Soweit ich mich entsinnen kann, habe ich -abgesehen von meiner Projektbeschreibung- noch in keinem Blogeintrag darüber geredet, was genau das Don Bosco Care Home für ein Projekt ist. Also was genau das Ziel bzw. die Mission dieses Projekts ist. Deshalb für alle, die meine Projektbeschreibung nicht gelesen haben, eine ganz kurze Erklärung.
Alle Jungs im Care Home sind mit HIV auf die Welt gekommen. Genau diesen Jungs, die zwischen fünf und zwanzig Jahren alt sind, bietet das Care Home ein Zuhause, in dem sie gesund und behütet aufwachsen können. Sie werden sowohl medizinisch, als auch psychologisch betreut, erhalten Zugang zu Bildung und es wird dafür gesorgt, dass sie ausreichend nährstoffreiche Nahrung erhalten.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor meinem Freiwilligendienst recht wenig über HIV wusste und schon gar nichts darüber, wie es das Leben von Betroffenen bestimmt. Da es vermutlich vielen, die diesen Blog lesen, ähnlich geht, möchte ich meine Erfahrungen, die ich hier mit der Krankheit gemacht habe, teilen. Nachdem ich nämlich ein Jahr mit den Jungs zusammengelebt habe und sie wie eine zweite Familie für mich geworden sind, ist mir das Thema wirklich wichtig.
Erst einmal: Was ist HIV überhaupt?
HIV steht für „human immunodeficiency virus“ (umgangssprachlich auch „menschliches Abwehrschwäche Virus). Die HI-Viren schädigen das Immunsystem, in dem sie in die T-Helferzellen (auch CD4-Zellen genannt) eindringen und sich in diesen vermehren. Da die T-Helferzellen für die Steuerung und Koordinierung der Immunantwort verantwortlich sind, nehmen natürlich die körpereigenen Abwehrkräfte deutlich ab. Ohne Behandlung können Krankheitserreger, die in den Körper eindringen, nicht mehr bekämpft werden. Im schlimmsten Fall können dann bestimmte lebensbedrohliche Krankheiten ( z.B Lungenentzündung, Tuberkulose,…) auftreten und man spricht von AIDS („Acquired Immune Deficiency Syndrome“ bzw. Erworbenes Abwehrschwäche-Syndrom).
HIV und AIDS sind also nicht das Gleiche.
Eine HIV-Infektion ist grundsätzlich nicht heilbar, aber lässt sich therapieren. Es gibt verschiedene Medikamente, die der Patient regelmäßig einnehmen muss. Hier im Care Home bedeutet das, dass die Jungs zweimal am Tag Tabletten schlucken müssen. Morgens und abends. Außerdem müssen die Jungs regelmäßig zur Kontrolle ins Krankenhaus. Die Medikamente unterdrücken das Virus im Körper, wodurch ein Ausbruch von AIDS verhindert wird. Dadurch können Menschen mit HIV gut und lange leben.
In Indien werden die Medikamente -zum Glück- kostenlos von der Regierung gestellt. Ansonsten könnten sich viele Menschen die Therapie nämlich gar nicht leisten.
Wie aber auch jedes andere Medikament, haben natürlich auch die Medikamente gegen HIV ihre Nebenwirkungen. Eine der häufigsten Nebenwirkung, die ich auch hier mitbekomme, ist Abgeschlagenheit und Müdigkeit. Wenn man dann natürlich jeden Tag die Medikamente einnehmen muss, beeinflusst das schon deutlich den eigenen Alltag.
Weitere akute Nebenwirkungen können z.B Schwindelgefühl, Appetitlosigkeit, Übelkeit oder auch Kopfschmerzen sein. Diese treten vor allem bei Beginn der Therapie verstärkt auf. Ein Junge, der erst seit kurzem bei uns ist und mit seiner Therapie begonnen hat, hat viel mit genau diesen Symptomen zu kämpfen. Er musste in letzter Zeit oft hier bleiben und den Tag statt in der Schule, im Krankenzimmer verbringen. Die Medikamente abzusetzen kommt aber natürlich auch nicht in Frage, da die Folgen fatal wären. Stattdessen muss man da „einfach“ durch und hoffen, dass die Nebenwirkungen mit der Zeit weniger werden.
