Und schwupps – da war es auch schon Dezember. Was? Dezember??? Es fühlte sich überhaupt nicht danach an. Wenn man an zu Hause dachte, dann lag dieses in einer komplett anderen Welt. Wir waren Fern von Schokoweihnachtsmännern, Weihnachtsmärkten, Glühweinständen und kitschigen Weihnachtsliedern. Fern von unseren Familien, schönem Weihnachtsschmuck und Besinnlichkeit. Fern von Dunkelheit und Kälte. Und doch: Ich hatte eine wunderschöne Weihnachtszeit.
In der Adventszeit wollten wir etwas Besonderes mit unseren Jungs machen und ein bisschen Deutsche Weihnacht nach Indien bringen. Also beschlossen Lotta und ich, eine Art Adventsbasteln anzubieten. Jeden Abend nahmen wir uns eine kleine Gruppe und bastelten viel Weihnachtsschmuck. Den Jungs hat das sehr gut gefallen, als dann auch noch Glitzer ins Spiel kam, waren sie vollkommen aus dem Häuschen. Was Lotta und mich besonders begeisterte war die Intensität, mit der die Jungs ihre Weihnachtsbäume gestalteten. Jeder war in seinem Element und um einiges Kreativer als ich 😄. Auch die Dankbarkeit, die sie uns entgegenbrachten, war schön zu spüren. Nach jeder Session wurden unsere Hände geschüttelt und wir wurden umarmt mit den Worten: „Nice Activity Didi“! Letzten Endes waren sie aber vor allem dankbar, dass sie während der Zeit keine Studytime hatten, was natürlich ziemlich cool war.
Während in Deutschland die Menschen sonntags in die Kirche gegangen sind, hatten wir rund 150 Kinder von den Brücken im Shelter. Von den Brücken? Ja, richtig: Hier leben Familien unter einer Plane auf den umliegenden Brücken. Meistens gehören zu jeder Familie mindestens fünf Kinder, sonst mangelt es aber an Allem. Sonntags dürfen sie ins Shelter zum Spielen kommen. Lotta und ich haben irgendwann angefangen, ein großes Springseil zu spannen um mit den Mädchen Springseil zu springen. Das hat ihnen anscheinend so viel Spaß gemacht, dass wir die darauffolgenden Sonntage nichts anderes mehr machen konnten, da alle springen wollten. Am 22.12. organisierten wir eine Weihnachtsparty für die Kinder. Nachdem Father Greg die Weihnachtsgeschichte erklärte, wurden Staffelspiele gespielt und als krönender Abschluss kam dann auch noch der Weihnachtsmann!! Gezogen von seinen Rentieren (unsere zwei Shelterhunde) und mit weißgefärbten Bart machte unser Brother einen echt seriösen Eindruck. Die Brückenkinder waren alle komplett aus dem Häuschen. 150 Kinder stürmten auf den Weihnachtsmann, zogen und rüttelten an ihm und alle hatten strahlende Gesichter. Nachdem Ruhe eingekehrt war, kam dann die große Bescherung, bei der es vor allem Essen und Kleidung gab. Diese strahlenden Gesichter zu sehen hat mir wirklich das Herz erwärmt. Es kam mir so vor, als hätten diese Kinder noch nie in ihrem Leben eine so große Bescherung gehabt.
Ein nächstes großes Ereignis im Advent war das Shelterstaff-Picknick, bei dem alle Mitarbeiter des Shelters in einen Rutschenpark gefahren sind. Nachdem am Vortag die Frage der Kleidung geklärt war, gingen wir letzten Endes in Sportleggings und T-Shirt baden, da alles andere nicht angebracht gewesen wäre. Zusammen mit dem Staff und den Fathers hatten wir jede Menge Spaß! Wir haben uns verschiedenste Rutschen runtergestürzt, Wasserball gespielt und in einer Art Wasserdisko getanzt.
Ein bisschen weihnachtlicher wurde dann unser Monstervorhaben des Plätzchenbackens: Warum auch immer haben Lotta und ich uns vorgenommen, für den Shelterstaff, die Jungs und die Fathers aus dem Provincial House Plätzchen zu backen. Das heißt, am 23.12. eröffneten wir eine Weihnachtsbäckerei, blockierten für zwölf Stunden die gesamte Küche (obwohl dort auch für ein Weihnachtsessen gekocht werden musste) und buken für ca 100 Menschen Plätzchen. Doch die Mühe hat sich ausgezahlt. Alle haben sich über unsere Plätzchen gefreut und sich ausgiebig bei uns bedankt. Auch wenn die Köchin jetzt wahrscheinlich denkt, dass wir einen kleinen Schuss haben, weil wir laut das Weihnachtsoratorium versuchten mitzusingen, hatten wir einen schönen Tag.
