In den letzten drei Monaten haben wir so viele Inder getroffen, die sich riesig gefreut haben, weiße Leute zu sehen. Die unbedingt Fotos mit Bene und mir machen wollten. Einmal habe ich für einen Schnappschuss sogar ein kleines Kind in die Hand gedrückt gekriegt. Aber nie hat sich jemand über unsere Anwesenheit beschwert. Wir wurden nie aufgrund unseres Aussehens oder unserer (offensichtlich nicht indischen) Herkunft benachteiligt. Und dennoch haben wir mysteriöse Widersacher in diesem Land. Irgendwo hinter irgendwelchen Schreibtischen irgendwelcher Behörden sitzen irgendwelche Beamten, die in ihrer teuflischen Willkür uns harmlosen deutschen Volontären nicht die Genugtuung geben wollen, endlich mal offiziell in Indien angekommen zu sein. Oder so ähnlich.

selfie

Das Visum

muss, um seine volle Wirkung zu entfalten, in den ersten zwei Wochen nach Einreise registriert werden. Schon das indische Visum zu beantragen war dank endloser Mausklickerei im Internet, einem sehr hohen Preis und einer unvermeidbaren Reise nach München ein echtes Erlebnis. Immerhin wurde diese Tortur mit einem hübschen Zettel im Reisepass belohnt. Am Flughafen in Tiruchirapalli kam dann noch ein Stempel daneben und ich dachte, damit wären alle Formalitäten erledigt. Tja, Denken ist eben Glücksache.
Am zweiten Tag in Coimbatore müssen wir dann schon wieder online ein Formular ausfüllen. Schon wieder ewige Mausklickerei auf der selben eigenwilligen Internetseite, die ich schon aus Deutschland kenne. Sie hat die unangenehme Gewohnheit, ihre Besucher nach Lust und Laune rauszuschmeißen und dazu zu zwingen von vorne anzufangen. Ständig lässt sie ihr nichtsahnendes Opfer die selben Sachen eingeben. Die gleichen Adressen und p. Wieder und wieder. Doch das schlimmste: man wird ständig nach der Nationalität gefragt und muss jedes Mal scrollen, bis man Germany findet. Da ich das so enorm penetrant finde, habe ich mitgezählt: zehn Mal, um das Visum zu beantragen und sechs Mal um es zu registrieren. Vorausgesetzt man schafft es im ersten Anlauf, was sehr unrealistisch ist.

Haben Sie bitte einen Moment Geduld

Mit diesem und noch einigen weiteren Formularen im Gepäck geht es dann zum Police Office um die Registrierung abzuschließen. Dort erfahren wir allerdings nur, dass wir woanders hinmüssen. Woanders stellt sich als kleines Zimmerchen an einer Seitenstraße irgendwo in der Stadt heraus. Woanders macht nicht auch nur im geringsten einen offiziellen Eindruck. Woanders sieht eher nach zwielichtigem Reisebüro, als nach Behörde aus. Hier sitzen wir jedenfalls knappe zwei Stunden herum, während die enthusiastische Frau auf der anderen Seite ihres Schreibtischs in ihrem Computer herumtippt. Am Ende müssen wir dann beide einen Zettel unterschreiben und sind glücklich, diesen offiziellen Behördenkrimskrams endlich beendet zu haben.
Denken wir zumindest.
Doch Denken ist ja bekanntlicherweise Glücksache.

So weit, so verwirrend

Natürlich wird es noch deutlich komplizierter. Genau einen Monat später (mitte Oktober) schlagen unsere mysteriösen Widersacher erst richtig zu: Eine Anbu Illam Mitarbeiterin erzählt mir, dass irgendetwas mit unserer Registrierung nicht geklappt hat. Was genau das Problem sei wisse niemand so genau. Jedenfalls müssten Bene und ich bald nach Chennai fahren, um dort unsere Formalitäten zu regeln.
Chennai ist die Hauptstadt des Bundesstaates Tamil Nadu und gleichzeitig eins der größten Ballungszentren Indiens.
Nach einigen Telefonaten mit anderen Salesianern, die auch Volontäre beheimaten, kommen unsere Fathers zu dem Entschluss, dass es auch ohne Chennaireise klappen muss. Schließlich sind wir die einzigen Volos, die persönlich nach Chennai beordert wurden.

Unterschriften hier, Stempel da…

In den folgenden Wochen werden hin und wieder verschiedene Dokumente verlangt, wir fragen alle paar Tage die Fathers, ob sie etwas neues wüssten, worauf sie uns meistens versichern, dass sie ebenso wenig Ahnung davon haben, was das alles eigentlich soll.

