Bonjour 🙂
Die letzte Zeit war ziemlich ereignisreich, intensiv und auch emotional, denn die ersten Abschiede habe ich schon hinter mir . In 9 Tagen hat Deutschland mich schon wieder! Was in den letzten Wochen passiert ist, möchte ich gerne mit euch teilen…
Am vorletzten Dienstag machten sich 17 Duékouér glücklich auf den Weg nach Abidjan, unserer Hauptstadt. Naja nicht alle waren ganz glücklich, denn am Vortag sind die Abiturergebnisse verkündet worden und von den 4 Abiturienten unter uns hat nur eine bestanden – hier ist es nicht Frage, wie gut oder schlecht man besteht, sondern ob man besteht (62 % (!!!) der Abiturienten sind in Duékoué durchgefallen!). Neben den viel zu großen Rucksäcken der Mädels und der viel zu kleinen Taschen der Jungs hatten alle noch einen Eimer und eine Strohmatte mit dabei.
In Abidjan angekommen haben wir 20 Jugendliche aus Korhogo (im Norden des Landes) und 60 Jugendliche aus Abidjan getroffen.
Am nächsten morgen war die Abfahrt nach Togo für 4 Uhr geplant, Wecken und Duschen um 3 und deswegen Nachtruhe um 22Uhr. Die Nachtruhe hat aber nie stattgefunden und an Schlafen war wegen Moskitos, hartem Boden, Schreien und der feuchten Hitze Abidjans eh nicht zu denken. So wurde das Duschen auf 1 Uhr vorgezogen. Alle Jugendlichen waren schon um 2 startklar, doch unsere Verantwortlichen (Schwester, Pater und ein paar Novizinnen) hattens nicht so mit der Pünktlichkeit.
Mit zwei großen, alten Bussen machten wir uns auf den Weg nach Ghana. Insgesamt mussten wir an vier Grenzen Halt machen. Vor allem die Grenzkontrollen Ghanas sind wirklich hart und es kostete uns einige Stunden, bis wir sie überredet hatten, dass wir kein Geld für irgendetwas zahlen müssen (was wir auch wirklich nicht müssen). Um von der ivorisch-ghanaischen Grenzen zur ghanaisch-togolesischen Grenze zu fahren brauchten wir einen ganzen Tag.Und weil sie uns an der ersten Grenze so ewig aufgehalten haben, war die Grenze zu Togo schon zu, also mussten wir an der Grenze schlafen. Nur um durch Ghana durchzufahren habe ich mehr gezahlt (Transit: 75€) als für ein 3-Monats-Visum für Togo (ca. 40€). Die Busfahrt war sehr anstrengend und lang, aber auch ziemlich unterhaltsam, denn schon kurz nach der Abfahrt hat man einen Jugendlichen schreien hören : „Chauffeur, Pardon“ (Bitte, Fahrer!) Er soll so schnell wie möglich anhalten. Durchfall! (In Deutschland würde man wohl nie über so etwas reden, aber hier ist das alles ganz normal, also kann ich auch einfach darüber schreiben) Der halbe Bus wurde von Bauchproblemen gequält. Immer wieder hielten wir mitten in der Pampa an und mangels Toilette… Es wurden über die ganze Fahrt Durchfallwitze gebracht und Klopapier, Butterkekse und Bonbons dagegen beworben 🙂 Der Pater in unserem Bus war der beste Entertainer und hat super Kommerz gemacht. Ich habe es bevorzugt, während der Fahrt (3 Tage lang) einfach nicht aufs Klo gehen zu müssen 😀
Angekommen in Kara waren wir alle todmüde, aber das Programm des Mouvement salesien des jeunes (salesianische Jugendbewegung) startete sofort. Mit 450 Jugendlichen aus Burkina Faso, Benin, Togo und der Elfenbeinküste feierten wir 3 ½ Tage Don Boscos 200. Geburtstag.
