Da stehen wir jetzt in einem Klassenzimmer vor dreißig Inderkindern, die im Chor „eins, swei, drei, vier, funf, …“ gröhlen. Überraschung? Jein!
Schon vor Ewigkeiten – also irgendwann im September – wurde Bene und mir gesagt, dass wir schon bald Deutschunterricht geben sollten. Father Jo fuhr mit uns nach Vellakinar (Stadtteil am Nordrand von Coimbatore; unser Projekt ist in Ukkadam, was sehr zentral liegt), wo auch eine Salesianergemeinschaft lebt, außerdem eine Aussenstelle des Anbu Illams und vor allem die „Don Bosco School of Excellence“ ist. Schon allein der Name macht ordentlich Eindruck und das Schulgebäude und -gelände steht dem in nichts nach: Ein ziemlich gewaltiger Gebäudekomplex der von bewässertem Rasen, Spielplatz und großem Sportplatz umgeben ist. Der Neubau wurde erst vor vier Jahren errichtet und könnte auf den ersten Blick auch als Hotel durchgehen. Dank von Säulen gesäumtem Eingangsbereich und auf Hochglanz polierten Fliesen am Boden wirkt es hier eher steril als indisch. Im Altbau kommt weniger Sternehotelfeeling auf, aber der landesweite Schulgebäudeinnenraumqualitätsdurchschnitt wird bestimmt übertroffen.
An diesem Tag im September lernten wir den Rector und den Principal der Schule kennen. Letzterer, Father Albert, erzählte uns, dass wir Anfang Oktober zu unterrichten beginnen sollten. Wir wären immer Mittwochs eingeplant.
gesagt, nicht getan
Am Dienstagabend der zweiten Oktoberwoche (davor waren Ferien) fragte ich dann mal nach, ob wir denn morgen kommen sollten. Die Antwort war nur ein ernüchterndes: Wartet ab, ich muss noch planen, ich sag euch dann bescheid. Bis das dann passierte, verging allerdings deutlich mehr Zeit, als ich erwartet hätte.
naja, also verspätet getan
Dienstag, fünfter November, wir sitzen beim Abendessen, als uns Father Selva (Rector im Anbu Illam) erzählt, dass wir morgen in der Don Bosco School erwartet werden. Später am Abend lässt uns noch Father Jo (der immer alles für uns organisiert) zu sich rufen und teilt uns einen ehemaligen Anbu Illam Boy zu, der uns am nächsten Morgen zeigen wird wie wir mit dem Bus nach Vellakinar kommen.
Partybus am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
Die Anreise zur Schule nimmt zwar insgesamt eineinhalb Stunden in Anspruch, entschädigt dies jedoch mit allerhand Erlebnisreichtum. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch zum Ukkadam Bus Stand steigen wir in unseren ersten Bus, aus dem tamilische Partymusik in voller Lautstärke dröhnt. Für zehn Rupien inklusive Beschallung gehts hiermit bis zum Gandhipuram Bus Stand.
Bus Stands gibt es hier übrigens Haufenweise: Das sind recht Große Busbahnhöfe mit enormem Verkehrsaufkommen, die immer von allerlei Straßenständen gesäumt sind. Außerdem sind sie Anziehungspunkte für Bettler, die durch die stehenden Busse ziehen, um sich etwas Geld für ihr täglich Reis zusammen zu kratzen.
Weiter geht die Reise mit der Linie 111A mit weniger Musik, dafür aber mehr Menschen. Hier zahle ich fünfundzwanzig Rupien (10 Rs.+ 25 Rs. = 35 Rs. = 0,45 Euro) an den Schaffner, den man in jedem indischen Bus antrifft. Zum Businventar gehört außerdem immer ein Bild mit hinduistischen Göttern (Ich glaube es sind immer die gleichen) und Sitzreihen in die ich meine Knie nur selten hineinzwängen kann. Bene kann das übrigens aufgrund seiner Größe nie. Auch erwähnenswert sind die Türen, die immer geöffnet und meistens sogar in diesem Zustand festgeschraubt sind.
von Schüler zu Lehrer in nur vier Monaten
Nach dem Frühstück wird uns unser Stundenplan vorgestellt und dann müssen wir nur noch die letzten zehn Minuten bis zum Unterrichtsbeginn absitzen. Das Sofa im Büro des Principals ist zwar außerordentlich gemütlich, dennoch beschleicht uns leichtes Unbehagen. In wenigen Minuten schon sollen wir vollkommen unvorbereitet eine Gruppe Fünftklässler unterrichten. Wir haben beide keinerlei Erfahrung als Lehrer. Außerdem wissen wir ja überhaupt nicht, was uns im Klassenzimmer erwarten wird. Immerhin wird uns den Tag über eine Französischlehrerin begleiten, dank der wir hoffentlich nie komplett aufgeschmissen sein werden.
