Bevor ich meinen Freiwilligendienst antrat, fielen die Reaktionen auf meinen Entschluss nach Indien zu gehen ganz unterschiedlich aus. Die meisten fanden es total interessant und prophezeiten mir eine wundervolle, lehrreiche und ereignisreiche Zeit. Doch es gab auch Leute, die mich ungläubig fragten, warum ich denn ausgerechnet nach Indien gehe und ob ich denn keine Angst hätte. Jemand meinte mal ganz treffend: Indien ist ein Land, dass man entweder liebt oder hasst.
Glücklicherweise kann ich sagen, dass ich zu den Menschen gehöre, die Indien (trotz der zahlreichen Macken) lieben! Ich kann mir kein besseres Einsatzland für meinen Freiwilligendienst vorstellen. Was mich besonders an Indien fasziniert, ist diese ungeheure Vielfältigkeit, dass man nie auslernt und immer ganz neue Facetten dieses bunten, chaotischen und eindrucksvollen Landes erlebt und kennenlernt.
Nachdem fast alle Jungs die Sommerferien über nicht im Care Home waren, nutzten Hannah und ich die Gunst der Stunde und begaben uns auf eine 20 – tägige Entdeckungstour durch den Südwesten Indiens, um noch mehr dieser Facetten und Orte Indiens zu erkunden.
Thekkady- muTIGER Start
Nach einem etwas stressigen Start in den Urlaub, weil unser Bus 45 Minuten zu früh in Salem ankam und ich zu vier verpassten Anrufen des Busfahrers aufwachte, erreichten wir den Startort unserer Reise: Thekkady.
Den ersten Tag gingen wir noch gemütlich an und statteten einem nahegelegenen Gewürzgarten einen Besuch ab, wo uns Mr. Benni in die Welt der Gewürze einführte. Mein Highlight war die „Miracle Fruit“, die dafür sorgt, dass alles Saure, was man danach isst, süß schmeckt.
Am zweiten Tag stand schließlich der eigentliche Grund für unseren Thekkady-Besuch an. Es ging in das „Periyar Tiger Reserve“, wo wir an einer geführten Wanderung teilnahmen. Mit einer kleinen, wild zusammengewürfelten, Gruppe ging es los, wobei wir stets von mehreren Guides begleitet wurden. Nachdem wir einige Zeit gewandert waren, ging es auf zwei Bambusflößen weiter, was richtig Spaß gemacht hat. Insbesondere das Zurückpaddeln war super lustig, weil es angefangen hatte in Strömen zu regnen. Ich frag mich bis heute noch, wie es das andere Floß wohlbehalten zurück geschafft hatte, so tief wie es im Wasser lag.
Tiger, geschweige denn Pumas oder Elefanten haben wir zwar leider keine gesehen (keine Sorge zu unserer Sicherheit war ein bewaffneter Guide dabei), dafür aber eine Viper, Wildschweine, Affen, ein Reh, Gaurs und definitiv zu viele Blutegel. Außerdem war die Landschaft an sich schon die Wanderung wert und es war ein rundum gelungener Tag.
Die Wanderung ist Teil des dortigen Eco Tourismus Programms. Zum einen soll durch die geführten Wanderungen in Kleingruppen, die Pflanzen- und Tierwelt geschützt werden, während gleichzeitig Geld in den Nationalpark fließt. Zum Anderen sollen die dort ansässigen indigenen Stämme mit integriert werden, indem der Nationalpark diesen Menschen eine Arbeit, als z.B. Guide bietet. Damit wird auch verhindert, dass die Menschen aus einer finanziellen Notlage heraus anfangen zu wildern (Einer unserer Guides erzählte uns, dass er wohl vor seiner Tätigkeit als Guide selber Wilderer war). Ein wirklich schönes Konzept, wie ich finde.
Backwaters (Allapey)-Ein Paradies in Kerala
Bei den Backwaters in Kerala handelt es sich um ein riesiges Wasserstraßennetz aus Seen, Flüssen und kleinen Kanälen, das sich über eine Fläche von 1900km² erstreckt. Somit nutzten wir einen Großteil unsere Zeit in Allapey damit, die Backwaters zu erkunden. Sei es mit dem Kajak, einem traditionellen Boot, einer Fähre oder einer kurzen Frühstücksrundfahrt auf einem Hausboot. Für die Kajakfahrt standen wir sogar extra früh auf, um den Sonnenaufgang zu sehen, wurden aber von einem grauen, wolkenverhangenen Himmel enttäuscht. Am meisten gefallen hat mir das Kajak fahren und das Fahren mit dem traditionellen Boot, weil wir hier auch in die kleineren Kanäle konnten, die einen ganz besonderen Reiz haben. Es war wirklich wunderschön und idyllisch. Ich kann jedem der nach Indien geht, nur ans Herz legen die Backwaters zu besuchen. Aber jetzt lass ich die Bilder mal für sich sprechen, die natürlich nicht mal annähernd an die Realität rankommen.
