Mein Zem fährt über den Sandweg, weicht hupend Kindern in Schuluniform, Hühnern und Ziegen aus. „C’est ici“, sage ich, es ist kurz nach acht, wir sind angekommen beim Espace Eveil, der Vorschule mitten im Quartier Djidjie. Es ist ein armes Viertel in Lagunennähe, von der Vorschule aus kann man sie sogar sehen. Ich gebe dem Zemfahrer die zuvor verhandelten 300 F (=45 ct) für die Fahrt und begrüße die Frau, die vor der Vorschule wie jeden Tag ihren kleinen Tisch aufgebaut hat. Darauf ist ein Plastikbehälter mit schön fettigen Teigbällchen, ebenfalls ein Behälter mit einem süßen, schnell sättigenden Brei. Gleich neben der Vorschule ist eine staatliche Grundschule, so lohnt sich das Geschäft für die Frau sehr: Viele Kinder kaufen sich ihr Frühstück bei ihr, bereits für 25 F (=4 ct) bekommt man eine ausreichend volle Schüssel des heißen Breis.

Schon optisch fällt die Vorschule sofort auf: rötliche Ziegel mit hellgrünen Fensterblechen und Türen, die Mauer drumherum freundlich bemalt. Sonst sind die Häuser in Djidjie eher einfach gehalten, die meisten einstöckig und dicht nebeneinanderstehend.

„Bonjour Tata!“ Der kleine Luc wird von seiner Mama gebracht, eine junge Frau in traditionell beninischem Wickelrock, ein Baby in einem Tuch auf dem Rücken gebunden. Wie die meisten anderen Mütter der Vorschulkinder ist auch sie Verkäuferin auf dem großen Markt Dantokpa, der nicht weit entfernt ist. Luc begrüßt mich höflich und macht sogar einen kleinen Knickser, so wie man es hier aus Respekt vor einer älteren Person macht. Lange konnte ich ihn kaum von den anderen Vorschülern unterscheiden, die sich alle so ähnlich sahen mit ihren braunen Augen, den schwarzen, kurzen  Haaren und den Uniformen, die sie jeden Tag tragen. Von der anderen Straßenseite kommt Gloria, heute wird sie von ihrem älteren Bruder gebracht. Mit den beiden Kleinen gehe ich hinein in den Vorschulhof, die meisten Kinder sind schon da und essen ihren Brei oder Baguette, dass sie von zuhause mitbekommen haben.

Links die Vorschulzimmer, im Hintergrund das Büro des Direktors, rechts die Klassenzimmer der Grundschule

