Wer in Deutschland seinen Flimmerkasten anschmeißt um Profisportlern beim Ausüben ihres Berufes zuzuschauen, der sieht auf den Bestenlisten nur äußerst selten die indische Flagge. Außer vielleicht, wenn man Cricket- oder Carromweltmeisterschaften schaut. Gibt es das im deutschen Fernsehen überhaupt? Ich weiß es nicht. Jedoch heißt das noch lange nicht, das Inder überwiegend faul oder unsportlich sind. Schon in den ersten Tagen habe ich festgestellt, dass die Jungs in unserem Projekt enorm sportbegeistert sind. Auch in der Stadt gibt es öffentliche Sportplätze, auf denen immer Betrieb war, wenn ich vorbeigekommen bin. Außerdem veranstaltet die Coimbatore Cancer Foundation jährlich einen Marathon.

Und wir waren dabei

Es standen drei verschiedene Streckenlängen zur Auswahl: Die Halbmarathondistanz (laut Wikipedia 21,0975 km), zehn Kilometer und fünf Kilometer (die Veranstaltung als Marathon zu bezeichnen halte ich deshalb ja für etwas hochgegriffen, aber was solls). Einer der Jungs ist beim Halbmarathon an den Start gegangen. Neun weitere Jungs, ein Mitarbeiter und wir zwei Volontäre wurden für die 10 km gemeldet.

Doch bis zum Vorabend des Wettkampfes wussten Bene und ich gar nicht wirklich darüber bescheid, ob wir jetzt einen Startplatz haben oder nicht, geschweige denn welche Distanz wir laufen würden. Uns wurde zwar schon zwei Wochen vorher von einigen Jungs erzählt, dass dieser Lauf stattfinden würde, woraufhin wir einen der Brothers baten, uns auch anzumelden. Außerdem fand ich dank der Lokalzeitung heraus, dass der Coimbatore Marathon am Sonntag den 6.10. stattfinden würde. Auch die Startzeiten konnte ich über diesen Weg in Erfahrung bringen: 5:00 Uhr für den Halbmarathon, 6:15 Uhr Start des zehn Kilometer Laufes und für die Starter über fünf Kilometer würde es um 7:00 Uhr losgehen. Irgendwie konnte uns das nämlich keiner so genau sagen.

Jetzt wusste ich zwar wann (oder zumindest welche Zeiten möglich wären), aber immer noch nicht ob ich starten würde. Am Samstag Vormittag erklärte uns Brother Herman dann, dass nur Bene teilnehmen würde und zwar über fünf Kilometer. Für mich sei kein Starterpaket angekommen. Das versetzte meiner Stimmung erstmal einen kleinen Dämpfer, aber der sollte nicht lange halten: Am Abend, als wir schon schlafen wollten, klopften zwei Jungs an unsere Zimmertür und brachten uns beiden einen Beutel mit T-Shirt und Startnummer. Und diese Startnummern waren für den 10 km Lauf. Was wir am Vormittag erfahren hatten musste also irgendwie ein Missverständnis gewesen sein. Ob dieses Missverständnis auf unserer oder Brother Hermans Seite lag weiß ich nicht.

Renntag

Um 5:15 Uhr klingelt unser Wecker, wir streifen uns schnell unsere hübschen roten und leider zu engen T-Shirts über, schlüpfen in Shorts, Socken und Schuhe (diese drei Sachen haben wir in Indien eigentlich recht selten an) und gehen nach draußen, wo die Jungs schon warten. Um 5:30 Uhr sollten wir mit dem Auto zum Start gefahren werden. Allerdings sind wir so viele Leute, dass es nichtmal stapelnd möglich ist, uns alle in das Auto zu zwängen. Also fährt die erste Fuhre los und wir bleiben zu fünft zurück, um bald auch abgeholt zu werden. Denken wir.

6:00 Uhr: Noch 15 Minuten bis zum Start. Leichtes Unbehagen, da das Auto immer noch nicht in Sicht ist. Zweifel kommen auf, ob wir überhaupt noch zum Marathon kommen werden. Oder sind wir jetzt unnötigerweise so früh aufgestanden?

