Angekommen?!

Ich habe es lange vor mich hingeschoben diesen Blogeintrag zu schreiben. Jedes Mal, wenn ich anfangen will, schwirren in meinem Kopf tausende Gedanken herum und auch meine Gefühle gehen auf und ab. Jetzt versuch ich aber einfach mal ein paar dieser Gedanken, so geordnet wie möglich, zu teilen.
Die letzten Monate und Wochen im Care Home sind wie im Flug vergangen, die letzten Tage waren gefühlt in einem Wimpernschlag vorbei und auf einmal hieß es Abschied nehmen.
Niemals hätte ich vor einem Jahr erwartet, dass dieser Freiwilligendienst so wunderschön und intensiv wird und mir der Abschied so unfassbar schwer fällt.

Das Jahr war gefüllt mit neuen Erfahrungen, tollen Erlebnisse und wertvollen Begegnungen. Ich bin so dankbar für alles, was ich lernen durfte. Über Indien, eine unfassbar bunte und vielfältige Kultur, einen mir zu Beginn fremden Lebensstil und über das Leben so vieler besonderer Menschen. Und auch über mich selbst habe ich viel gelernt (dazu gehört nicht nur die Tatsache, dass ich von scharfem Essen Schluckauf bekomme.)

Das Wertvollste für mich ist aber, dass ich in diesem Jahr ein zweites Zuhause und eine zweite Familie gefunden habe. Mit jeder Woche, die vergangen ist, ist das Verhältnis zu den Menschen vor Ort enger und intensiver geworden. Schon beim Zwischenseminar im Februar meinten Hannah und ich, dass wir nicht wissen, wie wir uns von unseren Jungs verabschieden sollen und in den darauffolgenden sechs Monaten hat sich da natürlich auch nochmal viel getan. Vor allem in den letzten Wochen war der Abschiedsgedanke immer in meinem Hinterkopf, auch wenn ich versuchte ihn so gut wie möglich wegzuschieben und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Das wurde natürlich nicht gerade erleichtert, wenn man täglich von Jungs darauf angesprochen wird. Wir wurden gefragt, ob wir denn auch wirklich gehen müssen und es wurden Deals ausgehandelt, dass wir ein Jahr in Deutschland studieren, ein Jahr im Care Home sind, ein Jahr studieren,… und so weiter.

In den letzten zwei Monaten ist aber natürlich neben dem Abschied nehmen auch nochmal einiges Anderes geschehen. Hier ein paar Einblicke:

-Doctor’s Day: Am Doctor`s Day kamen einige Ärzte und Ärztinnen, wie auch Krankenschwestern, zu Besuch, die für die medizinische Betreuung der Jungs verantwortlich sind. Es gab ein gemeinsames Essen und zu ihren Ehren wurde wie üblich ein buntes Programm veranstaltet. Hierfür haben wir die Woche zuvor mit den Kleinen einen Tanz einstudiert (Lied: „Achacho“, so als kleine Empfehlung), den sie dann auf der Bühne vorgetanzt haben. Doch auch Hannah und ich standen auf der Bühne und haben gemeinsam mit ein paar älteren Jungs getanzt.
Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht gerade die talentierteste Tänzerin bin. In meinem Jahr im Care Home habe ich aber so viel getanzt, wie vermutlich noch nie zuvor und es hat mir auch wirklich Spaß gemacht. Am Anfang habe ich mich schon noch unwohl gefühlt auf der Bühne zu tanzen, aber jetzt am Ende, vor allem, wenn wir gemeinsam mit den Jungs getanzt haben, hab ich es einfach nur noch richtig genossen. Ein  weiterer Pluspunkt waren die abendlichen Tanzproben, die mal mehr und mal weniger produktiv waren, aber dafür immer umso lustiger.

-Besuch von Vroni und Emilia: Die beiden waren das Jahr über als Freiwillige in einem Projekt der Salesianer im Nordosten Indiens tätig und kamen im Juli für einige Tage zu Besuch vorbei. Es war total schön die Beiden zu sehen und ihnen unser Projekt zu zeigen. Ihren Besuch haben wir dann auch direkt genutzt, um endlich einmal nach Yercaud zu fahren. Yercaud, eine Hillstation, ist nämlich so mit die bekannteste (vielleicht auch einzige) Sehenswürdigkeit in Salem bzw. direkter Umgebung. Bis dahin haben Hannah und ich es irgendwie nie geschafft nach Yercaud zu gehen, wofür wir vor allem gegen Ende viele ungläubige Reaktionen darauf bekamen.

