Buenaaas!
Und schon ist die Hälfte meines Freiwilligendienstes rum! Ja, richtig gelesen, einfach die Hälfte meiner Zeit in Bolivien ist abgelaufen. Irgendwie realisiere ich es – aufgrund so unglaublich vieler Erlebnisse und Erfahrungen, die ich hier machen durfte. Zur gleichen Zeit jedoch kommt es mir so vor, als wäre ich erst gestern hier mit Anni gelandet – vor meinem inneren Auge spielt sich noch immer der Moment ab, als wir mit dem Auto direkt vor die Speisesääle der Jungs gefahren wurden und mit aufgeregten Schreien begrüßt wurden. Darauf gefolgt die ersten Begegnungen mit den Jungs, mit dem Personal und die ersten Wochen, in denen wir unseren Platz hier im Proyecto Don Bosco gefunden haben. Nach und nach haben wir uns super hier eingefunden, sind mit den Jungs zusammengewachsen und haben eine Alltagsroutine gefunden. Naja, seit Beginn der Weihnachtszeit bis jetzt haben wir diese auch wieder verloren, aber da vor einer Woche die Schule wieder angefangen hat und damit die fordernde Ferienzeit abgeschlossen ist, in der wir einige Extraschichten geschoben haben, hoffen wir mal, dass sich das jetzt wieder ein bisschen ändert. Denn so schön und zusammenschweißend es war, quasi jeden Tag im Heim zu verbringen und aufgrund Extraaktivitäten länger zu bleiben, vermisse ich dennoch meine Alltagsroutine. Gerne würde ich wieder ins Fitnessstudio gehen, regelmäßig mit Freunden und Familie Kontakt haben können, mal wieder ein Buch in die Hand nehmen und auch meine Tagebucheinträge nachholen, die über mehrere Wochen liegengeblieben sind. Aber darüber soll es in diesem Blog eigentlich gar nicht gehen. Denn ich möchte die Halbzeit feiern und ein kleines Zwischenfazit schreiben – über das letzte halbe Jahr hier!
So ein Freiwilligendienst ist nicht immer leicht. Es gibt Momente, die einen physisch, psychisch und emotional enormst fordern. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich kaum Momente eines wirklichen „Downs“ hatte – gut, im November hatte ich zwei sehr herausfordernde Wochen, aber Heimweh oder gar Reue, den Freiwilligendienst gemacht zu haben, hatte ich hier wirklich noch nie! Ich würde die Entscheidung immer wieder treffen, hier einen Freiwilligendienst zu machen! Viel zu faszinierend ist die bolivianische Kultur, viel zu einzigartig das Land Bolivien mitsamt allen seinen Sehenswürdigkeiten, viel zu schön und wertvoll ist das Projekt hier vor Ort, aber vor allem viel zu Besonders sind all die Kinder, mit denen ich hier Tag für Tag arbeite und die mir mit all ihren Macken und Kanten ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.
Denn ja, verklären möchte ich das Ganze hier nicht: Die Jungs, so toll und süß sie die meiste Zeit sein können, auch sie haben alle ihre Macken und Kanten. Aber genau diese Macken und Kanten beginnt man zu lieben, sobald man versucht, die Jungs zu verstehen. Jungs, die besonders aggressive Verhaltensweisen aufzeigen, weil das in ihrem Elternhaus leider an der Tagesordnung stand; Jungs, die aus dem Nichts nicht mehr mit einem reden, weil sie die Angst haben, verletzt zu werden und das Gefühl der Vernachlässigung bzw. des Verlassen-Werdens erneut erleben zu müssen, wenn es im August für uns wieder nach Deutschland geht; Jungs, die einen ignorieren oder Jungs, die sehr schnell eifersüchtig werden, sobald man sich mit den Anderen beschäftigt oder Jungs, die immer umarmt werden wollen und immer an einem kleben oder auch Jungs, die einen beleidigen – und das alles, weil sie sich insgeheim erhoffen, so unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Denn im Endeffekt ist es das, was alle Jungs wollen: unsere Aufmerksamkeit!
Und obwohl ich zum Beispiel viel bei der Hausaufgabenbetreuung helfe und einigen Jungs Nachhilfe in bestimmten Fächern gebe, sehe ich genau darin meine Hauptaufgabe: in dem einfachen „Da-Sein“ und denjenigen eine Stimme geben, denen sonst niemand zuhört. Und die wichtigen Erzählungen, die sie häufig loswerden wollen, sind nicht unbedingt die über ihre Vergangenheit (klar, natürlich auch die!), sondern vor allem die über alltägliche Situationen: über Probleme in Freundschaften, über Mädchen, in die sie verliebt sind (musste schon des Öfteren Amor spielen oder auch beim Verfassen von Liebesbriefen helfen), über lustige Situationen, die sie mit Lehrern/Freunden hatten oder auch darüber, was sie gegessen haben, über ihren Lieblingsverein oder über ihre Lieblingsmusik. Genau das sind nämlich die Themen, die vielen unwichtig erscheinen – und genau dafür sind wir Volontäre da!
Ein halbes Jahr Bolivien ist das, was noch bleibt und ich werde das Beste aus diesem halben Jahr machen! Viel zu sehr freue ich mich auf all das, was noch kommt – Unospiele, Volleyball und Fußball (die Jungs haben beschlossen, dass ich unbedingt Nachhilfe brauche), abends mit ihnen im Dunkeln Musik hören, die kleineren Jungs morgens wachzukitzeln und abends zuzudecken, mit ihnen ihre Hausaufgaben zu machen und dabei Fortschritte zu feiern, mit ihnen ihre Wäsche zu waschen und ihnen immer zuzuhören und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Und das ist nur ein kleiner Teil von all dem, das ich hier erleben werden darf – und ich werde jeden einzelnen Moment genießen und auch aus schwierigen Situationen versuchen, etwas Positives zu ziehen!
Hasta luego!
Ulla Fricke
Hallo Sophie, nun schreibst du hier immer so regelmäßig und ich hab glaube ich noch nie kommentiert! Ich freu mich hier weiterhin von dir zu lesen und ich hoffe, du nimmst ganz viel Energie für die zweite Halbzeit mit!
Sophie Bonelli
Liebe Ulla,
vielen Dank für deine Nachricht und die lieben Wünsche🤗