Die Stimmung war überwältigend. Auf dem Programm stand vor allem der kulturelle Austausch, Workshops, Poetry Slams, Diskussionen zur Freude des Evangeliums (nach Papst Franziskus) . Ein Musical über das Leben Don Boscos wurde richtig professionell aufgeführt(eine Jugendtheatergruppe aus Abidjan hat das auf die Beine gestellt). Und wenn Afrikaner tanzen, dann verschlägst mir das oft die Sprache. Getanzt wurde sowieso in jeder freien Minute, Pause kennt hier keiner! Wir waren eine große Familie und die verschiedenen Länder haben sich gegenseitig sehr bereichert und super gut verstanden. Neben den vier westafrikanischen Ländern war auch Deutschland mit 4 Volontärinnen vertreten, was mir sehr geholfen hat, da ich seit dem Zwischenseminar keine Weißen in meinem Alter getroffen habe. Der Austausch über unsere Erfahrungen und vor allem über das Abschiednehmen (das in nächster Nähe ist) hat sehr gut getan.
Am letzten Abend hat jede Gruppe Tänze, Theater… aufgeführt und um Mitternacht wurde eine Geburtstagstorte in „200“-Form mit 200 Kerzen angeschnitten und zusammen mit Sekt an alle verteilt. Die Jugendlichen lieben Don Bosco und es war, als wär er dabei gewesen.
Die Heimfahrt war sehr ermüdigend und vor allem die Nacht unaushaltbar. Auf der Hinfahrt ist aus unserem alten Bus ein Fenster rausgefallen und alle anderen Fenster ließen sich auch nicht richtig schließen, sodass die meisten 3 Tage später mit Husten und Fieber in Abidjan angekommen sind. Für mich war es eine tolle Erfahrung, vor allem weil die Jugendgruppe aus Duékoué mir richtig ans Herz gewachsen war und es die Krönung für das letzte Jahr mit ihnen war.
Von Samstag bis Dienstag war ich im Land der Gouros. Mit meiner besten Freundin, ihrem Papa (für den ich wie eine Tochter bin) und ihrem Bruder haben wir uns mit dem Bus auf den Weg gemacht. Ich habe die Nacht vor unserer Reise schon bei ihnen geschlafen, weil wir sehr früh morgens losgefahren sind. Als wir aufstehen und Wasser im Brunnen schöpfen wollen, ist das Band, mit dem man den Eimer herausfällt, in den Brunnen gefallen. Wie sollen wir uns denn jetzt waschen und Zähne putzen? Also schauen wir bei den Nachbarn vorbei, um einen Eimer mit Band auszuleihen, doch alle schlafen noch. Nach langem Suchen haben wir dann endlich Wasser gefunden. Weil wir durch die Brunnengeschichte ganz viel Zeit verloren haben, sind wir mit mindestens 80 zu 3. über die holprigen Sandwege mit dem Moto gedüst und unser Fahrer hat dabei seinen Schuh verloren, wodurch wir noch mehr Zeit verloren haben. Der Busfahrer war aber so lieb und hat auf uns gewartet. Dass mal eine Weiße zu spät kommt war schon fast eine Sensation. Wir werden hier für unsere Überpünktlichkeit oft ins Lächerliche gezogen.