Zwei Klassenzimmer wurden hier von der Organisation Medecins du Monde erst im letzten Jahr gebaut, davor war die Vorschule in einer kleinen Hütte. Ich begrüße zwei Tatas im ersten Klassenraum, bevor ich nebenan in das zweite Zimmer gehe. Tata Emma, die ich während meinen dreieinhalb Monaten Vorschulzeit unterstützen darf, sitzt an ihrem Tisch und schreibt kleine Zettelchen. „Das sind Einladungen für die Eltern, am Freitag wird es wieder eine Versammlung zur Sensibilisierung geben“, erklärt sie mir. Immer wieder organisiert Medecins du Monde kleine Aufklärungstreffen, um mit den Eltern zum Beispiel darüber zu reden, wie wichtig Hände waschen ist oder wie man vermeiden kann, dass man an Lassafieber erkrankt. Auch sonst unterstützt die Organisation die Familien in Sachen Gesundheit sehr: Bei den Kindern wurde z.B. ein Bluttest durchgeführt, um sie auf mögliche Krankheiten zu untersuchen, außerdem bekommen die Eltern finanzielle Unterstützung, wenn ihr Vorschulkind ins Krankenhaus muss. Tata Emma reicht mir ein Arbeitsheft eines Vorschülers und zeigt mir die Seite mit der Skizze eines Körpers. „Kannst du mir das an die Tafel zeichnen?“, fragt sie. „Und dann noch 10 Stück auf Papier für die Kinder, die kein Zeichenheft haben“. Die Vorschule ist kostenlos, nur die Uniform und die Arbeitshefte der Kinder sollen die Eltern übernehmen, was für manche nicht möglich ist. Ich beginne mit der Skizze, während Tata Emma die restlichen Kinder, die noch auf den sandigen Hof sind, ins Klassenzimmer ruft und ihre Anwesenheit kontrolliert. „Present, Tata!“ rufen die Kleinen mit ihren hellen Stimmen. Manchmal kommt es vor, dass Eltern das Angebot der Don Bosco Schwestern nicht richtig nutzen. Obwohl ihr Kind eingeschrieben ist, wird es nicht oft in die Vorschule gebracht. Der einzige Sozialarbeiter, der für alle fünf Vorschulen der Don Bosco Schwestern zuständig ist, ist deshalb ganz schön am Rennen, um das zu ändern. Bei so vielen Kindern (allein nach Djidjie kommen täglich an die 180 Kinder, in verschiedene Gruppen verteilt) ist das ja auch echt nicht einfach. „Die Rucksäcke nach draußen, und dann alle Mädels in eine Reihe!“, ruft Tata Emma. Nicht aufgegessene Baguettes werden in die Rucksäcke gepackt, die dann von den Kindern draußen an den Ständern aufgehängt werden. Die Mädchen haben sich mehr oder weniger ordentlich im Klassenzimmer aufgestellt, ich schicke noch Daniel auf seinen Platz, der sich in der Mädelsreihe verirrt hat. Hinter der Tafel ist ein kleiner Raum mit einer Toilette, denn das ist ein ganz wichtiger Teil des Unterrichts in der Vorschule 🙂 . Die Kinder lernen, wie man richtig aufs Klo geht und dass man sich danach die Hände wäscht. Das Ding ist, dass die meisten Vorschüler zuhause ein Loch hinterm Haus als Toilette nutzen, und schon zweimal ist es passiert, dass ein kleines Mädchen neben das Vorschulklo auf den Boden pinkeln wollte-aber Übung macht den Meister 🙂 ! Die Mädels sind fertig, die Jungs sind an der Reihe. Besonders bei ihnen muss ich gut aufpassen, dass das Händewaschen nicht zu einer kleinen Wasserschlacht ausartet. Inzwischen sitzen wieder alle 30 Kinder in ihren blauen Hemden und den khakifarbenen Röcken und Hosen um die kleinen Tische herum, die grün, gelb, rosa und blau angestrichen sind. Insgesamt ist die Vorschule in freundlichen Farben gehalten, die Wände strahlen in einem satten Gelb, Girlanden hängen an der Decke und das ABC klebt auf buntem Papier an der Wand. „Bonjour, les amis! Comment ca va?“ fragt Tata Emma die Kinder. „Ca va bien, merci, et vous?“, antworten diese im Chor. Smalltalk und Begrüßen auf Französisch wird den Kleinen hier schnell beigebracht, denn zuhause wird bei den meisten Kindern ausschließlich Fon gesprochen. Das macht die Sache für mich ein bisschen kompliziert, denn wenn man keine Stammessprache spricht, wird man von den Kindern auch gleich viel weniger respektiert. Wir beginnen mit der Animation, singen mit den Vorschülern Kinderlieder (z.B. über einen Hasen, der eine Mücke auf dem Kopf hat) und machen kleine Bewegungen dazu, wiederholen die kurzen französischen Gedichte (z.B. über einen Ball oder eine leckere Orange), die wir schon gelernt haben, machen ein kleines Klatschspiel und enden mit einem Lied auf Fon, zu dem die Kinder am Ende ein bisschen tanzen können.

Es wird Zeit für den nächsten Teil: die Kinder sitzen wieder auf ihren Plätzen, Tata Emma steht vor der Körperskizze, die ich ihr an die Tafel gemalt habe. Sie deutet auf die Arme der Figur und fragt die Kinder, was das ist. Die Kleinen melden sich, strecken ihre Finger ganz weit hoch, manche bleiben nicht mal auf ihren Plätzen sitzen. „Moi, Tata!“, rufen sie laut.

Océane wird aufgerufen und sagt das richtige Wort auf Fon. Tata Emma lernt den Kindern das Wort auf Französisch und wiederholt es ganz oft, die Vorschüler sprechen es einzeln und alle zusammen nach. Auch die Wörter „Beine“, „Bauch“ und „Kopf“ lernen die Kleinen heute kennen. Tata Emma ruft Miracle zu sich nach vorne an die Tafel, und fordert ihn auf, ihr die Arme der Figur zu zeigen. Miracle klettert auf die kleine Bank, die vor der Tafel steht, und deutet auf den Kopf der Figur. „Sind das die Arme?“, fragt Tata Emma die anderen Vorschüler. „Neeein!“ rufen sie laut. „Wer zeigt mir die Arme?“ „Moi Tata, moi Tata, moi!“ Tata Emma winkt Bo-Christ nach vorne, er zeigt ihr die richtige Stelle der Skizze. „Applaus für Bo-Christ!“, ruft Tata Emma, die Vorschüler klatschen dreimal schnell hintereinander in die Hände und strecken danach mit einem „Super!“ die Daumen in die Höhe. Wir teilen den Kindern ihre Arbeitshefte, meine Körperzeichnungen und Wachsmalkreiden aus, mit denen sie die Skizzen bunt anmalen. Danach sind Schreibübungen dran, heute: der Buchstabe „A“. Waagrechte, senkrechte und schiefe Balken können die Kinder schon gut auf die kleinen Tafeln schreiben, die wir ihnen austeilen. Seit ein paar Wochen haben wir jetzt angefangen, schon richtige Buchstaben zu schreiben (M, H, X, E,…) und auch wenn es bei einigen noch ziemlich krakelig ausschaut, haben‘s viele Kinder schon richtig drauf! Florence zum Beispiel. Die Kleine kommt aus einer muslimischen Familie und trägt deshalb auch immer ein Kopftuch, das wird hier selbst schon den muslimischen Babys oft angezogen. (Das Schöne an den Einrichtungen der Don Bosco Schwestern ist: Es ist ganz egal, ob man Christ oder Muslim ist oder ob man an Naturreligionen wie Voodoo glaubt.) Tata Emma und ich gehen von Kind zu Kind und schauen, ob das „A“ richtig geschrieben wird.

