Sophisita en Bolivia

Ein Jahr lang im Land der Superlative

Bolivianische Lebenskunst

Buenaaas!

Seit meinem letzten Blog ist ja schon wieder ein bisschen Zeit vergangen, deshalb versuche ich es hier mal mit einem Update, bis sich mein Blog dem eigentlichen Thema widmet: mittlerweile haben wir wieder in unsere Alltagsroutine zurückgefunden, aber anstatt vormittags ins Gym zu gehen, gehe ich drei Mal die Woche ins Schwimmtraining – wenn ich mir nicht gerade bei der Rollwende den halben Nagel ausreiße, weil ich mich anstatt nach oben nach unten abdrücke (ich übe noch hahah), genieße ich es wirklich sehr, wieder so regelmäßig schwimmen gehen zu können. Auch im Hogar ist eigentlich so gut wie alles beim Alten, mit den größeren Jungs machen wir ganz fleißig mehrere Stunden am Tag Hausaufgaben und mit jedem Tag, den ich mehr im Hogar verbringe, wächst die Bindung zu den Jungs und damit nimmt auch die Freude an der Arbeit immer noch mehr Anstieg. Je länger man in diesem Heim arbeitet, desto mehr Arbeit hat man irgendwie, weil von allen Seiten jemand kommt, der was von einem will. So ist es mittlerweile wirklich nur noch selten der Fall, dass ich mich mal ganz ruhig hinsetzen und mit den Jungs Musik hören könnte, was ich ja in der Anfangszeit relativ viel gemacht habe. Auch in Bolivien haben wir mittlerweile von den meisten alltäglichen Dingen einen Plan, die hier so abgehen. Und darüber soll es in diesem Blog auch gehen – um kulturelle Unterschiede in der Lebensart, die ich die „Bolivianische Lebenskunst“ nenne. Vorweg nehmen möchte ich allerdings, dass ich in keinster Weise sagen kann, „wie Bolivien ist“ und das hier alles nur ein Bruchteil meiner subjektiven Wahrnehmung der bolivianischen Kultur ist, von der ich auch nur sehr sehr wenig kennengelernt oder gar verstanden habe.

Verkehr

Der Verkehr in Bolivien ist laut und chaotisch, und das ständige Hupkonzert ist Musikbegleitung Nummer eins. Auf den Straßen unterwegs sind ganz ganz viele Moto-Fahrer, die sich in alle möglichen kleinen Lücken dazwischendrängeln – sie sind aber nicht die Einzigen, die sich fröhlich die Vorfahrt nehmen (Unfälle habe ich hier aber fairerweise noch nie gesehen – sind ganz gut in dem, was sie tun, die Bolivianer). Daneben gibt es noch unglaublich viele Taxifahrer – weil viele Bolivianer kein eigenes Auto haben. Taxifahren ist hier übrigens unglaublich billig, so haben wir zum Beispiel mal für einen Weg von 14km umgerechnet knapp 2 Euro gezahlt. Mittlerweile verstehen wir auch, wie diese billigen Preise möglich sind – denn die Taxis werden meist nicht von Benzin oder Diesel betrieben, sondern von Gas.

Als öffentliche Verkehrsmittel stehen Trufis oder Micros zur Verfügung. Der Micro ist am Besten vergleichbar mit den normalen Bussen in Deutschland – ganz so normal allerdings auch nicht, denn feste Haltestellen gibt es (innerhalb der befahrenen Linie) nicht. Zum Einsteigen hebt man vom Straßenrand aus einfach die Hand, zahlt beim Einsteigen zwei Bolivianos (weniger als 20ct pro Fahrt), und wenn man wieder aussteigen möchte, ruft man dem Microfahrer „pare por favor“ (bitte anhalten) zu. Das einzig Stressige ist, dass die Microfahrer wahnsinnig schnell beschleunigen und genauso abrupt auch wieder abbremsen, man hält sich also besser fest. Achso, und wenn es keinen Sitzplatz mehr gibt, haben Max und ich das Nachsehen, so wird dann oft die gebückte Haltung gerockt, weil aufrecht Stehen bei unserer Größe nicht mehr drin ist.

