Wir sind jetzt seit über einem Monat in unserem Projekt in Vilathikulam und haben das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Wir haben viele neue Freunde gefunden, mit denen wir uns unterhalten, lachen und versuchen Tamil zu lernen. Wo und wie wir hier leben, haben wir in den letzten Blogartikeln erzählt. (Hier verlinkt)
Jetzt geht es darum, was genau wir eigentlich den ganzen Tag machen. Im Voraus muss gesagt werden, dass das Wort Alltag hier praktisch nicht existiert. 😉
Ob überraschende Besuch, spontane Ausflüge mit den Jungs, lange Stromausfälle etc., irgendwelche Veranstaltungen oder Feste, irgendwas Unvorhergesehenes passiert jeden Tag.
Ein „normaler“ Tag beginnt um 7:30.
Der Wecker klingelt und während Lydia sich meist gut gelaunt über die schon kräftig scheinende Sonne freut, dreht sich Anna verständnislos über diese Übermotivation lieber nochmal im Bett um und steht erst – völlig verschlafen – 15 min später auf 😉
Farbige Churidas werden angezogen, ein glitzernder Punkt auf die Stirn geklebt, Zähne geputzt, und ein bisschen Schmuck angelegt. Morning-Routine erledigt.
8:00 Uhr: Die ca. 20 Jungs, die hier leben und deren Alltag wir begleiten, frühstücken. Wir setzen uns dazu, um gemeinsam in den Tag zu starten und noch ein bisschen zu quatschen. Wenn sie sich in Richtung Schule verabschieden, ist Zeit für unser Frühstück.
8:30 Uhr: Mit den drei Fathers und den beiden Brothers vom Projekt essen wir ein herzhaftes, würziges Frühstück an unserem Drehtisch in der Dining-Hall. (Genauere Infos zum Essen folgen in einem anderen Post)
9:00 Uhr: Nach dem Abspülen unserer Teller (Besteck fällt ja weg 😉 ) sitzen wir oft noch kurz unten auf einer Bank und lesen noch etwas Zeitung (natürlich die englische Version), um uns über das Weltgeschehen zu informieren. Hier sitzen oft auch die Fathers oder ein paar Jungs, die in der Buchpresse arbeiten, dabei, um die tamilische Zeitung zu lesen oder zu plaudern.
9:30 Uhr: Jetzt ist es Zeit, den Unterricht vorzubereiten. Zum Glück haben die ehemaligen Volontäre viele Materialien hiergelassen, die wir gerne einbauen und benutzen. Wir unterrichten momentan eine 2. und 3. Klasse der Child-Labour-School (für ehemalige Kinderarbeiter). Die Kinder sprechen nur sehr wenig Englisch und das Schreiben gleicht mehr einem Abmalen, deswegen verwenden wir im Unterricht viele Spiele, Memory und Bilder.
10:30 Uhr: Jetzt haben wir noch kurz Zeit, um unsere Haushaltsangelegenheiten, wie beispielsweise das Einkaufen in der Stadt, Wäsche waschen oder Aufräum- & Putzaktionen, zu erledigen. Oder wir schreiben unsere Blogeinträge, lernen Tamil, kuscheln mit den Katzenbabys, die wir gerade neu im Projekt bekommen haben, oder besuchen die Mädels in der Stitching Class nebenan. An besonderen Tagen finden auch den ganzen Vormittag spezielle Events statt, wie beispielsweise Treffen vom Children-Parliament, bei dem Kinder aus dem Dorf an politischen Aktionen mitwirken können oder über Umwelt oder Politik informiert werden. In Vembu ist immer irgendwas los 🙂
Etwas vorgezogen essen wir zu Mittag, damit wir uns rechtzeitig um 13:15 auf unsere Fahrräder schmeißen und den Weg durch die pralle Sonne in Richtung Schule fahren können.
13:30 Uhr: Wir kommen an der Schule an und werden gleich von einer Kinderschar mit „Sister, Sister“-Rufen begrüßt. Wir albern noch ein bisschen herum, bevor wir unsere Schüler zusammensammeln und den Unterricht beginnen. Da das Thema Child-Labour-School etwas länger ist, werden wir dazu noch einen ausführlichen Artikel mit Erklärungen und Bildern schreiben.
15:30 Uhr: Der „lehrreiche“ Teil des Unterrichts ist vorbei. Jetzt gehen wir raus zum Spielen, Toben, Sport machen oder Action-Songs singen (das wird natürlich mit den gelernten Vokabeln verknüpft: „Head, Shoulders, Knees and Toes“ ist z.B. ein Klassiker.)