Was ich sehr beeindruckend fand, war zu sehen, wie viele Menschen in den Backwaters leben und wie sie ihr Leben daran angepasst haben. So ist dort z.B. statt dem Motorrad das kleine Motorboot die erste Wahl als Fortbewegungsmittel oder man wartet jeden Tag auf das Boot, das Kanister mit Trinkwasser liefert. Während ich nur kurzzeitig als Touristin die Schönheit der Backwaters bewundern konnte, gehört dieses riesige Wassernetz zu der Lebensrealität und dem Alltag tausender Menschen.
Der Inhaber unseres Homestays organisierte für uns außerdem einen Besuch einiger lokalen Betriebe in der Gegend. Neben einer Werft, in denen die Hausboote wieder auf Vordermann gebracht werden, besuchten wir mehrere kleine Betriebe, in denen aus Muschelschalen ein Pulver hergestellt wird, das dann in Farben oder im Hausbau seine Anwendung findet.
Außerdem konnten wir sehen, wie auf traditionelle Art Fußmatten und Seile aus Kokosfasern hergestellt werden. Die Männer dort erzählten uns, dass sie wohl die letzte Generation seien, die diesem traditionellen Handwerk so nachgehen, da die Matten und Seile mittlerweile in großen Betrieben maschinell hergestellt werden und jüngere Generationen, sich lieber nach besser bezahlten und höher qualifizierten Jobmöglichkeiten umsehen. An sich ist es natürlich schön, dass jetzige Generationen bessere Bildung erfahren und damit auch die Möglichkeit haben, in ganz andere, zukunftssicherere Berufsfelder, wie zum Beispiel die IT, zu gehen. Anderseits ist es auch schade, dass somit ein jahrhundertaltes Handwerk verloren geht.
Kochi- Die andere Seite der Wohlstandsschere
Nachdem wir die erste Woche fast nur in der Natur verbracht hatten, ging es nun nach Kochi, einer Hafenstadt in Kerala. Die Stadt erstreckt sich neben dem Festland noch über einige Inseln und Halbinseln. Kochi blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück, in der sich erst die Portugiesen, dann die Niederländer und schließlich noch die Briten in der Stadt niederließen bzw. diese eroberten. Besonders im Stadtteil Fort Kochi befinden sich noch viele Gebäude, die aus dieser Zeit stammen. Wir sahen uns den Dutch Palace und mehrere Kunstgalerien an, besuchten eine alte Synagoge und Kirche, fuhren mit dem Fahrrad herum oder schlenderten einfach durch die zahlreichen Gässchen mit den süßen, alten Gebäuden. Das Stadtbild war im Vergleich zu anderen indischen Städten ganz anders und ich fühlte mich gar nicht mehr als wäre ich in Indien, sondern als wäre ich plötzlich nach Spanien teleportiert worden. Dazu kam noch hinzu, dass viele Inder und Inderinnen in westlicher Kleidung herumliefen und man überall Cafes sah, die genauso in Deutschland hätten sein können und ganz anders waren, als die Teashops, die wir sonst immer besuchen. Hannah und ich konnten der Versuchung natürlich nicht widerstehen und besuchten jeden Tag mindestens ein Cafe (Es gab aber auch wirklich guten Schokokuchen!!).
