Liebe Leser!

Endlich komme ich wieder zum Schreiben!

Das Don Bosco Projekt Navajeevan Bala Bhavan besteht aus so vielen Einzelprojekten, dass man leicht den Überblick verliert.

Ich denke es wird einfacher das System dahinter zu durchschauen, wenn ich es an einer erfundenen Geschichte erkläre.

 

Die Geschichte von dem Jungen Namens Laxman soll euch zeigen, wie es hier wohl vielen Kindern ergeht.

 

Laxman wird als fünftes Kind in einer der Hütten am Rande Vijayawadas geboren. Seine Eltern und zum Teil auch die älteren Geschwister arbeiten hart in den großen Fabriken in der sogenannten Autonagar*. Sowohl Platz als auch Essen ist in Laxmans Hütte immer knapp. Da gibt es schon oft mal ein paar Schläge oder böse Worte.

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Die Autonaga vor dem BVK

Schon als kleiner Junge muss Laxman in der Fabrik mithelfen.

Irgendwann hält er es daheim nicht mehr aus. Er läuft davon, will frei sein, sich seinen eigenen Schlafplatz suchen. – Naja, er hatte sich das irgendwie schöner vorgestellt!
„Hey, was will denn der Fremde da von mir? Uhii, sogar ein Weißer ist in seinem Schlepptau! Die wollen doch nicht etwa wirklich was von mir! … Okey, was der so erzählt, klingt ja ganz nett. Was soll´s! Ich schau mir das jetzt an! Schlimmer kann´s eh nicht werden.“

 

So wurde Laxman schließlich von den Field Workern* in der Autonagar aufgefunden und zum „Counselling“ ins BVK* mitgenommen.

Bei der nächsten Tagung des CWC** (Child Wellfare Committee) am Freitag entschieden die fünf Mitglieder, unter ihnen auch Father Balashowry von Navajeevan, über Laxman. Nach einem langen Telefonat mit seinen Eltern befanden es alle für das Beste, den kleinen Jungen vorerst im Shelter* Navajeevans unterzubringen.

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Der Shelter

 

Um die allgemeine Situation seiner Familie zu verbessern, machten die Mitglieder des CWC seine Mutter auf die Möglichkeit aufmerksam, im BVK eine Ausbildung zu machen. Mit finanzieller Hilfe von Navajeevan besuchte Jothy, Laxmans Mutter, dann tatsächlich den dreimonatigen Crashkurs in Beautician. Jetzt versucht sie einen Friseurladen zu eröffnen.

 

Nun aber zurück zu Laxman. Im Shelter war er einer der Jüngsten, was es ihm nicht gerade einfach machte. Viele Sachen, an denen sich die Jungen messen, wie Carrom Board, Volleyball oder Schönschrift, hatte er vorher noch nie gesehen. Auch schwimmen im Fluss nebenan, um den Ball zu holen, der bei jedem Volleyballspiel gefühlte hundertmal in das vor Dreck stehende Wasser fällt, kann Laxman nicht.
Aber rennen, ja das kann er! „Ma tata uttaram“ (In Deutschland heißt das Spiel „Der Plumpssack geht um“) wurde bald sein Lieblingsspiel.

 

So richtig wohl fühlt er sich nicht, zur Straße natürlich kein Vergleich, aber seine mühsam erkämpfte Freiheit, die geht schon ab. So viele Male ist Laxman die letzten Wochen jetzt schon abgehauen. Die Betreuer sind verzweifelt!

Im CWC wurde in Rücksprache mit der Familie schließlich beschlossen, ihn für einige Zeit im Vimukthi* unterzubringen. Die großartige Natur, der Freilauf und die Aufmerksamkeit dort (es sind nur wenige Jungen) wird Laxman sicher gut tuen.

 

„Oh nein! Jetzt muss ich schon wieder hier fort! – Vielleicht sollte ich mich aber freuen, mein Freund Raju war mal dort und hat geradezu geschwärmt.“

Bald lernte Laxman, die hohen Kokosnusspalmen und Mangobäume zu beklettern. Das heißgeliebte Kricket, das die Volontäre gerade von den Jungen lernen, blieb ihm vorerst ein Rätsel. Seine besten Freunde im Vimukthi wurden wohl die Hunde und Schafe des Bauern auf dem großen Gelände. Mit ihnen könnte er den ganzen Tag über die Wiesen und zwischen den Guavenpalmen herumtollen.

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Schafe vor Mangobäumen im Vimukthi

„Wo bin ich hier? Irgendwo im nirgendwo? Was ist mit meinen Eltern, meinen Geschwistern?“ Immer öfter konnte Laxman nicht schlafen. Die Stille beängstigte ihn, die Geräusche der Stadt, die ihn schon sein ganzes Leben lang begleitet haben; kann man die so einfach abstellen? Wie einsam es hier ist.
Einer von den Jungen, der seine Tränen nachts bemerkt hatte, erzählte Laxman von seinem heimlichen Plan: Morgen will er weg hier! Zurück in die Stadt; er hält das nicht mehr aus!

