Ihr Lieben!
Wo ist die Zeit nur hin? Ganze sechseinhalb Wochen bin ich nun schon hier! Sechseinhalb Wochen, die vor allem am Anfang alles andere als leicht waren. Da war so viel Neues: Weit weg von Zuhause sein, diese so unglaublich andere Kultur, die vielen Schicksale, die wir hier jeden Tag so nah miterleben, die verschiedenen Projekte, das viele Arbeiten, nie Stille, wenig Zeit für mich selbst – das war anfangs ganz schön überfordernd! Zusätzlich habe ich eine erste Runde Malaria – oder wie man hier so niedlich sagt: Palu – hinter mir. Das kam trotz Malariaprophylaxe, jede Nacht unter dem stickigen Moskitonetz schlafen und morgens, mittags, abends giftig riechendes Mückenmittel auf der Haut verteilen, nach gerade einmal drei Wochen doch etwas unerwartet… Schlimm hat es mich nicht erwischt – mit Medikamenten und den Aufheiterungsversuchen der Schwestern, dass das meine erste „beninische Taufe“ sei, war ich nach vier Tagen wieder halbwegs auf den Beinen.
Mein Gemütszustand scheint sich den klimatischen Veränderungen hier anzupassen…
Während mich am Anfang morgendliche Starkregenschauer aus meinen Träumen gerissen haben, schwitze ich jetzt schon vom Nichtstun im Schatten. Nach einem etwas holprigen Start habe ich seit einiger Zeit das Gefühl, hier langsam aber sicher anzukommen. Anzukommen in meinem neuen Zuhause. So Vieles fühlt sich schon jetzt so vertraut an!
Gemeinsam mit Mia teile ich mich ein kleines, aber feines Zimmer mit Bad im Haus der Präaspirantinnen auf dem Gelände der Schwestern. Das Gelände ist wirklich riesig! Das Haus der Schwestern, das Haus der Aspirantinnen, das Mädchenwohnheim „Foyer Laura Vicuña“, die École alternative – eine etwas andere Schule, ein riesiges Collège – all das und einiges mehr hat seinen Platz in der Communauté.
Außerhalb der behüteten Mauern des Geländes befinden sich weitere Projekte, die die Don-Bosco-Schwestern ins Leben gerufen haben. Ich arbeite aktuell die meiste Zeit der Woche in einem Wohnheim für minderjährige Mütter – dem Maison du Soleil – und bin dort hauptsächlich für die Betreuung der Babys und Kleinkinder zuständig, während die jungen Mamas nebenan im Ausbildungszentrum – dem Maison de l’Espérance – eine Ausbildung machen. Auch wenn sie manchmal noch so anstrengend sind, sind mir die kleinen Racker schon ziemlich ans Herz gewachsen und ich bin begeistert von den Fortschritten, die einige in den wenigen Wochen, die ich sie kenne, gemacht haben!
Ansonsten bin ich zwei Nachmittage die Woche in der Baraque SOS auf dem Marché Dantokpa – dem größten Freiluftmarkt Westafrikas und verbringe dort Zeit mit Power-Mädchen, die statt in die Schule zu gehen den lieben langen Tag kiloschwere Ware auf ihren Köpfen durch die engen Marktgassen balancieren. Das ist jedes Mal aufs Neue eine so intensive Zeit! Auch den Kindern in der alternativen Schule widmen wir an einem Vormittag die Woche zum Basteln, Singen oder Tanzen unsere Aufmerksamkeit. Mia arbeitet fast die gesamte Woche im Ausbildungszentrum, aber auch ich darf freitags nachmittags dabei sein und allgemeinbildende und sensibilisierende Projekte begleiten. So sind wir vor ein paar Wochen zum Beispiel, gewappnet mit Plakaten, Trommeln, Musikbox, Mikro und einer Menge Energie zum Tanzen und Singen, gemeinsam mit den Jugendlichen durch die Straßen rund um den Markt gezogen, um für die Nutzung von Toiletten zu sensibilisieren. (Hier vergeht kein Tag, an dem ich nicht mindestens zehn Leute auf die Straße, in den Kanal oder sonst wo pinkeln sehe…)
Sonntags gehts Hand in Hand mit den Mädchen aus dem Wohnheim und mittlerweile schon in meinem ersten beninischen Outfit – einem Bomba – in die Messe, die mit ihren eineinhalb Stunden für meinen Geschmack doch etwas langatmig ist… Auch sonst verbringen wir viel Zeit mit den Foyer-Mädels: sei es, wenn wir ab und an bei ihnen Abend essen, uns ein Heft in die Hand gedrückt wird, um bei den Hausaufgaben zu helfen oder bei der ein oder anderen Kuscheleinheit. Ihr merkt, meine Arbeitsbereiche sind sehr weitreichend – das macht mir aber große Freude!