Auch im Shelter wurde es immer weihnachtlicher. Jede freie Ecke wurde geschmückt, Plastiktannenbäume und kleine Weihnachtsmänner wurden aufgestellt. Mein Geschmack hat es zwar nicht ganz getroffen, man musste sich aber natürlich ganz doll vor den Fathers freuen, wenn sie einem wieder einmal neue geschmückte Ecken vorführten.
In meinen Klavierstunden spielten wir Weihnachtslieder (oder versuchten es zumindest), wobei Jingle Bells nicht fehlen durfte. Auch sonst wurden viele Lieder gesungen. Ob „Jingle Bells“, „Ginge Böl“, oder „Schingl Blll“, jeder Junge sang dieses Lied in seiner eigenen, ganz besonderen Variation 😉 .
Und dann kam auch schon der 24.12.! Im Shelter sollten an diesem Tag direkt zwei Parties stattfinden: Die des Staffs und die der Jungs. Vormittags machten wir uns bereit für die Staffparty. (Wer meinen Blogeintrag über Feste und Feiern gelesen hat, weiß, was das bedeutet hat 😉 .) Eine Besonderheit kam noch hinzu: Wir alle trugen Kleider, die aus alten Saris extra für uns geschneidert wurden. Nachdem wir bereit für die Party waren, wurde die Weihnachtsgeschichte vorgelesen und Father Greg deutete diese (auf Hindi, daher für uns eher uninteressant). Danach kam auch noch ein bisschen Ostern ins Spiel, da auf der gesamten Etage Weihnachtsmänner versteckt waren, die wir finden mussten. Ein Weihnachtsbingo folgte und danach war großes Weihnachtswichteln angesagt. Der Witz der Sache war, dass sich heimlich alle im Voraus absprachen, einfach sein Geschenk selber zu kaufen und dann vor der Party dem eigentlichen Schenker zu geben. Das geheime Weihnachtswichteln war also überhaupt nicht geheim, dafür bekam aber jeder das, was er auch haben wollte. Danach gab es großes Mittagessen mit PIZZAAA und vielen Weihnachtsliedern.
Nach einer kurzen Pause folgte am Nachmittag die Party der Jungs. Diese führten das Krippenspiel auf und mussten Lieder vorsingen. Das Highlight des Abends war der Stargast Boman Irani, ein Bollywood Schauspieler, der eine kleine Ansprache hielt und das Essen spendierte. Nach etlichen Fotos und Autogrammen machte dieser sich wieder auf den Weg und der Weihnachtsmann kam für die Bescherung. Jeder Junge wurde einzeln aufgerufen und rannte strahlend vor zu den Fathers und zum Weihnachtsmann, um sein Geschenk abzuholen. Später sangen Lotta und ich gemeinsam mit den Fathers und Brothers Feliz Navidad und einer meiner Jungs durfte vor allen die einstudierten Klavierstücke vorspielen. Leider war er so aufgeregt, dass er sich mehrmals verspielte, süß war es trotzdem. Es folgte ein großes Festessen mit der ganzen, großen Familie: Mitarbeiter, Fathers, Brothers, Shelterboys und Ex-Shelterboys.
Danach ging es für Lotta und mich zurück nach Matunga zur Christmesse, die wir Openair gemeinsam mit 7000 wunderschön gekleideten Menschen feierten. Tatsächlich kehrte in dieser Messe etwas Besinnlichkeit und Weihnachtsstimmung ein. Nach der Christmesse machten Lotta und ich unsere eigene, kleine Bescherung, skypten noch mit unseren Familien und fielen dann, 3 Uhr nachts, ins Bett.
Dieses Weihnachten ist natürlich ein ganz besonderes für mich gewesen. In erster Linie war es vor allem schön. Doch gleichzeitig hat es mich auch sehr über unseren Deutschen Konsum nachdenken lassen, und ob dieser wirklich so notwendig ist. Diese Kinder hier haben mir gezeigt, dass man nicht das neuste Handy braucht um froh zu sein. Ein Junge rannte überglücklich und mit aufgerissenen Augen auf mich zu und zeigte mir einen Glitzerstift, den er bekommen hatte. Ein einziger Stift, der seine halbe Bescherung ausmachte und ihn so glücklich stimmte. Leider ist das kaum vorstellbar in Deutschland und ich bin froh, diese Erfahrung hier gemacht zu haben.
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