Eine verstörende Überschrift? Ich nenne es: tägliche Gesprächsgrundlage. Wenn ich den Mädels im Internat ‚Gute Nacht‘ sage, höre ich nicht selten: ‚Teachaa, you are so fat‘. In der darauffolgenden Minute sehe ich, wie sich einige Schülerinnen mit whitening lotion die Arme und Beine eincremen. Für viele Kambodschaner gibt es vor allem das Schönheitsideal, dünn und weiß zu sein. Insofern kannst du noch so schlecht geschlafen haben, dein Gesicht ist völlig zerstört – der Weckruf aller Schüler bleibt: ‚Beautiful teachaa!‘ Dass 99% der Khmer keinen Gramm Fett am Körper aufzuweisen haben, ist auf ihre Ernährung zurückzuführen, die meist aus drei Mal am Tag Reis mit ein bisschen Gemüse und Fleisch besteht. Milchprodukte sind Luxusgüter, so dass statt Sauce Hollandaise Brühe geschlürft wird und Wasser statt eines Glases Milch zum Frühstückstisch gehört. Aus dieser Ernährung ergeben sich – abgesehen von einem minimalen Stoffaufwand für die Röcke der Schuluniformen – keine günstigen Vorteile. Die Mädels haben ein schwaches Immunsystem, oft Kopfschmerzen und werden schnell müde. Es ist nicht immer einfach, damit umzugehen, aber ich versuche, gesunde Ernährung in meinen Unterricht einzubinden.

Unterrichten, jawohl – ob ihr es glaubt oder nicht, ich baue meine Lehrfähigkeiten in drei verschiedenen Klassen aus. In der Hotelschule gibt es dazu noch einige Nachhilfestunden anzuleiten. Der Unterricht macht mir sehr viel Spaß, auch wenn die langen Hosen mehr und mehr zum Transpirationsschwamm mutieren. Die meisten meiner Schüler sind aufmerksam, haben auch bei Schwierigkeiten ein Lächeln auf den Lippen und freuen sich darüber, eine Lösung an die Tafel zu kritzeln. Glücklicherweise dient mir als Lehrplan ein Arbeitsheft, welches mich oft auf neue Ideen bringt und viel Arbeit abnimmt. In den ersten Wochen wurden Farben, Monate, die Uhrzeit usw. wiederholt. Die Schüler sind ein Geschenk, auch wenn sie viel öfter als oft in der Stunde aufs Klo rennen.

Was außerhalb der Schulzeit passiert? Ziemlich viel und noch viel mehr. Neben Geburtstagen und Erntedankfest nimmt das Spielen eine große Rolle in der Schule ein. Basketball- und Volleyballturniere oder kambodschanische Kreisspiele lassen die Schüler völlig aufblühen und garantieren eine Zeit, in der sie sich tatsächlich austoben und nicht am Lernen sind.

Geburtstage sind hier ziemlich witzige Angelegenheiten. Es gibt eine riesige bunte Cremetorte, Farb-, Luftschlangenspray und einen außerordentlich schwer nachzuahmenden Klatschrhythmus zu ‚Happy Birthday‘. Zu Father Eugenes Birthday gab es tausende Gäste, viel Kuchen, viel Tanz und viele wunderschöne Geburtstagsgemälde. Mit viel Tanz meine ich natürlich Apsara. Dazu lieben die Khmer aber auch kambodschanische Popmusik, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Mittlerweile stehe ich dezent darauf, wie alle Schüler ihren gesamten Körper rauf und runter bewegen und sich darüber freuen, wenn du nüchtern nur einen Bruchteil dieser Performance hinlegst.

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Am letzten Wochenende hatte ich die faszinierende Möglichkeit, dem ‚Water Festival‘ in Phnom Penh zu frönen. Nachdem 2010 über 100 Menschen wegen einer Massenpanik ums Leben gekommen waren, fand das Festival für mehrere Jahre nicht statt. Dafür diesmal in umso mehr Glanz und Farbe. Das Fest steht für das Ende der Regenzeit und die Umkehrung der Fließrichtung des Tonlé Sap River. Über mindestens drei Tage hinweg gibt es Feuerwerk, viel Gewühle, Verkaufsstände und Picknickstimmung an der Riverside sowie abends mit Lichterketten geschmückte Boote auf dem Fluss. Das wohl bekannteste an diesem Fest bleiben jedoch die Bootsrennen, welche tagsüber stattfinden. Sie fassen ungefähr 80 Menschen, sind bunt angemalt und vor allem für kambodschanische Verhältnisse sehr schnell unterwegs. Nach einer kurzen Nacht kamen fasste ich die Stimmung wie folgt zusammen:

Und dann sitzt du in diesem Hostel in Phnom Penh, genießt Cappuccino und eisgekühlten Lime Juice mit Kokosnussbollerwagen, Mönchen in klapprigen Rollstühlen, ‚recht’schaffenden Trillerpfeifen und einer nie endenden Schleife von quietschenden Motos. Deine zwei Getränke kommen mit 20 min. Verspätung aus dem Café nebenan. Der Kellner fischt im hauseigenen Miniteich namens Blumentopf nach Goldfischen. Sein Kollege lächelt unentwegt. Auf der Straße singen barfüßige Kinder, sie klinken sich in die gemütliche Geschäftigkeit der Erwachsenen ein. Überall wird gekocht oder gebraten, die (Ein-) töpfe brodeln in der aufkommenden Hitze eines neuen Tages vor sich hin. Eine Katze macht ihre morgendlichen Dehnübungen. Die Straße schreckt kurz auf – Hatschi. In diesen Tagen ist die Luft nicht ganz voll von Alltag. durch die Gassen und Winkel schwebt ein Hauch von Vorbereitung. Die Händler erhoffen sich ein großes Geschäft. Die Menschen bestaunen die herausgeputzte Stadt mit neuen Lichtern und Glanz – es ist Water Festival.

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Was sonst noch passierte? Die erste Vogelspinne lief mir ganz frech über den Weg. Mein Handy ist schwimmen gegangen. Schwimmen gehen steht am Wochenende fast immer auf dem Plan. An das im Wasser sein mit Klamotten hab ich mich schnell gewöhnt. Wir spielen und planschen zusammen, es sei denn, manche Mädels sitzen am Strand im Schatten, weil das Wasser zu kalt ist. Haha.

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So langsam wird es wärmer hier & ich kann mir schlecht vorstellen, wie ihr Zuhause bei Lebkuchen und Glühwein über den Adventskalenderinhalt schnackt. Statt die Gemütlichkeit unserer Adventszeit zu vermissen, freue ich mich lieber auf einen Dezember, der hier als ‚happy season‘ bekannt ist.

Bis in aller Bälde, Grüße in die Kälte.

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Julinka