Ready for Togo

über meinen Auslandsfreiwilligendienst in Kara

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„Ja, morgen komme ich wieder…“

 

Hallo nach Deutschland, Hallo in die ganze Welt, da wo ihr auch immer gerade seid!

Zu Anfang möchte ich kurz erwähnen, dass ich jedes Mal aufs Neue irritiert bin, wenn Ihr mir Bilder aus Deutschland zukommen lasst und plötzlich mit Jeansjacke und langer Hose dasteht. Hier in Togo ist das anders: so langsam können Jeremias und ich unsere Regenjacken, für die wir immer wieder aufs Neue ausgelacht werden, gut im Schrank verstauen und uns auf eine lange Trockenphase mit Hitze einstellen.
Achtzehn Jahre lang war es für mich Normalität, dass wenn ein neues Schuljahr beginnt, so langsam an Winterjacke und Stiefel gedacht werden muss. Hier schaue ich mir gerade auf dem großen Markt die Stände an, an denen Sandalen und Flipflops verkauft werden, um mir eventuell mal eine Alternative zu meinen jetzt schon ausgelaufenen Birkenstocks zu kaufen.
So viel zu meiner Einleitung: falls ihr bald morgens im Bett liegt, nicht aufstehen wollt, weil ihr friert, dann denkt an Sophie, die um sieben Uhr morgens, bei 28 Grad, schwitzend mit den Mädchen zur Schule läuft.

 


Eine Frage an Euch: wer von euch war dieses Jahr schon alles auf dem Feld und hat die Nahrungsmittel für das nächste Jahr geerntet? – Du nicht? Das hätte ich mir denken können!

Teil 1

1. Um fünf Uhr morgens geht es los. 10 Mädels und ich machen uns auf den dreißig minütigen Fußweg zum Centre Don Bosco, von wo aus wir starten. Auf dem Weg treffen wir circa doppelt so viele Jungs und Jeremias, die das gleiche Ziel haben.
2. Um 5:30 steigen wir dann auf die Ladefläche des Lasters und machen uns auf in Richtung Feld.


3. Und dann geht es auch schon los. In der linken Hand trage ich einen großen Sack, rechts mein Taschenmesser. Ein kleiner Schlitz am oberen Ende der Lieschblätter, vereinfacht mir das Öffnen und das gewaltvolle Herausziehen des Maiskolbens, den ich anschließend in meine Tüte schmeiße. Jetzt wird die circa zwei Meter hohe Pflanze mit dem Fuß einmal zur Seite getreten und ab zum Nächsten.

kleine Fotopause (v.l.n.r: Yona*, Jeremias, Ich und Roberta)

4. Reihe für Reihe arbeiten wir zusammen mit vielen Kindern der Foyers, während Frere Samuel selbstgemachten Fruchtsaft und frittierte Hariko (Bohnenbällchen) verteilt. Jeder legt sich seine Pause selbst fest um aus der immer stärker werdenden Hitze herauszukommen.


5. Auf einem großen Haufen wird der geerntete Mais gesammelt und am Ende des Tages, mit Hilfe des Lasters, nach Hause transportiert.

auch zum Ausruhen gut geeignet

6. Die Geschichte ist aber noch lange nicht fertig: jetzt kommt jedermanns Langeweile ins Spiel. Wer nichts zu tun hat, schnappt sich einen Eimer, befüllt ihn bis oben hin mit Maiskolben und befreit ihn von seinen Körnern. Wer aufmerksam meinen vorherigen Blog gelesen hat, wird feststellen, dass mir, während die Mädchen in der Schule sind, viel Zeit blieb meine Daumen wund zu scheuern.
7. Nach einer Woche fleißigem Abtrennen der Maiskörner, geht es ab zur Mühle. Gerne auch vor der Schule. Ein großer Eimer wird auf dem Kopf platziert und dort hingebracht, wo unsere endgültige Zutat entsteht. Das Maismehl!

Sima* und Marie* auf dem Weg zur Mühle und zur Schule

Teil 2

In Teil zwei wird es jetzt für alle Hobbyköche interessant, vielleicht aber auch absolut langweilig und eintönig. Die Zubereitung ist nicht schwer, aber sehr anstrengend.

8. Nachdem das Feuer brennt, wird ein großer Topf mit Wasser zum Kochen gebracht.
9. Anschließend wird nach und nach Maismehl dazugegeben und mit einem langen Holzlöffel kräftig gerührt. Die feste Masse und die schnellen Umdrehungen rauben einem dabei die Kräfte.


10. Die natürlich niemals fehlende Soße wird gleichzeitig zubereitet, soll aber in diesem Beitrag nicht im Vordergrund stehen.