Eines unglücklichen Mittwochvormittags (zwanzigster November) jedoch passiert dann etwas. Aufmerksamen Bloglesern fällt an dieser Stelle natürlich sofort auf, dass Bene und ich Mittwochs normalerweise an der Don Bosco School of Excellence Deutschunterricht geben. Während der Vormittagsteepause sagt uns der Schuldirektor, wir müssten dringend im Anbu Illam anrufen. Irgendwas wegen Registrierung sei der Grund. Am Telefon erzählt mir ein Brother, dass wir auf schnellstem Weg zurück nach Ukkadam müssen, dort wird uns Cyril, ein Mitarbeiter, am Bus Stand abholen. Eine Stunde später sitzen wir in einer Riksha und fahren zum Collectors Office. Von dort aus laufen wir noch ein paar Schritte zu einem winzigen Büro.

Dieses Zimmerchen beinhaltet einen Schreibtisch mit Computer, fünf Stühle und unzählige Bücher. Diese Wälzer tragen alle solch lyrisch anmutende Titel wie: „Weekly Crime Report (civil) 1/2011“ oder „Weekly Crime Report (criminal) 5/2013“. Unser Registrierungsproblem ist also scheinbar so kompliziert, dass man einen Anwalt braucht um es zu lösen. Drei Unterschriften später werden wir dann zwei Stockwerke nach oben in ein Zimmer gebracht, dessen größter Unterschied darin besteht, dass die weekly crime reports deutlich älter sind und dass der Wandkalender hinduistisch statt christlich ist. Auch hier werden wir noch eine Unterschrift los und der Notar, dem dieses Büro gehört, stempelt munter auf unseren Unterlagen vor sich hin.
Diese Papiere werden dann per Post an die Behörde in Chennai geschickt.

Again and again and again

Dass wir dafür den Unterricht sausen lassen mussten, passt uns beiden überhaupt nicht. Aber wie es der Zufall so will müssen wir das eine Woche später schon wieder. Diesmal werde ich sogar während einer Unterrichtsstunde zum Rektor beordert. Mein Instinkt sagt mir sofort, dass das nichts Gutes heißen kann.

Ungefähr zwei Stunden und einen Besuch beim Photoshop später sitzen wir wieder in dem kleinen Anwaltskämmerchen um nochmal drei Unterschriften auf zwei Papieren zu hinterlassen. Außerdem werden unsere frisch gemachten Passfotos draufgeklebt und wir beide lassen unser Alter verbessern. Sowohl bei Bene als auch bei mir steht nämlich „aged about 19 years“ auf dem Dokument. Es ist zwar nicht falsch, dass wir beide so ungefähr neunzehn sind, aber genau genommen ist Bene zwanzig und ich achtzehn. Der einzige Unterschied zwischen den Papieren von letzter und denen von dieser Woche ist, dass auf ersteren ein Zwanzigrupienschein und auf letzteren ein Hundertrupienschein abgedruckt ist.

dafür sind gleich zwei Mal ungefähr neunzig Schüler um ihren Deutschunterricht gekommen.

Auch dem Notar statten wir dieses Mal wieder einen Besuch ab und überlassen die Papiere seinen Stempeln.

Geschafft? Nö!

An alle die diese zugegebenermaßen nicht gerade Actionreiche Story bis hier verfolgt haben und nicht, wie ich in manchen Büros beim Warten, schon längst darüber eingeschlafen sind: Der Bürokratieschwachsinn hat damit leider immer noch kein Ende gefunden.

Allerdings kommt es jetzt zu einem Ortswechsel. Denn, wie schon vor fast zwei Monaten angedroht, lässst sich unser mysteriöser Widersacher nicht davon abbringen, uns persönlich nach Chennai zu beordern.

Eisenbahnverkehr

Am Dienstag, den 10. Dezember, steigen wir also um ein Uhr morgens in unseren zwei Stunden verspäteten Zug nach Chennai. Neun Stunden später, nahezu ohne Schlaf und mit zweieinhalb Stunden Verspätung stehen wir dort vor dem Hauptbahnhof und warten auf unser Taxi. Dieses bringt uns zum Bureau of Immigration, wo Bene und ich eine Weile warten, während Cyril, der sich netter Weise um unsere Behördenangelegenheiten kümmert, mit dem Mann hinterm Schreibtisch redet. Irgendwann verlassen wir das Büro um endlich mal etwas zwischen die Zähne zu kriegen. Bei unserem kombinierten Frühstück und Mittagessen erklärt unser Begleiter uns, dass wir auf einigen unserer Formulare noch hier und da etwas ändern müssen. Er schreibt von Hand schonmal einen neuen Entwurf, den er später in der Einreisebehörde noch absegnen lässt.