Illal haut Nimatou seine Tafel um die Ohren, zur Strafe muss er sich ein paar Minuten mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen. In anderen Vorschulen wäre er geschlagen worden, denn das ist hier in den Schulen noch üblich, und auch zuhause fangen sich die Kinder ab und zu mal eine Ohrfeige ein. Aber wir sind ja schließlich eine Don Bosco Einrichtung und da hat Schlagen nichts verloren. Es ist 10 Uhr, die Zeit für die erste Gruppe, die 4- bis 5-Jährigen, ist also vorbei. Wir sammeln die kleinen Tafeln und die Kreiden ein, dann stellen sich die Kinder in eine Reihe auf und singen ein kurzes Abschiedslied, bevor alle nach draußen auf den sandigen Hof rennen. Noch gar nicht lange stehen hier eine Rutsche und eine Wippe, die die Kinder lieben. Manchmal schleichen sich sogar Grundschüler von der Schule nebenan zu uns rein, um den kleinen Spielplatz zu nutzen. Anfangs hab ich vielen Vorschülern beim Rutschen noch helfen müssen, inzwischen trauen sie sich selber und haben ihren Spaß dabei.

A l’Ecole Maternelle de Djidje, c’est la JOIE! 

„Tata, nammi si“. Die kleine Mazoucoth möchte Wasser trinken, wir haben dazu einen recht großen Behälter, den wir draußen auf dem Hof an einem Wasserhahn auffüllen können. Sie hat sich schon einen bunten Becher geholt und hält ihn mir abwartend hin. Ich fordere Mazoucoth auf, ihren Wunsch auf Französisch auszudrücken, denn das kann sie schon. Samuel kommt zu mir, er braucht Hilfe beim Schuhe anziehen. Kurz darauf wird er auch schon von seiner Mama abgeholt, die auch noch Joanita und Cécile mitnimmt, die in derselben Straße wohnen. Die ersten Kinder der zweiten Vormittagsgruppe kommen an. Es sind die 3- bis 4-Jährigen, die auch nächstes Jahr noch in die Vorschule kommen und dann die Großen sein werden. Die nächste Viertelstunde bin ich damit beschäftigt, das Klassenzimmer grob durchzukehren, kleine Kekspackungen zu öffnen, die die Kinder als Snack mitbekommen haben, Monday die Nase putzen, „Hoppe hoppe Reiter“ mit Junior zu spielen und die weinende Zita zu trösten, die sich beim Rutschen wehgetan hat. Dann geht es wieder los, wir kontrollieren die Anwesenheit, die Kinder gehen auf die Toilette und wir machen unsere Animationen. Auch mit den 3- bis 4-Jährigen nehmen wir heute das Thema „Körper“ durch. Allein in den drei Monaten, die ich jetzt schon in der Vorschule bin, haben die Kinder viel gelernt: Sie wissen jetzt die französischen Begriffe für verschiedene Früchte und Farben, wir haben Wochentage, die fünf Sinne und Kleidungsstücke durchgenommen. Sie können inzwischen Rechtecke, Dreiecke und Kreise zeichnen und haben Konzepte wie „leer-voll“, „dick-dünn“ oder „leicht-schwer“ kennengelernt. Außerdem wurden Themen wie „Zähne putzen“ und „Wie wasche ich mich richtig“ behandelt. Heute gehen wir mit den Kindern noch auf den sandigen Hof, um ein bisschen Sport zu machen. Wir lassen die Kleinen eine Weile im Kreis rennen, machen ein paar Dehnübungen und üben danach, Bälle zu werfen und zu fangen. In der Viertelstunde, die uns nach dem Sport noch bleibt, breiten wir im Klassenzimmer Matten auf dem Boden aus. Die Kinder setzen sich darauf und wir geben ihnen Perlen und Schnüre, aus denen sie bunte Ketten auffädeln, denn auch das spielerische Lernen gehört zur Vorschulzeit dazu. Kurz nach 12 räumen wir auf und die Kinder werden von ihren Eltern oder Geschwistern abgeholt. Damit endet auch mein Vormittag im Espace Eveil Djidjie und ich mache mich auf den Weg zum Ausbildungszentrum „Maison de l’Esperance“, um dort mit meinen zwei Mitvolontären zu essen, bevor mein Nachmittag in der Baraque SOS auf dem Markt Dantokpa startet.

   Alle Namen der Kinder geändert