Nach dem Dropout laufen sie einfach in das winzige Dorf, das sie von dem wöchentlichen Ausflug schon kennen. Von dort können sie sich bis zum Bahnhof durchfragen, die meisten Züge fahren sowieso über Vijayawada.

Laxman ist sofort dabei. Gesagt, getan: am nächsten Tag waren zur großen Bestürzung aller Bewohner Vimukthis beide weg.

 

So eine aufregende Fahrt, so viel Rennerei! Vijayawada! – endlich!-
Die beiden Jungen können keinen Schritt mehr gehen. Sie schleppen sich zur nächsten Wartebank und schlafen auf der Stelle am Bahnsteig ein.

Da, ganz sanft rüttelt etwas an Laxmans Schulter. Es ist Shiva, die die Street Presence* leitet. Er kennt sie vom Sehen vom Shelter. Gleich dahinter steht der Volontär, bei dem er immer auf den Schultern saß.

Laxman vergräbt sein Gesicht vor Gram in den Armen und beginnt bitterlich zu weinen. Sein ganzer kleiner Körper zittert.

So kamen er und sein Freund nach viel Counselling und Besuchen beim CWC zurück zum Shelter.

 

Father Balashowry war heute zu Besuch. Schöne Grüße von seiner Mutter Jothy hat er Laxman bestellt. Gestern war der Father lange im BVK und Jothy hatte sich ausführlich nach ihren Söhnen erkundigt.

Ja, wie Laxman eben erfuhr, ist sein ein Jahr älterer Bruder Venkadesh schon seit zwei Wochen im Chiguru*. Nach einer Woche, die Venkadesh im Shelter verbrachte, konnte er, ehrgeizig wie er war, in die Brückenschule dort.

Und wie sich Laxman jetzt aber anstrengt, damit er auch ins Chiguru kommen darf! Nichts will er lieber, als endlich wieder zumindest einen der Familie um sich zu haben. – Außerdem: Was kann es denn besseres als richtige Schule geben? Wie oft hat er sich das wohl gewünscht, während seinen mühevollen Arbeitsstunden in der Fabrik?

 

Das Chiguru

Das Chiguru (links hinten: Spielplatz)

Sein Wunsch wird wahr. Wenige Wochen später fallen sich die Brüder auf dem Spielplatz mit brennend heißem Sand in die Arme. Sie dürfen sogar im selben Cottage wohnen, obwohl Laxman mit seinen sieben Jahren doch erst in die zweite Klasse und Venkadesh schon in die dritte geht. Aber das hat hier nur was mit dem Alter zu tun. Bis auf die ganz Kleinen (vier bis fünf Jahre) sind eigentlich alle Schüler mehr oder weniger auf gleichem Niveau.

Hier dürfen die Jungs sogar mit den Mädels zusammen spielen. Das ist doch wirklich etwas ganz Komisches, findet Laxman. Naja, beim „Donga“*** (dt = Dieb) Spiel sind die Jungs eh besser. Das macht Spaß!

Von den zahlreichen Sponsoren weiß er nicht recht, was er halten soll. Das Essen, das sie mitbringen ist zwar echt lecker und die vielen Fotos/Selfies sind auch super cool, aber jedes mal müssen sie noch eine Stunde stillsitzen, sich Reden anhören und immer brav lächeln. Das ist dann echt nervig!

 

Der große Tag ist gekommen. Er hat alle Vorschultests im Chiguru bestanden. Laxman zieht stolz seine neue Schuluniform an, die ihm die Ama gleich bei seiner Ankunft im Lillymogga* gegeben hat. Mit den anderen 20 Jungen, die ihn alle herzlich Willkommen heißen und ganz begeistert sind Laxman alles zu zeigen, betritt er heute zum ersten mal eine richtige Schule.

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Die Hütte des Lillymogga

Vor allem, dass sich hier alle Jungen gegenseitig helfen und die Ama für jeden Zeit und ein liebes Wort hat, macht das Lillymogga so schön.
Das Highlight des Tages ist die Gamestime jeden Nachmittag. Sich so richtig austoben, auf den Schultern der Volontäre sitzen, richtiges Spielzeug zu benutzen – da macht es auch nichts, wenn es in der kleinen, mit Palmblättern gedeckten Hütte mit so vielen Kindern manchmal ein bisschen eng ist.

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Das Lillymogga

 

 

Einmal bekam Laxman hohes Fieber. Da kann man sich nie sicher sein, ob es nicht vielleicht doch Typhus ist. Der Fahrer Ramesh, der immer riesige Töpfe Reis, Samba und Curry zu allen Einrichtungen fährt, nimmt ihn mit zum Yuva Bhavan*. Bis die Blutprobe wieder da ist muss Laxman im Sickroom bleiben. Manchmal war es schon fad. Aber wenn noch einer der anderen kranken Kinder munter war, konnten sie Carrom Board spielen, wie so oft im Shelter, Friedshipbands knüpfen, wie im Chiguru, oder einfach nur malen.

