Erst noch als Besucher zur Eröffnung der Vorschule auf dem Hügel, jetzt schon die „Anna Akka“, was so viel bedeutet wie „große Schwester Anna“.
Denn ein Besuch in der Slum-Region „C.N.“ genügte, um zu wissen, dass ich diese Kinder in mein Herz geschlossen hatte. Nachdem sie mich dann auch noch baten, wieder zu kommen, konnte ich nicht anders, als einzuwilligen. Aus einem Wiederkommen wurde eine tägliche Routine, ohne die ich mir mein Alltag nicht mehr vorstellen kann.
Um so schlimmer war es für mich die letzten zwei Wochen mit Lungenentzündung im Bett zu bleiben. Mit Glück konnte ich den Morgen des 31.Dezembers noch fit überstehen, denn da feierten meine Mit-Volontäre, zwei Besucher aus England und unser Father einschließlich mir, den Silvester-Tag mit meinen Kindern. Wir brachten Kuchen um traditionell-indisch mit dem „Cake-Cutting“ zu zelebrieren. Die Kinder waren begeistert von so vielen Besuchern auf ihrem Hügel, dem sonst nämlich niemand sonderlich Beachtung schenkt.
Ab Mittag ging es mit meiner Gesundheit leider Bergab, weshalb ich ab Nachmittag Silvester mit Fieber im Bett verbrachte.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen und der Angst, die Kinder könnten mich vergessen haben, ging ich Anfang der Woche wieder zum Projekt und war überrascht. Meine Sorgen waren vergessen als mir die Kinder mit lauten Freuden-Schreien in die Arme rannten. Sie begrüßten mich als wäre ich nie weg gewesen! Sogar die Einjährigen beanspruchten gleich wieder ihren festen Platz in meinem Schoß, während ich mit einer Hand mit den Älteren das berühmte „Carrom-Board“ spielte und mit der anderen Hand die Tränen des kleinen Durga-Prasad´s wegwischte, der dann aus voller Erschöpfung auf meinem Oberschenkel einschlief.
Genau in diesem Moment wusste ich, dass ich hier angekommen bin. Auch wenn mancher der Neugeborenen bei meinem Anblick noch zu weinen beginnt, weiß ich, dass ich hier richtig bin. Die große Schwester für diese ca. 40 Kinder zu sein, erfüllt mich in jeder Sekunde.
Ab dem Moment, in dem ich mich auf mein Fahrrad setzte um den 30 minütigen Weg zum Projekt zu starten, beginnt meine innere Batterie damit, sich neu aufzuladen. Unten am Tempel angekommen geht´s dann entlang der kleinen Wohnblöcke die vielen Stufen herrauf zum Hügel. Unterwegs betrachten mich die Anwohner ganz neugierig und mit einem schüchternen Lächeln.
Die ältere Dame, die mir jeden Morgen aufs Neue ein paar tolle Telugu-Worte zuwirft, die ich bis heute nicht verstehe, stieß mich heute in ihre Wohnung, wo ich feststellte, dass sie diesen einzigen und winzigen Raum (wie fast überall üblich in Indien) noch mit ihrer 80-jährigen Mutter teilte. Sie platzierte mich ohne wenn und aber auf dem einzigen Stuhl im Raum und begann mir den üblichen Chai (indischer Schwarztee mit Gewürzen und Milch) zu kochen.
Um ihr eine Ehre zu erweisen und da ich gelernt habe, dass das in Indien mit einem Gebet am Besten funktioniert, nahm ich die Hände von ihr und ihrer Mutter und betete ihnen das Vater-Unser. Voller Freude und Betroffenheit ergriff sie wieder meinen Arm und führte mich eine Tür weiter zu ihrer Tochter. Dort betete ich erneut und bevor ich noch in meinen zweiten Schuh reinschlüpfen konnte fand ich mich schon im nächsten Wohnzimmer einer weiteren Nachbarin zum beten wieder. Als ich ihr jetzt erklärte, dass ich wirklich weiter zu den Kindern müsse, erklärte sie mir noch kurz das sie Hindu sei und lies mich mit einem entzückten Lächeln weiter ziehen.
Da wurde mir wieder bewusst, dass es den Indern völlig egal ist, welche Religion man besitzt oder aus welchem Land man kommt, sie heißen dich trotzdem als ein Teil der Familie Willkommen.
Oben angekommen bemerkte ich, dass auch die Eltern der Kinder langsam aber sicher damit begannen, mich zu akzeptieren. Aus Anfang´s unsicheren Blicken wurden jetzt Gesichtszüge, die mich Willkommen heißen. Ganz erstaunt war ich, als die Kinder mir und meiner Mit-Volontärin Linda, die ein paar Tage zu Besuch dabei war, ihr zuhause zeigen wollten. Ich wusste ja, dass sie in Hütten leben, doch das sich hinter dem Hügel noch etlich weitere Zelte befanden welche Etagen-weise in den Berg eingebaut waren, davon hatte ich keine Ahnung. Es war erstaunlich anzusehen, wie selbst die Kleinsten viel schneller und geschickter die Wege voller Geröll auf und absteigen konnten, als man Selbst.
Auch die Eltern der Kinder hatten kein Problem mit dem Besuch und begrüßten uns mit einem Lächeln.
Eins wird auf jeden Fall sicher sein, nämlich das dieser Hügel der wunderschönste Hügel sein wird, den ich jemals in meinem Leben erklimmt habe und das ganz ohne Ausnahme.
#DieKleinenRackerUndIch #PampersWechselnLerneIchHierNicht #DieTragenNämlichKeine
Anke
Liebe Anna,
Es ist immer wieder eine Freude dich durch diesen Blog ein wenig auf deinen Abenteuern begleiten zu können. Und wie talentiert und reflektiert du deine Erfahrungen mit uns teilst, ist großartig. 💕
Mehic, Dagmar
Hallo meine Große! Es ist Dir wieder gelungen mich und viele meiner wie Deiner Freunde zum Staunen zu bringen! Es ist so schön Deine Berichte zu lesen und in Deinen Worten Dein großes Herz zu spüren! Du schilderst uns ein Indien welches die meisten Menschen niemals sehen und begreifen werden! Es ist für viele von uns nicht klar gewesen wie man es schaffen kann in dieser Armut, dem Schmutz und oftmals doch sehr chaotischen Zuständen überall etwas Schönes und den Zauber dieses riesigen und doch sehr armen Landes zu sehen! Bitte hör nicht auf zu schreiben und wir freuen uns schon jetzt auf den nächsten Bericht! 🍀👍🍀
Hauswirth Wolfgang
Namaste 🙏 Anna,
da ist jemand nicht nur mit Haut und Haar in Indien angekommen sondern auch mit dem ganzen Herzen.
Der Zugang zu den Großen findet zu 99%
über die Kleinen statt. Ein toller Bericht der das große Herz der Menschen in Indien wieder spiegelt.
Alles Gute Anna Akka