Mei‘ Sihanoukville, das lob’sch mir!

Es ist Oktober. In Deutschland würde ich damit Erkältung, Klausurenstress, kalten Regen, Regale voller Lebkuchen und immer kürzere Tage assoziieren. Das Lieblingsthema der Menschen ist wie immer das Wetter. Wie grau und trüb es doch ist, der Wind pfeift einem beißend ins Gesicht und die einzige Hoffnung ist der baldige Glühweinrausch auf dem Weihnachtsmarkt oder eine heiße Badewanne.

Am anderen Ende der Welt sieht es – wie so oft – anders aus. Nur einer ersten Erkältung konnte ich nicht ausweichen. Eines Abends saßen wir also gemütlich im Schein der Neonröhren beim Abendessen, Father Eugene fühlte sich nicht wohl und schleppte schon den ganzen Tag miesen Husten und Schnupfen mit sich herum. Ich bin kein großer Fan vom Herumkränkeln, konnte diesmal jedoch nicht widerstehen. Mittlerweile geht es mir wieder gut dank Limetten, Ingwer, Heizkissen und der niedrigsten Ventilatorstufe.

Aber Halt. Stopp. Wir? Father Eugene? Wer ist das alles in meiner neuen Welt? Es wird höchste Zeit, die Community, in der ich die nächsten 10 Monate leben werde, vorzustellen. Die ‚Don Bosco School Sihanoukville‘ wird geleitet durch die Salesianer Don Boscos. Sie gehören einer katholischen Ordensgemeinschaft an, die auf den Gründer Giovanni Bosco (Don Bosco) zurückgeht. Der Orden hat sich weltweit der Kinder- und Jugendarbeit verschrieben. In Kambodscha gibt es relativ wenige Salesianer, weshalb in dieser riesigen Schule ’nur‘ drei von ihnen leben.

Die Schule besteht genau genommen aus zwei verschiedenen – es gibt die ‚Technical School‘, ihr Rektor ist Father Eugene, und die Hotel School mit Brother Roberto. Sie übernehmen viele organisatorische, repräsentative und auch ganz alltägliche Aufgaben. Natürlich sind beide, zusammen mit Brother Michael, auch für den spirituellen Bereich zuständig. Brother Michael unterrichtet dazu Englisch in der Technical School und ist der ‚Boss‘ der Jungs, die hier nicht nur zur Schule gehen, sondern auch im Internat wohnen. So viel zur salesianischen Gemeinschaft. Auf diese Herren, die in vielerlei Hinsicht eine (Einstiegs-) Hilfe oder ein Gesprächspartner sind, treffe ich oft, wenn sie über das Gelände flitzen, eine von tausend Aufgaben erledigen oder wir gemeinsam das Essen des Hotels schnabulieren.

Ja, ich bin angekommen. Sihanoukville. Der Reiseführer lobt nichts anderes als die Traumstrände und die vielleicht schönsten Sonnenuntergänge Kambodschas. Die westlichen Touristen empfehlen, die Stadt schnell hinter sich zu lassen und nur als Sprungbrett für eine Reise auf die Inseln anzusehen. Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick mag dieses Bild in vielen Punkten stimmen. Ich bin hier seit ungefähr zwei Wochen und habe das Glück, einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können. Ein ähnliches Image kenne ich aus meiner Heimat. Bitterfelds Charme ist  nicht der Innenstadt, sondern der Goitzsche geschuldet. Als Langzeittourist oder einfach Bewohner kann man dahingegen auch fetzige, kreative und stilvolle Ecken entdecken. Natürlich gibt es auch daheim viele Probleme, die gelöst werden müssen. Baufällige Häuserzeilen an den Eingangstoren der Stadt, Problemviertel oder zu viele Neonazidemos. Vor Problemen kann ein Mensch wegrennen oder sie anpacken.

In diesem Bewusstsein sprühe ich in einigen Momenten vor Ideenreichtum über, spüre gleich darauf meine Begrenztheit und merke, dass ich erst einmal beobachten sollte, nicht alles nach ‚westlichem Schema‘ verändern muss. Mein Hauptfokus bleibt darüber hinaus die Schule und nicht das nicht vorhandene Müllsystem Kambodschas, Sextourismus oder Hotelruinen. Nach dieser kurzen Gesellschaftskritik komme ich genau zu jener Schule. Wie bereits erwähnt, ist das Gelände enorm. Der Grundaufbau einer Don-Bosco-Einrichtung ist auch hier wiederzuerkennen: große Sportplätze für Basketball, Volleyball und Fußball (Ja, mit Ballsportarten muss ich mich erst noch anfreunden.), die Schulgebäude, ein Haus für die salesianische Community, eine Kapelle, die Werkstätten der Technical School, das Hotelareal, eine kleine Farm und die Jungs- und Mädelsinternate.

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Seit Sonntag sind alle Schüler aus den Ferien zurückgekommen und die Schule ist voller Leben. Sie leben hier für zwei Jahre. Am Anfang ihrer ‚Don-Bosco-Karriere‘ entscheiden sich die Schüler für einen Zweig (Department). In der Technical School gibt es z.B. Social Communication oder Secretarial Section für die Mädchen, die Jungs können Schweißen, Elektronik, so etwas wie Fahrzeugtechnik oder Mechanik erlernen. Ihre praktische Ausbildung erhalten sie in den Werkstätten. Die Hotelschule bietet Fächer wie Culinary, Front office oder Housekeeping an. Zur Hotel School gehören auch der Ice Cream Shop in der Stadt und einige guesthouses. Don Bosco ist darüber hinaus mit einem Kindergarten gesegnet und weit in Sihanoukville verstreut.