Allgemein sind wir in Kochi in die sehr westlich geprägte und wohlhabende Welt Indiens eingetaucht, die grundlegend anders ist, als die Welt, die ich Tag für Tag im Care Home erlebe. Während sich das Leben der Jungs im Care Home grundlegend von dem Leben Gleichaltriger in Deutschland unterscheidet, ist das Leben der wohlhabenderer Schicht in Indien ganz ähnlich wie in Deutschland. So waren wir z.B. an einem Abend mit einigen Leuten, die wir kennengelernt hatten, in einer Bar, die wirklich richtig schick war und in der man den Menschen ansehen konnte, dass sie wirklich viel Geld haben. Es war wirklich eine ganz andere Bubble, in der sich die Menschen da bewegen. Eigentlich war es total interessant auch mal diese Welt kennenzulernen, da sie eben genauso ein Teil Indiens ist. Außerdem ist es auch wichtig zu sehen, dass nicht alle Menschen in Indien ein Leben in einfachen, traditionellen, ärmlichen Verhältnissen führen, sondern es auch viele gibt, die den gleichen bzw. höheren Lebensstandard haben, wie in Deutschland. Trotzdem fiel es mir teilweise schwer die Stimme in meinem Kopf auszublenden, die mich immer wieder daran erinnerte, dass sich unsere Jungs niemals leisten könnten in diese Cafes zu gehen oder, dass unsere Köchin niemals abends einfach mal mit Freundinnen ausgehen kann. Ich bewege mich eben zu großen Teilen in der traditionellen, ärmlichen Gesellschaft Indiens und habe dort meine Bekannt- und Freundschaften, dass ich diese Seite nicht einfach ausblenden konnte.
In Kochi besuchten wir außerdem zweimal das „Kerala Kathakali Centre“ und schauten uns eine Kathakali und eine Martial Arts (Kalarippayat) Vorstellung an.
Kathakali: Hierbei handelt es sich um eine Form des indischen Tanzdramas, welches aus Musik, Drama, Ritual und Tanz besteht. Die Charaktere stehen in bunten, aufwendigen Kostümen und mit auffälligem Make-Up auf der Bühne und erzählen Hindu-Epen. Ich fand es total beeindruckend, was für eine Kontrolle die Schauspieler über ihren Körper haben, da bis ins kleinste Detail jede Bewegung bedeutend ist (z.B. Bewegung der Augen, Position der Finger,…). Zu Beginn der Vorstellung gab es auch eine kleine Erklärung mit Demonstrationen, was sehr interessant war.
Kalarippayat: Dies ist eine alte indische Kampfkunst, die aus Kerala stammt. Total cool und beindruckend! Der Mix aus akrobatischen und gymnastischen Elementen und richtigen Scheinkämpfen, bei denen es aber so abging, dass ich hin und wieder Angst um das Wohlergehen der Kämpfer hatte, war faszinierend.
Mysore-Zwischen Duftölen und Seide
Nachdem wir reichlich Zeit im Bundesstaat Kerala verbracht hatten, ging es weiter in Bundesstaat Nr. 2 unserer Reise: Karnataka. Genauer gesagt nach Mysore. Wäre ich vor einem halben Jahr in Mysore gewesen, hätte ich vermutlich die ganze Zeit mit Essen verbracht, da Mysore Pak (welches, wie der Name schon sagt, aus Mysore stammt) zu der Zeit meine Lieblingssüßigkeit war. Mittlerweile ist es mir aber einfach viel zu süß, weshalb ich es kein einziges Mal in Mysore gegessen habe (geplant war es an sich schon, nur hab ich es dann komplett vergessen). Dafür hatten wir jetzt aber genug Zeit die Stadt zu besichtigen. Die Hauptsehenswürdigkeit in Mysore ist wohl der „Mysore Palace“ und das meiner Meinung auch zu recht. Natürlich war der Palast aber auch gut besucht und es war drinnen so voll, dass man die Schönheit nur schwer genießen konnte.
An einem Tag fuhren wir in das 30 minütig entfernte Städtchen Srirangapatna, wo wir einen alten Tempel, einen Palast und noch weitere alte Ruinen besichtigten. Es war sehr schön und die Gebäude haben mir auch gefallen, aber ich berichte mal lieber von dem Ereignis, dass mir am Besten in Erinnerung geblieben ist. Google Maps führte uns nämlich etwas in die Irre und wir kamen nicht am Eingang raus, sondern standen vor einem Zaun auf der anderen Seite des Palastes. Da ich aber zu faul war, den Bogen außen rum zu gehen, schlug ich vor, wir könnten doch einfach dem Trampelpfad am Zaun entlang folgen und damit Zeit einsparen. Nach einiger Zeit endete der Trampelpfad und wir bahnten uns so unseren Weg durch das Gebüsch. Hannahs Einwände, dass wir vielleicht besser umdrehen sollten, damit wir nicht noch einer Schlange begegnen, winkte ich nur ab. Tja, wer nicht hören will, muss „fühlen“. Plötzlich sah ich nämlich -wie soll es auch anders sein- eine Schlange, die ein paar Meter vor uns wegschlängelt. Und zwar eine richtige Schlange, die locker einen Meter lang war. Ich weiß zwar nicht, was es für eine Schlange war, aber alleine die Tatsache, dass es in Indien giftige Schlangen gibt, hat gereicht, dass wir schnell umgedreht sind. Nach dem Schock bleibe ich in Zukunft lieber auf dem richtigen Weg und laufe auch den extra Bogen…
Richtig toll fand ich in Mysore unsere Unterkunft. Wir schliefen nämlich in einem Hostel und die Atmosphäre dort, war richtig offen und entspannt. Die Abende verbrachten wir mit anderen Reisenden und spielten Kicker, Mafia (vom Prinzip her wie Werwolf), redeten und sangen auch mal gemeinsam. Mich hat es gefreut auch nochmal andere Leute, außerhalb vom Care Home kennenzulernen, weil wir ansonsten schon recht isoliert sind und nach außen wenig Kontakte haben.
