändert haben. Erst die Ansage, dass wir vom BMZ aufgefordert sind zurückzukehren auf Grund der Coronakrise, dann ein Flug für den 26.3. Ein Tag später die Änderung: Wir müssen schon am 21.3. fliegen, da ab dem 22.3. keine internationalen Flüge mehr von Indien ausgehen. Und somit hatten wir dann doch nur noch einen Tag in Mumbai. Einen Tag, an dem wir packen mussten. Einen Tag für Verabschiedung. Einen Tag, in dem alles aus den Wogen geraten zu sein schien. Einen Tag, in dem Mumbai mit dem Lockdown begann.  Einen Tag in einem Leben, das ich mir sechs Monate aufgebaut hatte. Man kann die Emotionen dieses Tages gar nicht in Worte fassen.

Es war einer meiner schönsten Sheltertage überhaupt. Alle Jungs waren um uns herum. Unsere Fathers kümmerte sich um unsere Abreise und jegliche Dokumente. Die Jungs hegten Pläne aus, dass wir doch in Indien bleiben können (We will fight against the Chief Minister! We will stop the airplane! We will come to Germany and fight with you against Corona! You can hide in Shelter!). Leider ging keiner dieser Pläne in Erfüllung. Ein letztes Mal Studytime, ein letztes Mal Essen mit den Fathers. Nachmittags gab es ein Abschiedsprogramm für uns. Mit Reden, Gedichten, vielen Liedern und Gesang und viele Abschiedsgeschenke für uns. Natürlich durften Bilder nicht fehlen, diese Momente möchte ich für immer in Erinnerung behalten. Ein letztes Mal Cricket, Ein letztes Mal Murmeln. Ein letztes Abendessen mit den Jungs und dann die große Verabschiedung, in der jegliche Emotionen ausgestellt wurden. Ein letztes Mal aus dem Tor gegangen und die winkenden Jungs verlassen. Wir mussten sie verlassen, ohne ihnen ein Abschiedsgeschenk zu geben. Wir hatten nichts für sie, wir hatten nichts für die Fathers oder sonst irgendjemanden.  Alle Läden hatten zu, alle Menschen liefen mit Mundschutz herum. Wir hatten keine Chance mehr, uns würdig bei unserer Familie zu bedanken, die uns die letzten sechs Monate so herzlich aufgenommen hat.

 Es ist immer noch surreal für mich, nicht mehr morgens vom Watchman begrüßt zu werden, keine Witze der Father zu hören,  kein Gehupe um mich herum, kein „God bless you“ bei einer Verabschiedung, keine freudenstrahlenden Gesichter wenn ich sage, dass heute Klavier stattfindet. Kein Watchman, der uns das Sheltertor öffnet, kein Thunder(Hund), der mir auf mein Bein sabbert weil er sich so freut mich zu sehen. Keine Obdachlosen, die einem vom Gehweg aus zuwinken, keine Slumkinder, die einen durch ihre Freudenschreie fast taub machen. Keine indischen Lieder, die laut gebrüllt werden, kein Double-Chai. Keine Köchin, die einem von ihren privaten Problemen erzählt und kein Ex-Shelter-Junge, der einem Abends zur Begrüßung mit „Hello my Dear, what are you doing here?!“ freudestrahlend entgegenkommt. Und natürlich keine 54 Shelterjungs, die einem alles bedeuten..

Es ist ein Abschied innerhalb von 24 Stunden von ganz Indien, Mumbai, Don Bosco und dem Shelter gewesen. Aber auch ein schmerzvoller Abschied von meiner Mitvoluntärin Lotta, die mittlerweile eine Schwester für mich geworden ist. Zusammen haben wir wundervolle sechs Monate gehabt, sind durch dick und dünn gegangen, haben gemeinsam gelacht und geweint und die tollsten Erfahrungen geteilt. Vielen Dank für diese wunderschöne Zeit, die ich immer in Erinnerung behalten werde.

Nun sitze ich im kalten, verschneiten Bischofswerda in einem Zimmer, dass größer ist als eine Slumhütte in der eine 8-köpfige Familie wohnt. Ich kann niemanden treffen, Quarantäne ist angesagt. Ich habe viel Kontakt zu meinen indischen Freunden, die mir sehr ans Herz gewachsen sind. Und natürlich bin ich in Gedanken die ganze Zeit bei ihnen. Denn auch ihnen geht es nicht gut. Ein Lockdown mit kompletter Ausgangssperre ist nicht gerade einfach, vor allem nicht in einem Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern. Viele konnten sich nicht leisten Essen für drei Wochen zu kaufen, dies betrifft auch meine persönlich gewonnenen Freunde. Sie hoffen nun auf Hilfe der Regierung, denn viele haben jetzt schon kein Essen mehr zu Hause.

Es sind viele Dinge, die einen momentan beschäftigen und durch den Kopf schwirren.  Gerade in solchen Tagen sind viele Menschen auf Hilfe angewiesen. Ich habe immer noch mein Spendenkonto, auf dieses gerne Geld eingezahlt werden darf. Dieses Geld wird vor allem mein Projekt in Mumbai weiterhelfen und den 54 Jungs, die für 21 Tage in einem Haus festsitzen und nicht mehr raus dürfen.

Vielen Dank an alle Spender!!!!!

Ich wünsche Euch allen, besonders in diesen Tagen, Gesundheit und eine schöne Zeit mit Euern Liebsten. Allen Volus wünsche ich eine gute Heimkehr und ein gutes Einleben in Deutschland.  

Meinen Blogeintrag möchte ich mit einem Gebet beenden, welches uns ein Father zum Abschied gegeben hat und es mir seitdem immer wieder durch den Kopf schwirrt. Irgendwie wird alles gut werden…

God grant me the serenity
to accept the things I cannot change; 
courage to change the things I can; 
and wisdom to know the difference.

Living one day at a time; 
enjoying one moment at a time; 
accepting hardships as the pathway to peace; 
taking, as He did, this sinful world
as it is, not as I would have it; 
trusting that He will make all things right
if I surrender to His Will; 
that I may be reasonably happy in this life
and supremely happy with Him
forever in the next. 
Amen

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Danke – Thank you – Dhanyvad

  1. Charlotte Urbanek

    AnnaLu Didi I love you so much❤️. Hast mal wieder alles gesagt, was ich denke;). Wie soll ich das alles schaffen ohne dich und das heimliche Chapati klauen (und jedes Mal entdeckt werden), deinen Orientierungssinn, die Selfies mit Yufraj, das auf Deutsch jeden auslachen, das Mücken töten, das vor Lachen auf unserem geliebten dreckigen Boden sterben, deine Wortverdreher (Tiger 4evaaa), Naturals (double pleasee), den (ich wiederhole) den Brother, die Essen im Provincial House (wenn wir beide fertig mit unserem Leben sind und einfach nur noch lachen, befeuert von dem ein oder anderen Schmatzen) die produktive Study Time (wo ist Luke), das zusammen nichts checken (seh ich auch so), den Abzockerobststand (kush kam karo), Sams finnische Freundin (we have a connection), deine spontanen Schläfchen, das gute Staffmeeting, …❤️?
    Danke für die beste Zeit❤️❤️❤️

  2. Rike

    💚💚💚💚💚

  3. Peter Linss

    Allen Freiwilligen kann ich nur sagen: ich habe allergrößte Hochachtung vor euch

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