-Besuch ehemalige Fathers: Ende Juli machten wir uns auf ein letztes Mal Bus und Bahn in Indien zu benutzen und besuchten zwei unser ehemaligen Fathers, die seit Mai in einem neuen Projekt sind. Zuerst ging es nach Tharangambadi, wo wir gemeinsam mit unserem ehemaligen Rector den Pichavaram Mangroven Wald besuchten (und uns dabei erstmal verfuhren). Danach ging es nach Dindigul zu unserem ehemaligen Administrator, der uns erst sein neues Projekt zeigte und mit dem wir dann auf einen Ausflug nach Koddaikanal fuhren (wo ich wirklich gefroren habe). Es war richtig schön die Beiden vor unserer Abreise noch zu besuchen und auch nochmal ein paar weitere Orte in Tamil Nadu zu sehen, sowie auch einige Don Bosco Einrichtungen. Außerdem fand ich super, dass wir nochmal Zug und Bus gefahren sind, weil die Fahrten in Indien immer ein Erlebnis sind und mir, zumindest in großen Teilen, Spaß machen.

-Besuch des Vicars: Am 2. August stand dann noch einmal ein großer Programmpunkt an. Die Provinz Trichy feierte nämlich ihren 25. Geburtstag und der Vicar der Salesianer kam aus Rom zu Besuch. Und eben auch ins Care Home. Nachdem ich schon öfters berichtet habe, wie viel hier für Feste und Besuche vorbereitet wurde, brauche ich vermutlich nicht erwähnen, wie viel Vorbereitung in so einen hohen Besuch investiert wurde. Es wurde extra ein Gerüst aufgebaut, das Haus geschmückt, Ballon über Ballon aufgepustet, geprobt bis zum Umfallen und Essen geplant. Sogar das Haus wurde gestrichen, wobei das vermutlich eh schon länger anstand und es jetzt auch nochmal einen weiteren guten Grund dafür gab. Der Besuch des Vicars war dann auch wirklich cool und das Programm mega toll (da der Vicar auch kein Tamil kann, haben wir endlich mal eine Rede beim Programm verstanden 😊). Außerdem nutzen wir die Gelegenheit, um zum letzten Mal unseren Sari zu tragen.

Hier noch ein paar weitere Einblicke in die letzten Wochen:

Lange war der Besuch des Vicars DAS große Ereignis, das noch anstand, und in all dem „Vorbereitungsstress“, konnte ich leichter den Abschiedsgedanken von mir wegschieben. Als der Besuch dann aber vorbei war, war auf einmal das nächste Ereignis unser Farewell und unsere Abreise. Auf einmal ging es daran zu überlegen, was mit nach Deutschland kommt und was in Indien bleibt. Auf einmal musste ich die Bilder an den Wänden, die das Zimmer zu unserem Zimmer machten, abhängen. Auf einmal stand ein „Letztes Mal“ nach dem anderem an. Ein letztes Mal English Class. Ein letztes Mal sonntagabends tanzen. Ein letztes Mal mit Lingam in die Stadt tuckern. Ein letztes Mal Chappati machen.

Und dann standen auch schon die wirklich letzten Tage und unsere Farewell Feier an. Die Abschiedsfeier war zwar traurig, aber vor allem wunderschön und berührend. Es wurde viel getanzt, gelacht und noch mehr getanzt. Mich hat es vor allem gefreut, dass auch Jungs tanzten, von denen ich weiß, dass sie es eigentlich nicht mögen auf der Bühne zu stehen, uns aber zum Abschluss noch eine Freude machen wollten. Hannah und ich stellten dann noch unsere Tamil-Kenntnisse unter Beweis und sangen unteranderem ein Lied auf Tamil („Unnakku Than“, falls jemand mal reinhören will). Da die Jungs das Lied natürlich alle kannten, fingen sie an mitzusingen, was für mich nochmal ein ganz besonderer Moment war. Außerdem verteilten wir unser Abschiedsgeschenk: Drei Bilder pro Person, auf denen die Jungs oder wir gemeinsam mit den Jungs drauf waren, als Erinnerung an das Jahr, sowie eine kleine persönliche Nachricht für jeden. Mit Programmende war aber die Farewell Feier noch nicht vorbei, denn während wir sonst immer im Father’s House aßen, gab es dieses Mal ein gemeinsames Essen mit allen Jungs zusammen. Nachdem erstmal herumgestritten wurde, an welchen Tisch Hannah und ich uns dazusetzen, versuchte ich an jedem Tisch mal vorbeizuschauen. Es war wirklich sehr lustig und ein mega schöner Abend, mit tollen Momenten. Insgesamt hatte ich in den letzten paar Tagen eigentlich mit jedem einzelnen Jungen ein schönes Gespräch oder einen schönen Moment, was mich unfassbar gefreut hat und mir den Abschied, zumindest in einer gewissen Weise, etwas erleichtert hat. Es war natürlich auch schön zu sehen, dass nicht nur mich der Abschied so mitnimmt, sondern es auch die Jungs beschäftigt hat und sie traurig waren. Die letzte Woche hat mir nochmal gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit dann eben war bzw. ist und das wir für die Jungs einen Unterschied gemacht haben.