Um das System der Trufis zu verstehen, muss man wissen, dass die Stadt Santa Cruz rund um das Stadtzentrum in Ringe eingeteilt ist. So ist das Zentrum vom 1. Ring umgeben, dieser dann vom 2. Ring usw.. Die Trufis sind wie Sammeltaxis, die allerdings fröhlich ihre Runden um den jeweiligen Ring drehen und pro Fahrt zahlt man wie beim Micro zwei Bolivianos.

Essen

Das bolivianische Essen würde ich als deftig und stopfend bezeichnen – Reis ist Hauptbeilage Nummer eins, aber oft werden auch noch fröhlich weitere Kohlehydratquellen dazu kombiniert. Es gibt eigentlich immer ein Stückchen Fleisch (zu 90% Pollo – also Hühnchen) mit Reis und zwei homöopathischen Salatblättern dazu. Meine Lieblingsgerichte hier würde ich das Majadito oder das Keperí bezeichnen – das Majadito besteht aus geröstetem Reis mit Trockenfleisch, Spiegelei und Kochbanane, das Keperí ist meines Wissens nach im Ofen zubereitetes, ganz weiches Rindfleisch, das auch von mit Käse vermischtem Reis begleitet wird und dazu gibt es oft noch gekochte/frittierte Yuca (ist das gleiche wie Maniok) oder das Chuño, dehydrierte/gefriergetrocknete Kartoffeln, die irgendwie eine komische Konsistenz sowie einen bitteren Geschmack haben – nicht so ganz mein Fall, wenn ihr mich fragt. Auch Lamafleisch habe ich hier übrigens schon mehrmals probiert, sehr sehr lecker!

Meiner Meinung nach müsste das Nationalgericht auch das Pollo a la Brasa/Broaster sein – spätestens alle 100m gibt es einen neuen Laden, in dem frittiertes Hähnchen mit Reis, Pommes und frittierter Kochbanane dazu verkauft werden – und das zu dem Preis von 13 Bolivianos, also einem guten Euro.

Dass man verhungern könnte, darüber braucht man sich in Bolivien wirklich überhaupt keine Sorgen machen, überall sind kleine Straßenstände zu finden, an denen man Snacks wie Salteña, Empanada, Cuñapé oder auch gegrillte Spieße kaufen kann. Die „Salteña“ ist dabei eine unglaublich leckere, saftige, gebackene Teigtasche, deren Teig leicht süßlich schmeckt und die typischerweise mit einer Soße aus Hähnchen und Kartoffeln gefüllt ist. Die bolivianischen Empanadas sind meistens frittiert und mit Käse gefüllt, aber auch hier gibt es andere Variationen (gebacken oder anders gefüllt). Das „Cuñapé“ ist ein gebackenes Brötchen, das allerdings aus Yucamehl (quasi Tapiokastärke) und einem speziellen Käse aus Santa Cruz (am Besten vergleichbar mit Hirtenkäse, wenn auch nicht ganz so salzig) besteht. Die gegrillten Spieße hab ich mich tatsächlich auch schon getraut, zu probieren – in meinem Fall hab ich mich für etwas ganz neues, und zwar die „Corazoncitos“ (gegrillte Hühnerherzchen), entschieden – hat mich am Anfang schon leichte Überwindung gekostet, war aber echt lecker. Leider nicht so oft hier in Santa Cruz vorzufinden sind die „Papas Rellenas“, die gibt es eher in La Paz oder Sucre – hierbei handelt es sich um frittierte Bällchen aus Kartoffelpüree, die je nach Auswahl mit Ei, Käse oder Hackfleisch gefüllt werden. Und all diese Snacks gibt es für umgerechnet unter einem Euro, alles bis auf die Salteña sogar für unter fünfzig Cent.