Am lustigsten ist es aber im Yuva Bhavan die Büros der Fathers oder die Collegeboys, die im Stockwerk darüber wohnen, auszuspionieren.

Als Laxman eigentlich schon nicht mehr krank war durfte er sogar mit Ramesh beim Essen Verteilen mitfahren.

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Straße vorm Yuva Bhavan (rechts) (Im Hintergrund: Rameshs Auto)

 

 

Venkadesh ist jetzt schon ins große Moggas* umgezogen. Er ist immer noch so ehrgeizig! Gott sei Dank sehen sie sich immer kurz bei der Gamestime. Die anderen Freunde vom Shelter, auch Raju, sehen die Lillymogga Jungs bei jedem großen Fest. Die werden immer gemeinsam gefeiert. Manchmal machen sie auch alle einen Ausflug: ins Kino für einen Aktionfilm, in den alten, grünen Vergnügungspark mit den überlebensgroßen Plastikdinosauriern oder in die Außenprojekte Chiguru und Vimukthi. Das ist dann immer besonders schön, weil sich alle wiedersehen.

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Ein Ausflug in Richtung Kino

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Tänze bei den Festen im Moggas

 

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Vor dem großen Moggas

 

Über das BVK haben die Brüder von ihrer Mutter erfahren, dass es ihr tatsächlich geglückt ist, ein kleines Friseurgeschäft zu eröffnen. Weil die dreiährige Bhavani in die Playschool von Navajeevan gehen konnte, schaffte Jothy das Geschäft und den Haushalt zu führen. Ihr Vater musste trotzdem noch in die Fabrik.

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Die Playschool

Die beiden großen Schwestern von Laxman, Venkadesh und Bhavani waren schon verheiratet, was ein tiefes Loch in die Familienkasse geschlagen hatte. Vor allem nach dem tragischen Tod des ältesten Sohnes im letzten Jahr durch einen Verkehrsunfall, zeigten sich Verluste in der Familie deutlich.

 

Venkadesh schaffte es tatsächlich die Schule zu beenden, zog dann vom Moggas ins Yuva Bhavan, um aufs College zu gehen und steht jetzt kurz vor seinen Aufnahmeprüfungen zur Uni.

Er übt jetzt jeden Abend mit den Volontären, die auf ihrem Weg hin oder zurück von dem „Dining Room“ sind, fleißig Englisch. Sie lernen im Austausch ein bissen Telugu von ihm.

Wir drücken ihm die Daumen, dass er alle Tests besteht und bald seine Träume verwirklichen kann!!!

 

Laxman ist da eher praktisch veranlagt: Nach der Schule ist er vom Moggas in das Nachbarhaus des RVTC* gezogen. Jetzt lernt er dort Mechaniker. Nachdem sein Bruder wegen eines schlecht reparierten Motorrades umgekommen ist, ist es ihm besonders wichtig, dass die Maschinen sicher und verkehrstüchtig sind. Außerdem kann er so seine Kontakte zu den anderen Projekten gut pflegen. Die Jungen vom RVTC fahren immer zu den verschiedenen Häusern und reparieren alles, was anfällt. Schade ist nur, dass die Volontäre hier so selten vorbeikommen, aber das soll sich ja auch bald ändern.

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Das RVTC

 

 

Diese Geschichte mag vielleicht ein bisschen übertrieben sein. Kaum ein Junge besucht wohl wirklich alle Projekte. Das Leben in den Don Bosco Häusern hier, könnt ihr euch aber genauso vorstellen.

Ich freue mich euch bald wieder aus Vijayawada zu berichten!

 

Ich selbst arbeite jetzt im Shelter, Sickroom und bin dreimal in der Woche bei der Gamestime dabei.

Im nächsten Beitrag beschreibe ich meinen Arbeitsalltag dann etwas genauer.

Ich hoffe ihr seid schon neugierig geworden 🙂

 

Rebecca

 

 

*Alle Projekte und Häuser werden auf der Seite „Mein Projekt: Navajeevan Bala Bhavan“ meines Blogs erklärt und beschrieben.

 

**CWC ist eine Zusammenkunft von staatlichen, NGO- und Schulvertretern. Die fünf Mitglieder treffen sich jeden Dienstag und Freitag, um über schwierige Fälle bei Minderjährigen zu entscheiden. Die Anrufe der „Child Line“ Notrufnummer 1098 gehen auch bei ihnen ein. Das Institut ist in etwa vergleichbar mit dem Jugendamt in Deutschland.

 

***Bei dem Spiel klettern alle Kinder auf dem Klettergerüst herum. Einer ist der „Donga“ und muss die anderen fangen.