Als wir noch klein waren, haben mein Bruder und ich immer zusammen Räubergeschichten auf Kassetten gehört und er hat irgendwann meine Mama gefragt, warum der Räuber sagt, dass er eine Schnur braucht. In Wirklichkeit sagt der Räuber „Ich brauche eines nur und das ist Gold“, aber bei uns ging der Satz von da an nur noch so: „Ich brauche eine Schnur und das ist Gold!“ Inzwischen ist tatsächlich eine ganz bestimmte „Schnur“ für meinen Bruder, mich und für ganz viele hier in Vilathikulam im übertragenen Sinne zu Gold geworden. Nämlich eine Slackline.
Schon vor einigen Wochen kam das erste Päckchen von Zuhause und dieses enthielt neben einigen anderen Dingen auch zwei Slacklines. Mit diesem Päckchen kam für die Kids im St. Charles Konvent, aber auch für die ganzen Jugendlichen und Brothers & Fathers hier in Vembu eine Menge Spaß nach Indien.
Alle waren von Anfang an begeistert, weil man hier zwar sowas wie Hochseiltanzen kennt, aber Slacklinen wirklich etwas komplett Neues für alle ist. Mit meinen 2-3 Anfängertricks, die ich durch meinen Bruder, der am liebsten den ganzen Tag auf einer Slackline verbingen würde, gelernt hab, wurde ich gleich zum „Slackline-Master“ ernannt und werde immer mal wieder aufgefordert etwas vorzuführen.
Erst waren die Kinder noch sehr vorsichtig, haben aber in kürzester Zeit ihre Freude am Slacklinen gefunden und können es meist kaum erwarten zu laufen, wenn wir die Slacklinen aufbauen. Diese Ungeduld war anfangs eher schwierig zu händeln, weil immer alle gleichzeitig laufen wollten und so keiner wirklich üben konnte.
Inzwischen ist die Slackline regelmäßig in Gebrauch. Immer mittwochs ist Slacknachmittag in Vembu und samstags slacken und spielen wir mit den Kindern im Convent, als Abwechslung zum Unterricht. Und dabei lernen die Kinder mehr, als ich je erwartet hätte..
Erstmal ist das Anstehen und Warten, ohne sich nach vorne zu schummeln oder die anderen von der Slacklinen zu schubsen eine enorme Geduldsprobe für die meisten und wir musste in den ersten Wochen öfter mal unterbrechen, um Streits zu klären, die beim Anstehen entstanden sind. Inzwischen klappt das mit dem disziplinierten Anstehen schon viel besser.
Weiter geht’s mit dem eigentlichen Laufen auf der Slackline. Die Kinder müssen sich wirklich auf eine Sache – die Slackline – konzentrieren und ihre Muskulatur, Balance und Haltung wird natürlich verbessert. Aber auch das Selbstbewusstsein wird enorm gestärkt. Kinder, die im Unterricht oder beim Spielen in der Gruppe immer eher ruhig sind, blühen plötzlich voll auf, wenn sie die ersten Schritte gehen können und so Anerkennung von uns und auch von den anderen Kindern erhalten.
Außerdem lernen die Kinder, die sich nicht gleich trauen, alleine auf der Slackline zu laufen, dass sie uns und auch ihren Mitschülern vertrauen können, wenn sie an der Hand laufen. So erfahren die Kids auf eine neue Art und Weise Sicherheit und Vertrauen, aber auch sich gegenseitig zu helfen und gemeinsam Fortschritte zu machen.
Und es ist, glaube ich, wirklich nicht zu übersehen, dass sie dabei einen Heidenspaß haben!
Desweiteren sprechen unsere Schüler beim Slacklinen automatisch mit uns Englisch oder versuchen es zumindest, wenn sie an der Hand laufen, wenn sie erste Tricks wie Hinsetzen und Hüpfen ausprobieren wollen oder wenn sie uns darauf aufmerksam machen, dass jemand schummelt.
„Sister, please jump“ oder „ Sistaaaa, cheeeating!“ sind dabei immer beliebte „Sätze“ 😉
Aber nicht nur unsere Convent Kids sind von diesem „pink rope“ ganz angetan, sondern auch unsere Hosteljungs, unsere Freunde in Vembu, die Brothers und auch die Fathers.
Und niemand lässt es sich nehmen einige Schritte auf der Slackline zu versuchen. Ja, sogar unsere Küchenmami hat sich schon auf die Slackline gewagt.
Nun ist die Slackline schon über 3 Monate in Gebrauch. Manche können schon die ganze Line laufen und probieren sich momentan in den ersten Tricks.
Und den unglaublichen Spaß, den die meisten dabei haben, trübt auch die ein oder andere gerissene Hose oder ein Abgang in eine Pfütze nicht.
Also ja, mein Bruder hatte da schon als kleiner Bub eine gute Vorahnung:„Ich brauche eine Schnur und das ist Gold!“ Die Slackline bereitet hier so vielen Leuten Freude, zaubert ihnen ein Grinsen ins Gesicht und ist dabei in so vielerlei Hinsicht lehrreich, dass diese „Schnur“ hier wirklich goldwert ist.
Danke Bruderherz! (Die Einladung steht – über eine richtige Slacklineshow würden sich hier viele freuen! 😉 )
Eure Anna
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