„Yovo, Yovo – Bonjour!“
Das wurde uns am Anfang überall hinterhergerufen und heißt so viel wie „Weiße, Weiße – Guten Tag!“. Zumindest in der Straße (besser: Sandpiste) vor dem Gelände der Schwestern und in unserem Viertel werden wir nicht mehr überall als weiße Eindringlinge abgestempelt, die einmal durch die Straße laufen und dann nie wieder, sondern herzlich von Kindern, die uns aus den Projekten kennen, Essensverkäuferinnen, Ladenbesitzer*innen … gegrüßt. Besonders zu Camilles* Essensstand ziehe ich mir, wenn ich von der Arbeit komme, gerne noch einen windigen Plastikstuhl. Zum einen, weil sie das weltbeste Bananenschmalzgebäck (talé talé) macht, zum anderen aber, weil ich die Gespräche über beninische Stoffe, typisches Essen, Frisuren, Männer 😉 und ihre Kinder einfach liebe!
So langsam pendelt sich hier also ein Alltag ein. Ich gewöhne mich ans frühe Aufstehen, ständige unter Menschen sein, das dröhnende Verkehrschaos und das seltsame Französisch. Nur mit dem kalten Duschen werde ich mich, fürchte ich, das ganze Jahr lang nicht anfreunden können…
Am Anfang wollte ich jede noch so winzige Kleinigkeit am Straßenrand aufsaugen, doch inzwischen schließe ich beim Zemfahren auch gerne einfach mal die Augen, genieße den flotten Fahrtwind und lasse den Tag Revue passieren. Ich würde auch von mir behaupten, mittlerweile die Fahrkünste der Zem-Fahrer recht gut einschätzen zu können und klammere mich je nach Urteil mal mehr, mal weniger an der Stange hinter dem Sitz fest, wenn wir uns einem gefährlich aussehenden Schlagloch nähern. Die Tatsache, dass die Fahrer keinen Führerschein brauchen, hat mich nämlich bei unseren ersten Fahrten quer durch die wuselige Stadt ehrlich gesagt eher weniger beruhigt… Meinen Helm lasse ich deswegen, obwohl nur für den Fahrer Helmpflicht besteht, ganz gerne auf, auch wenn ich damit jedes Mal mit einer belustigten „Hast du etwa Angst“-Frage rechnen muss.
Ein etwas langes Update aus dem fernen Benin, aber es gibt einfach so viel zu erzählen! Für einen genaueren Einblick in meinen Arbeitsalltag bitte ich Euch noch etwas um Geduld. Plan ist es, über die Zeit gesammelte Eindrücke aus den einzelnen Projekten mit Euch zu teilen. Eine knappe Beschreibung der Projekte findet Ihr aber schon jetzt auf meiner Projekte-Seite.
Das Herz voller Dankbarkeit und das Gefühl, hier ganz richtig zu sein!
Milena
* Zum Schutze der Personen werde ich in meinem Blog immer geänderte Namen verwenden.
Elke Niemann
Liebe Milena, wie ich mich gefreut habe heute morgen Deinen neuen Blogeintrag zu lesen! Es ist so spannend, das alles mit Dir gemeinsam zu ‚erleben‘ und wir freuen uns schon riesig, Dich im Februar in Benin zu sehen! Sei herzlich umarmt! Elke (Mamma Mia)