Palolem & Arambol- Meer ist mehr
Erholung und Strandurlaub standen als Letztes auf dem Programm. Dafür ging es nach Goa. Goa kann man (zumindest in den Städten am Meer) als „Indien Light“ bezeichnen, da dort jedes Jahr massenweise ausländische Touristen hinkommen. So ist Goa mit der einzige Ort in Indien, an dem man so wirklich im Bikini schwimmen gehen kann. An sich fand ich es super, wieder im Bikini ins Meer zu gehen, weil in Klamotten schwimmen gehen, nicht so der Hammer ist. Trotzdem war es auch komisch und ungewohnt wieder eine kurze Hose oder sogar einen Bikini zu tragen, weil ich die letzten Moment nur lange Hosen und weite, lange T-Shirts getragen habe.
In Goa verbrachten wir die ersten drei Nächte in Südgoa (Palolem) und die letzten vier in Nordgoa (Arambol). Meiner Meinung nach ist Südgoa von der Natur her deutlich schöner und grüner als Nordgoa. Auch Palolem und Arambol haben sich von meinem Eindruck und Gefühl her sehr unterschieden. Palolem war von den Restaurants, Cafes, Resorts und der allgemeinen Stimmung etwas gehobener und schicker. Arambol hingegen gilt als Hochburg der (ausländischen) Hippie-Szene. Wir waren zwar in Nebensaison da, weshalb deutlich weniger ausländische Touristen und dafür mehr indische Touristen da waren, aber trotzdem konnten wir diesen anderen Flair und die Atmosphäre in uns aufnehmen. Abends sah man zum Beispiel einige Menschen am Strand, die Yoga machten, meditierten oder rhythmisch Instrumente spielten. Wieder eine ganz neue Erfahrung.
Die Woche in Goa nutzen wir, um uns zu erholen und zu entspannen. Wir schwammen im Meer, gingen lecker Essen (endlich mal wieder leckere Pasta, Salat und sogar Brot), schlenderten an den zahlreichen kleinen Ständen vorbei (und kauften vielleicht auch das ein oder andere Erinnerungsstück), erkundeten die Gegend oder schauten uns einfach den Sonnenuntergang am Meer an.
Außerdem liehen wir uns auch zweimal einen Motorroller aus und fuhren damit herum (damit war der Gang zum Landratsamt für einen internationalen Führerschein auch nicht umsonst). Somit kamen wir auch zu etwas weiter entfernten oder abgelegeneren Stränden und sahen bisschen mehr von Goa. Da der Verkehr auch deutlich weniger und gemäßigter war, als ich es sonst von Indien gewohnt bin, ging des Fahren auch recht entspannt (In Salem würde ich vermutlich nach einer Minute panisch stehen bleiben und mich weigern weiterzufahren).
Während die Zeit im Urlaub wie im Flug verging, kann man das über die Heimfahrt leider nicht sagen. Wir waren nämlich ganze 29 Stunden unterwegs. Geplant waren „nur“ 23 Stunden, aber da unser erste Zug 5h verspätet war, mussten wir spontan etwas umplanen. So schlimm war es aber auch nicht und ich habe nochmal gemerkt, dass ich in Indien gelernt habe, Dinge auf mich zukommen zu lassen und mich nicht zu sehr zu stressen oder mich von Dingen, die ich nicht ändern kann, runterziehen zu lassen.
Somit kann ich auf drei sehr intensive, anstrengende, aber vor allem wunderschöne Wochen zurückblicken, in denen ich ganz neue Einblicke in dieses vielfältige Land bekam.
Jetzt liegen nur noch etwas mehr als zwei Monate vor mir, die ich nochmal nutzen will, um so viel Zeit wie möglich mit den Jungs zu verbringen und noch viele weitere schöne Erinnerungen zu sammeln.
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