Diese ganzen körperlichen Folgen und Auswirkungen von HIV selbst und der Medikamente sind vermutlich das, was die meisten Außenstehende von dieser Krankheit mitbekommen und vermutlich auch schon über sie wissen. Was ich während meinem Jahr hier aber besonders lernen konnte, durch Erfahrungen mit den Jungs und Gesprächen mit ihnen und den Fathers, ist, welche mentalen und psychischen Auswirkungen und Folgen eine HIV-Infektion haben kann. Auswirkungen, die man von außen gar nicht so sieht und mitbekommt, von denen ich aber im Laufe der Zeit immer mehr erfahren habe.
Zuerst hat in Großteil unsere Jungs seine Eltern verloren. Meistens eben an HIV. Auch wenn ich das eigentlich weiß, nimmt es mich jedes Mal mit, wenn ich z.B. beim Dokumente sortieren helfe, und bei fast jedem Jungen „Orphan“ oder manchmal noch „Semi-Orphan“ lese. Es ist einfach so ungerecht, was für schwere Schicksalsschläge die Jungs in so jungem Alter schon verkraften müssen und man fühlt sich teilweise echt hilflos, weil man sie einfach nur beschützen möchte, aber das natürlich nicht kann.
Als wäre das nicht schon genug, haben einige der Jungs zu der Verwandtschaft, die sie noch haben, ein schwieriges Verhältnis. Einige der Jungs, die in den Sommerferien heim gingen, kamen nach ein paar Tagen wieder zurück, weil sie es daheim nicht ausgehalten haben.
Ein Grund für dieses schwierige Verhältnis ist, dass die Verwandten die Jungs nicht haben wollen, bzw. sich nicht um sie kümmern wollen. Einmal, weil die Jungs eher als Last am Bein angesehen werden. Denn auch wenn die Jungs an sich körperlich recht fit sind, sind sie anfälliger für Krankheiten, sind von ihren Medikamenten abhängig und bräuchten an sich auch eine sehr nährstoffreiche Ernährung. Zum Anderen herrscht in den Köpfen vieler immer noch eine große Unwissenheit zum Thema HIV und damit verbunden viele Vorurteile und vielleicht sogar Ängste. Mich macht das wirklich wütend, denn an sich hätten die Verwandten ja die Möglichkeit diese Unwissenheit zu beseitigen. Im Care Home wären genug (qualifizierte) Ansprechpartner mit denen sie über ihre Unsicherheiten sprechen kann . Und an sich wird ja mit der Familie auch gesprochen und aufgeklärt. Aber da sind diese Vorurteile eben teilweise so fest in den Menschen verankert, dass jegliche Vernunft fehlschlägt und die Jungs darunter leiden müssen.
Einige der Jungs haben auch gar keine Familie mehr, beziehungsweise man weiß nicht, ob noch Verwandte existieren. Sie sind dann wirklich die ganze Zeit über nur hier im Care Home.
Hierzu aber ein kleiner Lichtblick. Einer unserer Jungs war seit ein paar Jahren im Care Home und zuvor schon in einem anderen Hostel. Verwandte hatte er nicht mehr, zumindest keine, die er kannte. Vor gut einem dreiviertel Jahr haben ihn dann Verwandte kontaktiert, die wohl schon länger nach ihm gesucht hatten und ihn nun endlich gefunden haben. Er hat sie dann besucht und hat jetzt vor Kurzem das Care Home verlassen, um bei seiner Familie zu leben. So schön, dass er nun wieder ein Zuhause hat mit einer Familie, die sich um ihn kümmert.
Doch nicht nur innerhalb der Familie werden die Jungs und auch andere HIV-infizierte mit Vorurteilen und (oftmals unbegründeten) Ängsten konfrontiert. Insgesamt ist in Indien und natürlich auch weltweilt HIV und AIDS ein großes Stigma angehaftet. Vor allem aufgrund mangelhafter Aufklärung und fehlendem Wissen entstehen Ängste und negative Haltungen gegenüber der Krankheit und der davon Betroffenen. Menschen befürchten sich anzustecken und schließen Menschen mit HIV daher aus der Gesellschaft aus. Ein Father erzählte uns z.B mal, dass es schon vorkam, dass ehemalige Jungs ihren Job verloren, als herauskam, dass sie HIV haben.
Diese Ängste sind aber, wie bereits erwähnt, an sich unbegründet. Im Alltag ist HIV nämlich nicht übertragbar. Für eine Ansteckung müssen nämlich Körperflüssigkeiten, die eine große Virenmengen enthalten, in den Körper gelangen. Dies geschieht vor allem beim Sex oder beim Drogenkonsum, wenn Nadeln und Spritzen gemeinsam benutzt werden. Außerdem eben während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder beim Stillen, wenn die Mutter keine Medikamente nimmt. Eine HIV-Therapie kann aber die Vermehrung der Viren so stark unterdrücken, dass HIV nicht mehr im Blut nachweisbar ist. Dann kann HIV auch beim Sex oder der gemeinsamen Nutzung von Spritzen und Nadeln nicht übertragen werden.