16:00 Uhr: Nach vielen liebevollen Verabschiedungen (denn die Kinder sind sehr süß und unglaublich dankbar) geht es mit dem Fahrrad zurück über die schattenlose Landstraße. Dann ist das Sportprogramm erledigt. 😉
16:15 Uhr: Wir knobeln mit „Schere, Stein, Papier“ kurz aus, wer zuerst unter die Dusche springen darf 😉 Diese Dusche ist aber nur halb so erfrischend, wie wir uns die kalte Dusche immer vorstellen. Das liegt daran, dass sich die Wassertanks auf der Dachterrasse befinden und sich über Mittag aufheizen. Deswegen haben wir nachmittags ungewollt sehr heißes Wasser zum Duschen.
18:00 Uhr: Frisch geduscht und kurz erholt vom oft auch anstrengenden Unterricht geht’s jetzt zur Tea-Time. Da wird mit den Hosteljungs über den Tag und die Schule geredet, persönliche lustige Geschichten erzählt und viel gelacht. Im Innenhof wird davor oder danach oft noch Volleyball oder andere Spiele gespielt, bevor wir alle zusammen zur Study-Time gehen.
18:45 Uhr: Study-Time – Eine Stunde konzentrierte Lernzeit für die Jungs
Wir setzen uns dazu, lernen oder lesen selber und helfen bei Fragen. Doch eigentlich sollen wir so wenig wie möglich ablenken und lieber darauf achten, dass die Jungs auch wirklich lernen und nicht zu viel quatschen, was manchmal mehr manchmal weniger gut funktioniert 😉
19:45 Uhr: Bathing-Time
Genug konzentriert. Es ist Zeit für die Jungs, die Schuluniform und den eigenen Körper zu waschen. Das geschieht mithilfe von Eimern und einem einfachen Stück Seife an den Duschstellen, die wir schon im Projektrundgang gezeigt haben. Wir warten diese Viertelstunde in der Savio-Hall, wo manchmal schon der Fernseher eingeschaltet wird.
20:00 Uhr: Fernsehzeit
Für eine Viertelstunde wird der Fernseher eingeschaltet. Hierbei gilt, wer die Fernbedienung hat, besitzt die Macht. Es wird viel gezappt, denn es ist nicht immer leicht, unter 20 Jugendlichen etwas zu finden, das alle sehen wollen. Schlussendlich läuft es entweder auf Nachrichten oder einen der vielen tamilischen Musiksender hinaus. Erstaunlicherweise haben wir es noch nicht erlebt, dass es größere Streits gibt, obwohl die Jungs fast rund um die Uhr zusammenleben.
20:15 Uhr: Abendessen der Jungs
Auf Strohmatten wird gegessen. Ihr ahnt es sicher schon: Wir sitzen dabei und reden und lachen mit allen Anwesenden. So teilen wir den Alltag und versuchen, mit einem offenen, liebevollen Ohr als große Schwester für unsere neuen liebgewonnen kleinen Brüder da zu sein. Aber vor allem helfen sie uns sehr, uns hier zu Hause zu fühlen. Ohne sie hätten wir hier nur halb so viel Spaß 😉
21:00 Uhr: Goodnight
Am Ende des Tages gibt es noch einen kurzen gemeinsamen, ruhigen Tagesabschluss oft auch in der Kirche in Form von interreligiösen Gebeten, Gesang oder zum Nachdenken anregende Ansprachen von den Brothers oder Fathers (zum Beispiel über aktuelle politische Situationen, wie man uns sagte, denn unsere Tamilkenntnisse reichen noch lange nicht so weit, Unterhaltungen folgen zu können).
21:15 Uhr: Sehr spät ist es auch für die Fathers und für uns Zeit zum Abendessen. Auch hier genießen wir ein warmherziges Beisammensein, in das wir gut integriert wurden.
22:00 Uhr: Feierabend
Jetzt kann noch geskypt, Zeit auf der Dachterrasse verbracht, Sport gemacht oder Reisetagebuch geschrieben werden, bevor wir nach wiederholtem Duschen erschöpft ins Bett fallen. Oft reden wir im Bett dann noch ein bisschen über unsere Erfahrungen oder Erlebnisse des Tages.
Unser alltäglicher Tagesablauf bezieht sich auf die Tage Montag bis Samstag (Ja die Grundschulkinder haben auch samstags Schule!).
Der Sonntag läuft anders ab, da viele unserer Hosteljungs Samstag Abend nach Hause fahren und sich sonntags meist nur 5 Jungs hier befinden. Nach der Messe gibt es noch eine Sunday Class für die Kinder aus dem Dorf, die wir übernehmen und bei der wir es genießen, auch mal ein paar ältere Schüler zu unterrichten (denn die Schüler der Sunday-Class sind zwischen 12 und 17 Jahren alt). Danach haben wir unseren freien (halben) Tag, der von uns oft für kleinere Ausflüge z.B. in die Stadt oder zum Spielen im Park mit den Jungs, die noch hier sind, genutzt wird.
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