Im Klassenzimmer erwartet uns dann eine außerordentlich unchaotische, ja sogar sehr disziplinierte Truppe von dreißig Schülern. „Be quiet, please“ wird in der Regel sofort umgesetzt und bei Wortmeldungen wird aufgestanden. Das finde ich am Anfang zwar fast so verwirrend, wie mit „Jacob, Sir“ angesprochen zu werden, aber es ist aus Lehrerperstpektive eigentlich sogar sehr angenehm.
Da die Fünft- und Viertklässler letztes Jahr schon von unseren Vorgängervolontären unterrichtet wurden, kennen einzelne Schüler sogar noch einige Worte und der Alphabets-Singsang läuft wie am Schnürchen. Des weiteren nehmen wir die Zahlen von eins bis zehn durch und benennen einige Objekte im Klassenzimmer, wie zum Beispiel „Tafel, Stift, Heft, …“.
Nach der fünfzehnminütigen Teepause geht es mit Klasse Vier weiter. Allerdings nicht im Klassenzimmer, sondern aus Platzgründen in der „audio visual hall“. Wir unterrichten hier nämlich Klasse a und b zusammen. Doch vierzig Inderkindern auf einem Haufen Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln ist weniger anstrengend als erwartet. Was natürlich nicht heißt, dass es den Chillfaktor eines Fernsehabends auf der Couch hat. Vor allem, als wir in der letzten halben Stunde mit Bällen spielerisch Alphabet und Zahlen wiederholen, lässt es sich eher mit Zirkusmanege als mit Sofakissenplattsitzen beschreiben.
Dennoch, oder gerade deshalb, gehen wir mit einem dicken Grinsen zum Mittagessen.
Am Nachmittag trudeln fünfzig Drittklässler in unserer Unterrichtshalle ein und lernen Zahlen und Alphabet von uns. Auch sie kommen in den Genuss unserer spielerischen Lehrmethoden. Sprich: auch sie dürfen Bälle hin und her werfen. Ob ihre Deutschkenntnisse dabei großartig gefördert werden, dessen bin ich mir nicht ganz sicher. Aber Spaß hat es gemacht!
empowering young minds
So lautet das Motto der Don Bosco Schule. Es werden zusätzlich zum Unterricht (der wohl auf internationalen Standarts basiert) Freitagnachmittags verschiedenste Clubs angeboten. Auch auf Spiel und Sport wird im Sinne Don Boscos viel wert gelegt – das ist an anderen Schulen nicht immer so.
Auch interessant ist, dass hier jeder Schüler einem von vier Häusern zugeteilt ist. Diese heißen zwar leider nicht Gryffindor oder Slytherin, sondern Bosco, Savio, Rua und Rinaldi. Dafür muss aber zum Glück auch niemand Lord Voldemort bekämpfen. Die verschiedenen Häuser dienen – ähnlich wie bei Harry Potter – dem „gesunden Wettkampf“ untereinander. Ich bin zwar nicht mit dem genauen Bewertungssystem vertraut, jedoch können die Schüler wohl während der Schulzeit Punkte holen oder verlieren.
see you next wednesday
Nachdem wir all unseren Unterricht abgehalten haben, machen wir uns auf den Heimweg. Dank der gewonnenen Eindrücke werden wir beim nächsten Mal mit Sicherheit besser vorbereitet erscheinen. Außerdem wissen wir ja jetzt rechtzeitig über unseren Unterrichtsauftrag bescheid.
Wenn du noch mehr Eindrücke über Benes und meinen Aufenthalt im Don Bosco Anbu Illam in Coimbatore sammeln willst, dann schau doch mal auf Benes Blog vorbei. Hier findest du unter anderem einen höchst informativen und amüsanten Blog über unseren Alltag.
Laura Gnann
Hi Jacob 👋🏾☺️ Das klingt echt alles mega interessant ! Finde es krass dass ihr so große Klassen zu managen habt. Wir haben 7Jungs zu unterrichten und kommen manchmal echt an unsere Grenzen 😂. Disziplin ist bei uns nicht so ….
Schulgebäudeinnenraumqualitätsdurchschnitt & Sofakissenplattsitzen 😂👌🏾👌🏾 Zu gut
Wir müssen euch irgendwann noch besuchen kommen ! Ihr seid ja nicht so weit weg 😍
Jacob Fischer
Ja, mich hat auch sowohl die Klassengröße, als auch die Disziplin überrascht.
Und stimmt, wir müssen uns unbedingt mal gegenseitig Besuchen. Allerdings ist die Registrierung von Bene und mir immernoch nicht abgeschlossen. Deshalb sollen wir noch keine Ausflüge außerhalb von Coimbatore machen.
Mehr dazu gibt’s später mal auf meinem Blog zu lesen😉.
Laura
Krass was geht denn da schief dass ihr immer noch nicht registriert seid ? Aber kommen wir halt mal zu euch ☺️