Der Hauptfehler unserer bisherigen Registrierungsversuche war übrigens, dass wir nicht ausdrücklich erwähnt hatten, keine Missionarsarbeit zu tätigen. Die hindunationale Regierung ist generell nicht sonderlich erpicht auf eine multireligiöse Gesellschaft. Aktuell finden sogar landesweit Proteste gegen ein neus Gesetz, welches Muslime diskriminiert, statt. Wen das genauer interessiert, der findet einiges dazu in diesem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch in der größten indischen Tageszeitung „The Hindu„, die trotz ihres religiösen Namens vollkommen unvoreingenommen darüber berichtet, findet ihr einiges zum „Citizenship Amendment Act“.

Big City Life

Bis unser Nachtzug zurück nach Coimbatore fährt, haben wir allerdings noch einige Stunden Zeit. Wir beschließen spontan, Clara und Jakob zu besuchen. Die beiden sind Volontäre aus dem Norden Deutschlands, die wir bisher allerdings kaum kennen, da wir sie nur auf einem der drei Vorbereitungsseminare kurz getroffen haben. Als wir in ihrem Anbu Illam in Chennai ankommen sind die beiden sichtlich verwirrt, aber nach einer kurzen Erklärung wer wir sind und was wir hier machen liefern dann recht schnell irgendwelche Gehirnzellen aus den Untiefen des Denkapperats die Erinnerung an unsere Gesichter und die Namensvetterschaft zwischen Jakob und mir. Auch Benes Glanzleistungen im Ukulelespielen bringen die Synapsen relativ bald wieder ans Licht. Zu den Blogs der Beiden geht es hier: Clara und Jakob.

Nachdem wir also eine Weile mit den zwei anderen Volos gequatscht haben fahren wir noch per Auto (Riksha) zum Strand, waten ein bisschen durchs warme Meerwasser, um uns dann auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Dort hauen wir uns noch den Magen voll, bevor es, wieder über Nacht, zurück nach Hause geht. Diesmal hat sogar jeder von uns sein eigenes Bett im Zug und ich schlafe bis zur Ankunft am Mittwochmorgen in Coimbatore durch. Das ist aber auch bitter nötig, da wir uns direkt auf den Weg zum Deutschunterrichten machen.

Auf dem Dach des Anbu Illam in Chennai
Nachts am nahezu menschenleeren Strand
Chennai Hauptbahnhof
gute Nacht

Geschafft

Eine Woche später fährt Cyril schon wieder nach Chennai (diesmal ohne uns) um die überarbeiteten Papiere abzugeben. Diese sind soweit okay, allerdings müssen wir noch einen haufen Geld zahlen um den ganzen Prozess abzuschließen.

Am neunzehnten Dezember dann, neunundneunzig Tage nach unserer Ankunft in Indien, sind wir hier endlich auch registriert.

Wieso? Weshalb? Warum?

Wer nicht fragt bleibt dumm. In diesem Fall hilft leider auch Fragen nicht viel. Die Fathers und Cyril können nur spekulieren, was der Grund für den ganzen Aufwand sein könnte. Fest steht auf jeden Fall, dass die ganze Prozedur vor wenigen Jahren noch deutlich unkomplizierter war. Die ersten deutschen Volontäre mussten sich sogar überhaupt nicht registrieren, das Visum reichte völlig aus. Doch scheinbar sei die aktuelle Regierung nicht sonderlich Nicht-Hindu-freundlich. Oder hat sie nur Angst, dass ihr Steuergeld durch die Lappen gehen könnte, falls wir Geld vedienen würden? Außerdem würde wohl die regionalpolitische Situation in Coimbatore den ganzen Kladderadatsch noch unangenehmer machen. Ein Father erwähnte diesbezüglich einmal etwas von wegen „anti-christ party“. Ein weiterer Grund ist, dass scheinbar während unseren Registrierungsversuchen das Verfahren hierfür geändert wurde. Ein Brother erzählte uns auch, dass unser erster Antrag einfach abgelehnt wurde und der zweite so kompliziert und teuer wurde, da er nicht innerhalb der ersten vierzehn Tage nach Ankunft erfolgte.