6:07 Uhr: Unsere Mitfahrgelegenheit kommt angerast.

6:09 Uhr: Starkes Unbehagen, da der Fahrstil unseres Cheuffeurs nicht im geringsten an den Zustand der indischen Straßen angepasst ist. Glücklicherweise sind wir zu viert auf der Rückbank relativ stabil eingequetscht.

6:15 Uhr: Null Minuten bis zum Start. Wir parken, springen aus dem Auto und rennen ein paar Minuten lang durch die Stadt.

6:21 Uhr: Wir sind an der Startlinie angekommen – sechs Minuten zu spät – und laufen zusammen mit der letzten Startgruppe los. Dass diese sechs Minuten später als die erste Startgruppe startet lässt mich grob erahnen, wie viele Leute hier teilnehmen.

Jetzt geht es los

Da diejenigen Läufer, die so weit hinten starten, sich hauptsächlich gehend fortbewegen, wird der ganze Lauf für uns zu einem einzigen Überholmanöver. Das ist für ain paar Minuten recht amüsant, auf Dauer jedoch eher unangenehm. Ich kann lange Zeit kein gleichmäßiges Tempo halten, da ich ständig Richtungswechsel einschlagen, abbremsen und wieder beschleunigen und zwischen Teilnehmern hindurch schlüpfen muss. Nach einer Viertelstunde hat sich das Feld dann immerhin so weit auseinandergezogen, dass genug Platz ist, auf einer Seite in gleichmäßigem Tempo an den Menschenmassen vorbeizuziehen. Allerdings meldet sich jetzt mein Bauch, dass er es gar nicht so super findet, vollkommen leer zu laufen (ich hatte ja heute noch nichts zu essen). Zum Glück beschert er mir aber keine unangenehmeren Vorkommnisse, als diesen leisen Protest. Das darf ich also vorerst ignorieren.

Nach zehn Kilometern, zwei Getränken, drei Musikkapellen, einigen Motivationsspruchbannern vom Hauptsponsor und geschätzten fünfzig Minuten (ich weiß keine genaue Zeit, aber es war bestimmt keine neue Bestleistung für mich) erreiche ich ziemlich durchgeschwitzt die Ziellinie. Dort warten schon zwei Anbu Illam Jungs, die andern habe ich hinter mir lassen können – was meinem Ego natürlich sehr entgegen kommt. Wenige Minuten später liefert sich Bene noch einen Zielsprint mit einem unserer Jungs. Bene gewinnt, was sein Kontrahent später noch einige Male zu hören bekommt ;).

Finisher-Selfie

Im Ziel

Im Zielbereich wird jedem Finisher erst mal eine Medaille umgehängt. Außerdem gibt es reichlich Wasser-, Kaffe-, Tee- und Essensausgabestellen. Die ganze Versorgung ist im Starterpaket enthalten, allerdings erlaubt mir mein Verdauungstrakt noch nicht, mir mein wohlverdientes Frühstück zu holen. Natürlich sind hier auch haufenweise Menschen und für viele von ihnen scheint es etwas ganz Besonderes und besonders Notwendiges zu sein, ein Bild von sich selber mit einem – oder am besten zwei – weißen Tyen auf der Speicherkarte ihres Smartphones zu haben.

Ich glaube, es kann ganz schön anstrengend und nervtötend sein, wenn man Prominent ist. Aber für die eineinhalb Stunden, die wir im Zielbereich verbracht haben, war es ziemlich witzig, ständig nach Selfies gefragt zu werden und diesen Gefallen haben wir natürlich auch niemandem vorenthalten.

Als dann alle Jungs gegessen haben, sich versammeln und ein Gruppenbild machen konnten, treten wir endlich den Rückweg an. Eigentlich hätten wir wieder mit dem Auto nach Hause gefahren werden sollen, allerdings sind Auto und Fahrer schon irgendwo anders unterwegs. Unpraktischer Weise mitsamt meinem Handy und Benes Kamera. Also gehen wir zu Fuß zurück und ich werde einen halben Tag zu Smartphoneentzug gezwungen.

Ende