Am nächsten Montag beginne ich mit meiner neuen Hauptbeschäftigung, dem Unterrichten. Ich habe bereits den Stundenplan für die Technical School, was verrückt und spannend zugleich ist. So langsam geht also mein Faulenzer- und Travellerdasein vorbei. Ich bin natürlich gespannt, auch nervös, aber vor allem froh, endlich eine sinnvolle Aufgabe zu bekommen. Dazu bin ich verantwortlich für die Mädels im Internat, das Arend de Ru, in dem ich mit ihnen und ein paar Lehrerinnen lebe.

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Die Schule befindet sich auf der anderen Straßenseite.

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Stayin‘ with Bosco!

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Kakerlaken raus, „Gemütlichkeit“ rein. I’ll try my very best!

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Ein bisschen Desinfektionsmittel und schon kann man auch das Fenster öffnen.

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Home sweet home. Jetzt auch mit Licht und Steckdosen.

Mittlerweile habe ich einen kleinen Putzwahn entwickelt, um möglichst viele Kriechtiere fernzuhalten. Brother Robertos Geschichte über die Überlebensfähigkeiten von Kakerlaken hat mir nicht wirklich Mut gemacht im Kampf gegen ihre Existenz: wenn man ihnen den Kopf entfernt, können sie noch eine Woche lang weiterleben. Erst danach sterben die kleinen Rabauken an Hunger. Meine Angst vor exotischen Tieren konnte noch einmal derbst aufflammen, als ich beim Abendgebet in der Kapelle meine erste viel zu große Spinne gesehen habe. Leider lebendig und nicht frittiert. Seitdem habe ich nach kurzen Aussetzern beschlossen, wieder gut zu schlafen. Das liegt auch daran, dass mir das Gute Nacht Sagen in den Zimmern der Mädels immer mehr zu einem zu einem liebgewonnenen Tagespunkt wird. ‚Teachaaaa, how are you?‘ mit einem breiten Grinsen im Gesicht ist besser als jede Anti-Heimweh-Schokolade. Ich versuche jeden Tag, ein paar neue Namen zu lernen und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten habe ich Hoffnung, mir doch die meisten merken zu können. Eine große Motivation: ‚Teachaaa, thank you for remembering my name!‘

Am Montag wurde der offizielle Beginn des Schuljahres eingeläutet und wenn ich schreibe offiziell, dann meine ich das tatsächlich so. Nach dem morgendlichen Assembly mit Nationalhymne und Gebet (ich bin gar nicht gewohnt, so lange zu stehen!) ging es dann also auf in ‚the hall‘, in der sich alle Schüler versammeln sollten. Weil nur Stühle für die Hälfte der Schüler vorbereitet waren, verzögerte sich der Beginn der Veranstaltung um eine katholische Ewigkeit. Irgendwann konnten die Reden (Leute, die reden, reden, reden) beginnen. Weil ich super schlecht geschlafen hatte, konnte ich nur mit Müh‘ und Not meine Äuglein offenhalten, auch weil alles auf Khmer war. Ein Höhepunkt der Veranstaltung wurden die traditionellen Apsaratänze, die die Mädels aufführten. Ganz gewissenhaft wurde vorher geschminkt, Kostüm arrangiert und frisiert.

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Leider konnte ich nicht mehr bei der anschließenden Spielerunde dabei sein, weil mich ein paar Kopfschmerzen ausknocken wollten. Die Schüler hatten trotzdem viel Spaß bei Khmermusik (sehr, sehr gewöhnungsbedürftig), verrückten Spielideen und Kennenlernen.

 

In der Hoffnung, dass eure Heizungen funktionieren, die Wollsocken gestopft sind und Erkältungen in weiter Ferne liegen sende ich euch tropische Grüße,

Jule

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6 Kommentare

  1. Hihi, in China macht man ja auch nichts Anderes als büffeln. Ich bin hier mit ziemlicher Gelassenheit gesegnet. :*

  2. Danke für den Tipp! Ich bin schon ordentlich dabei, den Ventilator auf Trab zu halten. So langsam habe ich die Fauna ein bissel besser im Blick. 😉

  3. Liebe Lena,

    danke für deine herzlichen Worte. Ich will gar nicht von wärmenden oder so sprechen, da ich schon so genug schwitze 😉 Viel Spaß euch im bunten Herbst…und bald frohe Bewerberseminare!

  4. Andreas

    Das ist doch schön, dass es jetzt endlich losgeht!
    Was die Krabbler angeht, kann ich aus Afghanistan mit einem Tipp aufwarten: Die lieben in jedem Fall die Wärme. Ist es drinnen kälter als draußen (vor allem nachts) bleiben sie fern, falls man ihnen nicht unwiderstehliche Leckerbissen anbietet. 😉

  5. Lena F.

    Liebe Juliane,
    schön, dass es für dich endlich losgeht. Du berichtest von vielen Eindrücken, die dir in deiner neuen Heimat auf Zeit begegnen. Ich wünsche dir noch eine schöne Zeit des Einlebens und viele schöne Momente mit den Menschen vor Ort!
    Die Heizung funktioniert in meiner Wohnung und die Winterjacke habe ich auch schon aus dem Schrank geholt =)

  6. Na endlich fängt die kleine faule Zwecke auch mal an zu arbeiten! 😉
    Andere pauken schon seit Wochen Vokabeln! chrm….

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