Der richtige, endgültige Abschied lief dann bei mir unter vielen Tränen ab. Die Jungs sangen ein Abschiedslied und dann kam jeder einzeln zu uns, um sich zu verabschieden. Es wurde nochmal viel gelacht und ich weiß nicht, ob ich jemals so viel gleichzeitig gelacht und geweint habe. Dann war es schon an der Zeit ins Auto zu steigen und unter Winken, einem „Bye Sister“ nach dem anderen und vielen „I miss you“ Bekundungen fuhren wir dann los. Es hat sich so falsch angefühlt wegzufahren, weil ich ja eigentlich auch gar nicht gehen wollte und alles in mir sagte, dass ich ausstiegen und dableiben muss. Wenn ich jetzt daran denke, wird mir wieder richtig schwer ums Herz. Heftig wie viel sich da innerhalb eines Jahres getan hat. Im September 23 fuhren wir die Einfahrt zum Care Home das erste Mal lang und sahen eine Horde fremder Menschen im Eingang dastehen, die uns willkommen hießen. Und nun fuhren wir zum letzten Mal ebendiese Einfahrt entlang, nur dieses Mal in die andere Richtung und auch die Menschen, die da am Eingang standen, waren mir mittlerweile alles andere als fremd.

Gelandet sind wir nun schon vor genauso sechs Wochen wieder in Deutschland und somit bin ich zumindest physisch hier angekommen. Seitdem habe ich aber auch gemerkt, dass das  „mentale Ankommen“ und Einleben gar nicht so einfach ist und wohl auch noch seine Zeit brauchen wird. Ich habe schon noch viel „Heimweh“ nach Indien und vermisse vieles. Besonders natürlich die Menschen vor Ort. Kontakt halten ist nämlich gar nicht so einfach. Vor allem zu den Jungs, die kein Handy haben und auch die Sprachbarriere ist wieder ein viel größeres Problem, als es war, wenn man sich in Präsenz sah. Immer wieder gibt es Momente, in denen ich am Liebsten einfach in den Flieger steigen würde, um wieder zurückfliegen. Das ist aber natürlich auch nicht das Richtige, schließlich ist ja auch wieder schön in Deutschland zu sein und meine Familie und Freunde wiederzusehen.

Wenn ich auf das Jahr zurück blicke, merke ich, dass neben den großen, „besonderen“ Ereignissen, vor allem die kleinen Dinge und Momente dieses Jahr so besonders gemacht haben. Sei es am Samstagmittag dabei sitzen, wenn die Jungs sich gegenseitig die Haare schnitten (und dabei natürlich erstklassige Tipps zu geben). Unsere morgendliche und abendliche Runde durch das Care Home, um allen „Good Morning“ oder „Good evening“ zu wünschen. Mit dem Schulbus mitfahren und dabei hoffen, dass es mich nicht bei der nächsten Vollbremsung hinlegt. Einen Action Song nach dem anderen singen, weil die Kleinen daran so Spaß haben. Das tausendste Mal gefragt werden, ob ich schon gegessen haben. Auf Tamil vollgequatscht werden ohne viel zu verstehen, was aber dem Redeschwall nie einen Abbruch getan hat. In der Küche beim Gemüse schneiden helfen und im Gegenzug dafür eine Tasse Tee bekommen, und so weiter und so weiter. Ich könnte jetzt vermutlich noch stundenlang hier sitzen und Sachen aufzählen, aber das würde jetzt den Rahmen vermutlich ein bisschen sprengen.

Zum Schluss kann ich eigentlich nur nochmal sagen, wie dankbar ich für dieses Jahr bin und allen Menschen, die es möglich gemacht haben. Ein großes Dankeschön hierbei an Don Bosco Volunteers. Insbesondere bin ich dankbar für die Menschen, denen ich in Tamil Nadu begegnet bin und die mich haben an ihrem Leben teilnehmen lassen. Danke auch an alle, die meinen Blog gelesen haben. Es hat mich immer sehr gefreut Rückmeldung zu bekommen. Und natürlich noch ein riesiges Dankeschön an Hannah meine Mitvolontärin ohne die dieses Jahr niemals das geworden wäre, was es war!!!

Eins steht auf jeden Fall fest. Das war nicht mein letztes Mal in Indien und im Care Home!!

Franzi

Ganz zum Schluss noch eine Sache:

Das Care Home finanziert sich über Spenden. Nur dadurch können die Jungs mit z.B Nahrung, Schulsachen oder Kleidung versorgt werden. Außerdem soll die „Home Based Care“ weiter ausgebaut werden, wofür auch Spenden benötigt werden ( Hier werden (vor allem) Mädchen, die mit HIV infiziert sind, zuhause unterstützt. Auch mit Schulmaterialien, Nahrung,…).

Ein für uns kleiner Beitrag kann hier schon viel leisten. Das Care Home freut sich auf jeden Fall über jede Spende.

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  1. Hannah

    Nawww!!! Das is ein so schöner Blogbeitrag geworden und ich hab gerade voll Tränen in den Augen gehabt!! Was ein unglaubliches Jahr das war und dass natürlich mit der allerbesten Mitvoluntärin:)) danke für alles Franzi!!!🫶🏽🫶🏽🫶🏽

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