Mercados

Meine Lieblingsorte hier sind die Mercados – etwas, das man am ehesten mit dem Kemptener Wochenmarkt vergleichen könnte, nur, dass die Mercados jeden Tag von früh bis spät geöffnet haben und man dort gefühlt alles finden kann. Supermärkte gibt es auch, aber dort kauft eher die reichere Gesellschaftsschicht ein. In unserem Fall haben wir total Glück mit unserem Wohnort, denn der Mercado ist direkt neben unserem Haus und wir kaufen dort eigentlich alles ein. Meine feste Obst- und Gemüseverkäuferin habe ich dort schon, genauso wie denselben Stand von dem ich immer Eier und Joghurt kaufe. Mit den Verkäuferinnen unterhält man sich auch ab und zu über Gott und die Welt – ein Bild von meiner Familie haben sie auch schon gesehen. Und teuer sind vor allem Obst und Gemüse wirklich nicht – ein Kilo Guaven findet man für 5 Bolivianos, drei Papayas kaufe ich für 10 Bolivianos, mit einer „Docena“ (zwölf) Bananen für 3 Bolivianos gar nicht erst anzufangen. Für ein Kilo Karotten zahlt man 5 Bolivianos – „teuer“ sind meiner Ansicht nach der Brokkoli, den man für 15 Bolivianos kriegt, oder auch die Tomaten, für die ich im September noch 5 Bolivianos pro Kilo gezahlt habe, die durch die enormst schlimme Inflation mittlerweile bei 15 Bolivianos pro Kilo gelandet sind. Achso, zum Verständnis: bei dem inoffiziellen Wechselkurs (also dem, den wir mit Bargeld haben) kriegen wir für einen Euro mittlerweile 12 Bolivianos. Die Lebensmittel hier sind also wirklich nicht teuer und ich genieße jeden Morgen meinen Joghurt mit Papaya, auch Guaven finden neben anderem tropischen Obst öfter ihren Weg in meinen Kühlschrank. Die Mangozeit ist leider schon rum, da haben wir für eine Mango zwei Bolivianos bezahlt oder sie auch gratis bekommen, wenn Max uns Mangos aus dem Techo (in seinem Projekt haben die dort nämlich mehrere Mangobäume) mitgebracht hat – naja, dafür hat jetzt hier die Avocadozeit begonnen, auch das genießen wir unglaublich!

In den Mercados gibt es allerdings nicht nur Lebensmittel aller Art, sondern man findet dort auch Putzmittel, Pfannen, Schreibwaren, eine Apotheke, Schneiderinnen, Hygieneartikel, Friseure, Maniküre, Kosmetiker, Klamotten, Schmuck, elektronische Produkte und vieles vieles mehr, bis hin zu Computern, an denen man sich für ein paar Bolivianos eine gewisse Zeit lang ins Internet flüchten kann. Im zweiten Stock der Mercados findet man typischerweise einige Gärküchen, an denen man sehr billig, aber sehr lecker essen kann und die sich vor allem um die Mittagszeit gut von den Einheimischen füllen.

Das war es auch schon mit allen möglichen Sachen, die mir zu Unterschieden eingefallen sind – zu den Menschen hier kann ich nur sagen, dass die Bolivianer, sobald sie einmal Vertrauen zu einem gefasst haben – und das machen sie schnell, wirklich unglaublich nett und gastfreundlich sind und einem immer mit Rat und Tat zur Seite stehen. Was ich hier auch so faszinierend an den Menschen finde, ist ihr Improvisationstalent – „was nicht passt, wird passend gemacht“ habe ich da immer als ihr verstecktes Lebensmotto im Kopf. Alles wird irgendwie umfunktioniert, repariert und zweckentfremdet – so wird hier alles möglich gemacht. Auch diese entspannte Art des Lebens finde ich so cool und dass hier vieles im Gegensatz zu Deutschland einfach nicht so genau genommen wird. Hat natürlich auch seine Nachteile, aber für ein Jahr finde ich es mal ganz erfrischend, dem deutschen Ordnungs- und Bürokratiezwang entkommen zu können.

Ich hoffe, es geht euch allen gut – genießt den Frühling und dass die Temperaturen jetzt wieder raufgehen, bei uns ist gerade leider das Gegenteilige der Fall und dadurch, dass wir mittlerweile an die Hitze gewöhnt sind und der Winter hier einem durch die hohe Luftfeuchtigkeit irgendwie noch kälter vorkommt, frieren wir teilweise ganz ordentlich – und das bei 20 Grad Temperatur hahah.

Hasta luego!!

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  1. Angela Brändle

    Danke Sophie ,
    wie immer interessant und informativ
    Grüße aus dem „bürokratiegeplagten“
    Deutschland 😃

    • Sophie Bonelli

      Liebe Angela,
      vielen Dank für Deinen Kommentar!
      Liebe Grüße zurück☺️

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