Um nun aber wieder auf den Alltag zurück zu kommen. Im Alltag mit Menschen mit HIV muss man keine Ansteckung fürchten. So muss ich in der Hinsicht im Umgang mit den Jungs nichts beachten. Ich kann gemeinsam mit den Kleinen rumtoben, ohne Probleme aus der selben Flasche trinken und auch die halb angelutschten Kekse, die mir Ravi* und Arun* anbieten, kann ich ohne Bedenken essen (ob man die matschigen Kekse dann trotzdem essen will, ist natürlich die Frage).
Dadurch, dass eben immer noch dieses große Stigma rund um HIV und AIDS existiert, haben natürlich viele Menschen mit HIV Angst, dass Andere erfahren, dass sie HIV erfahren und sie dann diskriminiert oder abgewiesen werden, weshalb sie ihre Krankheit für sich behalten.
Besonders im Thema Beziehung und Familiengründung kann eine HIV-Infektion natürlich auch mental belastend sein. Denn auch wenn eine HIV Infektion dank der Therapien nicht übertragbar ist und auch einem Kinderwunsch nicht im Weg steht, kann sie für emotionale Herausforderungen in einer Beziehung sorgen. Auch hier können eben mangelnde Informationen und Ängste zu Konflikten oder auch Abweisungen führen. Hierbei muss man betonen, dass nicht nur der/die HIV-negative Partner/in Angst vor einer Infektion haben könnte, sondern auch HIV-positive Menschen mit der Angst zu kämpfen haben, ihren Partner/ihre Partnerin anzustecken. Vor allem zu Beginn einer Beziehung, aber auch währenddessen, können deshalb viele Fragen von beiden Seiten aufkommen. Hier ist es wichtig, dass Anlaufstellen zur Verfügung stehen, wo solche Fragen geklärt werden können und Sorgen aus dem Weg geräumt werden. Das ist aber leider nicht immer der Fall.
Insgesamt können Menschen mit HIV also oft nicht so unbeschwert in Beziehungen gehen oder generell das Thema Dating angehen, wie es andere Gleichaltrige tun.
Ein weiteres Problem, dass mit dieser fehlenden Aufklärung rund um HIV einhergeht, ist in Indien, dass, vor allen in ländlichen und ärmlichen Gegend, eine HIV-Infektion erst spät oder sogar gar nicht entdeckt. Außerdem wissen viele Menschen nicht, wie sie sich vor einer Infektion schützen können. Bei einem Junge von uns wurde jetzt eben erst vor einigen Monaten festgestellt, dass er HIV hat und das, obwohl er schon 14 ist und seit seiner Geburt hat. Da er aber laut dem, was mir erzählt wurde, aus einem kleineren Dorf kommt, fehlte dort das Wissen über HIV, weshalb auch ewig nicht der Verdacht aufkam, dass er HIV haben könnte.
Ich hoffe ich konnte mit diesem Blogeintrag ein paar Fragen rund um das Thema HIV klären und durch meine Erfahrungen einen Einblick darin geben, wie die Krankheit das Leben unsere Jungs beeinflusst und bestimmt. Nachdem ich mitbekommen habe, wie sehr Betroffene mit Diskriminierung und Vorurteilen zu leiden haben, ist es mir total wichtig, dass dieses Stigma und fehlende Wissen rund um HIV bekämpft wird.
P.S: Wer noch etwas mehr zum Thema HIV/AIDS lesen will: Die Seite der Deutschen Aidshilfe gibt eine sehr gute Übersicht und beantwortet viele Fragen
Deutsche Aidshilfe: Leben mit HIVAußerdem möchte ich noch sagen, dass ich selber natürlich auch kein Experte bin. Alles was ich hier erzählt habe, beruht auf Fakten von der Website der Deutschen Aidshilfe und auf Dingen, die ich während meines Freiwilligendienstes im Care Home erlebt und erfahren habe. Vor allem auf Letzteres bezogen, bekomme ich natürlich auch nur begrenzt Sachen mit und manche Erzählungen, habe ich auch nur aus zweiter Hand erfahren.
*Die Namen der Jungs habe ich zum Schutz geändert
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