Unser Ziel war das Dorf Zorofla. Die Dorfnamen sind sehr simpel. Name des Gründers und fla (auf Gouro = Dorf) drangehängt, schon hat ein Ort seinen Namen. Wir sind mit einem großen Reisebus bis in die nächstgrößere Stadt gefahren und von dort aus ging es mit einem Massa (abgeramschter Transporter für 22 Gäste) weiter. Die Fahrt ging nur über eine sandige Huppelpiste und ein Mundschutz wäre sinnvoll gewesen. Am Ende hatten alle ungefähr meine Haarfarbe, denn der Sand und Staub hat sich wirklich überall festgesetzt und mein Teint ist auch viel dunkler geworden. Die Reise hat mich eher an einen Saunabesuch erinnert. Der Motor ist so heiß geworden und der Wagen besteht nur aus Metall, sodass ich mir meine Füße und Knie verbrannt habe. Alle 5 Minuten mussten die drei Beifahrer aussteigen, dann wurde der Beifahrersitz vorgelehnt und der Aufguss für den Motor erfolgte. Das Wasser konnte man richtig brodeln hören. Irgendwie war es zeitgleich auch noch ein Dampfbad, ich will gar nicht wissen, welche Abgase und Dämpfe ich da eingeatmet habe. Das Auto ließ sich auch nicht wirklich gut lenken und 2 Dörfer bevor der eigentlichen Endstation mussten wir dann schließlich Massa wechseln, weil es nicht mehr fahren wollte. Schon die Fahrt allein war ein Erlebnis für sich 😉
Im Dorf angekommen wurden wir von der Großfamilie herzlich begrüßt. Der Großvater (der Alte, wie man ihn liebevoll nennt) wohnt dort mit seinen 9 Kindern und ich weiß nicht wie vielen Enkelkindern. Ich wurde sofort als Familienmitglied aufgenommen und nicht wie eine Fremde behandelt.
Nach ein paar Stunden war ich dann wirklich abgeschnitten von der Welt. Handyakku leer. Strom gibt es nicht. Wir haben ohne Uhr gelebt und mangels ausreichender Taschenlampen ab ca. 19Uhr in der Dunkelheit gelebt mit dem Mond als einzige Lampe.
Im Dunkeln zu essen und dann auch noch mit der Hand ist nicht so einfach. Jungs und Mädchen essen aber getrennt, denn sonst würden die Mädels niemals satt werden, weil die Kerle schon alles aufgegessen hätten. Zwischendurch knabbert man Erdnüsse und gegrillten Mais. Ab und zu findet man eine Kakao, dessen Inhalt man suzzelt und dann die Kakaobohne ausspuckt – sehr lecker, schmeckt aber kein bisschen nach Schokolade. Wenn man ausversehen auf die Bohne beißt, dann schmeckt man etwas sehr Bitteres.
Da es keinen Fernseher und sonstige Unterhaltungsmöglichkeiten gibt, haben wir unterm Sternenhimmel Karten gespielt, Geschichten erzählt… Und es war einfach wundervoll. Die Menschen haben hier so wenig und sind doch so glücklich!
Und wenn man dann in der Lehmhütte mit Stromdach auf einer Matratze auf den Boden ins „Bett“ fällt, dann ist alles perfekt.
Das einzige was mir gefehlt hat, um wunschlos glücklich zu sein: Eine Toilette! Die Dorfbewohner gehen einfach irgendwo in der Pampa aufs Klo. Darauf hab ich dann aber doch verzichtet 😉
Das Leben im Dorf ist noch einmal ganz anders als in der Stadt (wobei Duékoué auch sehr ländlich ist). Die Frauen kochen und machen die Wäsche den ganzen Tag über. Die Männer gehen zu den Kakao- und Kaffeefeldern. Die Kinder rennen halbnackt herum und ich als Weiße war die absolute Neuheit. Manchmal sind mit ganze Kinderscharen einfach überall hingefolgt. Mich stört das nicht, ganz im Gegenteil, als ich aber mit etwa 50 Kindern auf dem Hof des Großvaters angekommen bin, war es mir aber schon unangenehm, dass ich als Gast noch einen Haufen Kinder mitbringe.
Der Grund für unserem Besuch im Dorf war aber nicht, um ein bisschen Landluft zu schnuppern, sondern um ein einmonatiges Fußballturnier zu starten. Der Papa hat eine NGO gegründet, die sich für die Menschenrechte (besonders von Kindern und Frauen) und soziale Kohäsion einsetzt. Nun will er auch einen Sitz in seinem Heimatdorf öffnen. Das Fußballturnier dient als Sensibilisierung und FAIR PLAY wird dabei groß geschrieben.
