Es war einmal vor langer Zeit ein großes Volk. Es lebte friedlich und einträchtig in seinem schönen Land. Im Einklang schlugen die Trommeln der verschiedenen Stämme und jeden Abend wenn es dunkel wurde, versammelte sich das ganze Volk um seine Feuer, um den Untergang der Sonne und ihre Widerkehr am nächsten Morgen zu feiern. Es wurde gesungen und getanzt und alle waren fröhlich. Doch es kam Unheil über das Volk. Geister schlichen sich in ihr Land und zerstörten die Harmonie unter den Stämmen. Sie streuten Hass und Unfrieden in die Herzen der Menschen. Es gab Krieg. Noch weit in der Ferne, hörte man das Kampfgeschrei und die Schläge der Stöcke dröhnten in den Ohren. Die Nächte waren nun nicht mehr friedlich. Das rhythmische Trommeln lud die Leute nicht mehr zum Tanz, sondern heizte aggressiv die Stimmung gegen die einstigen Freunde an. In einem letzten großen Kampf, fand der Krieg schließlich seinen Höhepunkt. Es wurden sehr viele Menschen verletzt und es herrschte überall große Trauer. Doch da schritt eine Frau, in einem schönen weißen Sari über das Schlachtfeld. Trauer zeichnete ihr Gesicht und wo sie an einem Verwundeten vorbeikam, half sie ihm auf. Mit eindringlicher Stimme ermahnte sie die Menschen zum Frieden und so geschah es, dass den Menschen die Augen geöffnet wurden und die Stämme erkannten, dass sie sich von Geistern geblendet, in die Irre führen lassen hatten.
Nun kehrte die Gemeinschaft zurück. Die Stämme verbündeten sich und sie treiben die Geister zusammen um sie zu vernichten. Zu guter Letzt, war es die Frau im weißen Sari, die die Geister mit einem kräftigen Paukenschlag, so schien es, für immer vertrieb. Von diesem Tag an, war sie „Mother India“, die Frau, die dem Volk ihren Frieden wiedergab.
Nun gut, einige haben es sich vielleicht schon gedacht, aber Mother India bin ich (ich weiß, sehr passend ;)). Ich trage tatsächlich einen weißen Sari, stehe auf einem Stuhl und schwenke eine indische Fahne. Der Stuhl wiederum steht auf einer großen Bühne, auf der einige Jungen und Mädchen mit Stöcken, Rasseln und den landesüblichen Trommeln tanzen. Vor der Bühne sitzen noch einige Kinder mehr, außerdem viele Erwachsene, die sich die Abschlussaufführung unseres Cultural Trainings nicht entgehen lassen wollen.
Die Kinder haben Ferien und viele von ihnen sind zu ihren verbliebenen Verwandten gefahren. Doch einige Jungs haben noch nicht einmal mehr Tanten, Onkel oder ähnliches und müssen daher hier in Anbu Illam bleiben. Um auch ihnen die Tage möglichst schön zu gestalten, hat der Direktor ein dreitägiges Cultural Training organisiert, wofür professionelle Tanztrainer her gekommen sind um den Kindern die traditionellen indischen Tänze beizubringen. Unser Direktor ist ein äußerst netter und sozialer Mann, daher haben sich nicht nur unsere verbliebenen 20 Jungen die letzten drei Tage auf dem Hof getummelt, sondern noch 110 Kinder mehr, Jungen und Mädchen im Alter zwischen 6 und 20 Jahren, die aus den verschiedensten Sozialprojekten der Stadt zu uns nach Anbu Illam gekommen sind. Es war herrlich ihnen zuzusehen, der Spaß den alle dabei hatten war ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben und die Aufführung heute, ist quasi die Belohnung zum Schluss. Das ich in diese Aufführung mit eingebunden sein würde, war so nicht geplant, zumindest meinerseits. Ich habe die drei Tage über zwar auch hin und wieder ein bisschen mit geübt und kann jetzt auch ein paar indische Tanzschritte, aber mein Auftritt als Mother India wurde mir vor gut drei Stunden mitgeteilt. Inwieweit ich also wirklich traurig über die Bühne geschritten bin kann ich schlecht beurteilen, dass meine Stimme wenig eindringlich war als ich die Leute auf Tamil zum Frieden bewegen sollte, ist mir allerdings schon klar. Aber egal, den Kindern gefalle ich im Sari auf jeden Fall sehr gut (auch wenn es für mich eher ein komisches Gefühl ist!) und auch die Tatsache, dass ich mich auf der Bühne in Tamil versucht habe (und gescheitert bin.. aber hey ;)), ist für sie Unterhaltung höchsten Gerades und das ist doch die Hauptsache, oder?