Vormittags haben wir Stationspiele gemacht von Sackhüpfen bis zu einer abgeänderten Form von Topfschlagen. Anschließend fanden die ersten zwei Fußballspiele statt. Insgesamt haben sich 8 Teams gebildet mit Jungs zwischen 10 und 15 Jahren. In einem deutschen Dorf würde man vielleicht gerade so ein Team zusammen bekommen mangels Kinder und Jugendlicher. Kinder sind hier wirklich der Reichtum und die Schätze des Landes.
Als wir am Dienstag Morgen das Dorf mit einem Ziegenbock (der es auf der Fahrt witzig fand, mich in den Po zu beißen 😀 ) und einem Huhn verlassen haben, ist der Abschied wirklich schwer gefallen, denn alle haben uns so lieb willkommen geheißen und ich frage mich ob ich diese Menschen, die doch wie Familie waren, eines Tages wiedersehen kann. Es war eine wundervolle Erfahrung so richtig in einer ivorischen Familie zu leben. Ich bin zwar auch auf der Mission in der Elfenbeinküste, aber das ist nochmal ein ganz anderes Lebensgefühl, wenn man so richtig dazwischen und dabei ist 🙂 Bleibt nur zu sagen: IBOR, Zorofla!
Derzeit sind Bosco-Ferien. Das heißt, dass einen Monat lang vormittags Ferienunterricht angeboten wird, es nachmittags Spiele, Bastel- und Sportangebote und abends oftmals Tanzbattles auf dem Podium gibt. Mehr als 20 Jugendliche opfern einen Monat lang ihre freie Zeit, um 300 Kinder zu unterrichten, mit ihnen zu spielen und dabei zu sein. Ein super Engagement.
Und gestern durfte ich den Nationalfeiertag miterleben. Vormittags fand eine Parade mit Militär, ethnischen Gruppen, Fauenverbänden, Assoziationen, NGOs… statt. Aus 8 Uhr Beginn ist 10 Uhr geworden. Hat irgendwie keinen gestört, obwohl es genieselt hat. Immer wieder ertönt die Nationalhymne und der Nationalstolz ist zu spüren. Die Menschen tanzen, schreien und sind glücklich. Alle Probleme, die dieses Land hat, scheinen für einen Moment vergessen zu sein.
Mal im Schnelldurchlauf der Lebenslauf:
Geboren am 07. August 1960. (Unabhängigkeit)Sie ist krank geworden 1990, aber hat sich schnell wieder erholt. 1993 (Tod des ersten Staatspräsidenten) ist sie Waisenkind geworden, weil sie ihren Vater verloren hat und wurde von allen adoptiert. 1999 hat sie einen Schock erlebt, aber hat widerstanden. Im Jahr 2002 ist sie gestolpert, aber nicht gefallen. Gleichermaßen Ende 2010 und 2011(post-elektorale Krise). Heute ist sie stärker als je zuvor und ist 55 Jahre alt. Heilige Elfenbeinküste, sie wäre noch viel stärker wenn wir Frieden, Liebe, Freude, Brüderlichkeit in unsere Herzen lassen würden und vor allem wenn wir uns gegenseitig akzeptieren würden Hand in Hand als Brüder und Schwestern! Lebe der Frieden, lebe die Côte d’Ivoire!
Anni und Kurt
Liebe Franziska!
Heute ist Dein letzter Tag in Afrika – jedenfalls in diesem Jahr.
Wir wünschen Dir einen guten Abschiedstag, dann einen sicheren Heimweg auf allen „Gefährten“ – und ein herzliches Willkommen in Mosbach!
Wie sagt Martin Buber: Man muss „die Wehmut der Abschiede und die Huld der Ankünfte“ durchleben. Alles Gute dazu.
Wir freuen uns auf Dich!
Liebe Grüße
Anni und Kurt