Und da ist er fertig, der Maisbrei, auf Französisch „la Pate“, auf Kabiye „Mutto“ oder anders formuliert: die Mahlzeit, die es mindestens einmal am Tag gibt! Gegen Ende meines Jahres werde ich euch berichten, an welchem Zeitpunkt er mir zu den Ohren herausgekommen ist.

Danke für eure Hilfe, Mädels!
(unten: Josephin*, oben: Maria*)


„Ja, ich komme morgen wieder…“

…sagte er und verschwand in der Dunkelheit.

Um immer auf dem neusten Stand zu sein, was in den Foyers so abgeht, gibt es jeden Donnerstag eine „Reunion“ mit allen BetreuerInnen. Dabei ist Pere Joel, unser Verantwortlicher, die fünf Erzieher aus dem Foyer Immacule, Maman und Roberta aus meinem Heim und immer mal wieder ein Student, der in Jeremias Foyer ein bisschen aushilft. Hauptsächlich geht es um die Kinder. Wer wohnt momentan alles in einer Don Bosco Einrichtung hier in Kara? Gibt es Veränderungen im Verhalten? Gibt es Möglichkeiten, Kontakt mit der Familie aufzunehmen? Ist jemand Neues dazugekommen, und was ist seine/ihre Geschichte? Hat jemand das Heim verlassen? Warum? Wie geht es für die-/denjenigen weiter? – All diese Fragen werden geklärt, jede/r berichtet von seinen eigenen Wahrnehmungen und es ist immer wieder sehr spannend; ich höre gerne zu.

Ich möchte von Jeremias und meiner ersten Reunion erzählen und einem ganz besonderen Erlebnis:

Ein Erzieher meldet sich und berichtet über ein paar Jungs, die noch nicht lange im Foyer wohnen. Wir hören gespannt zu, denn genau mit diesen fünf Jungs haben wir, während alle anderen in der Schule waren, viel Zeit verbracht.

„Neyem* kam gestern Abend nicht wieder ins Foyer.“

– Ich warf Jeremias einen etwas unsicheren Blick zu, denn ich war mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden hatte. Doch ich hatte alles richtig verstanden, Neyem* war tatsächlich abgehauen. Wir beide waren ein wenig geschockt. Er hatte sich so sehr darauf gefreut mit den anderen Jungs in die Schule zu gehen.

Mit Ende der Reunion beginnt jeden Donnerstag unser freier Tag. Mit Samuel, einem Erzieher, machten wir uns zu dritt auf dem Motorrad auf den Weg zu einem weiteren Don Bosco eigenen Maisfeld, aßen eine togoische Köstlichkeit, das „Foufou“ und besuchten zum ersten Mal den neuen Markt, auf dem sich Jeremias ohne lang zu überlegen seinen ersten Stoff kaufte und sich daraus einen Anzug schneidern ließ. Samuel zeigte uns ebenfalls die „Baraque“, die früher ein Treffpunkt für Straßenkinder war. Unsere VorgängerInnen Kathi und Gregor haben hier noch aktiv mit Kindern gearbeitet, gespielt und in manchen Fällen auch Kinder in eines der Heime aufgenommen. Leider musste die „Baraque“ auf dem neuen Markt geschlossen werden; momentan sitzen wir aber an einem Plan für eine neue Sammelstelle auf dem „alten Markt“.

Nachdem uns die Sonne von oben bis unten durchgebruzzelt hatte, beendeten wir die Tour, ruhten uns ein wenig aus und machten uns fertig für den Abend, den wir ausnahmsweise nicht mit unseren Kindern verbrachten.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir beide Sehnsucht nach Deutschland hatten oder die togoischen Spezialitäten nicht mehr sehen konnten: schlussendlich saßen wir dann mit einem Burger, Pommes und einem Bier auf einer der Hauptstraßen und machten uns lange darüber Gedanken, dass es sogar der quadratische, gelb-orangene Schmelzkäse nach Togo geschafft hat. Zugegebenermaßen hätten wir damit nicht gerechnet.

lecker,lecker!

Sehr ausgelassen und doch mit ganz vielen Gedanken über all das, was hier passiert und was wir erleben, genossen wir diesen Abend, bis ich plötzlich auf der anderen Straßenseite einen Jungen in grünem Trikot sah, dessen Gangart mir sehr bekannt vorkam. Ich schaute Jeremias an und rief ihm nur zu: „lauf, das ist Neyem*“.

Ungefähr zehn Minuten später kehrte Jeremias in die Bar, in der wir zu diesem Moment saßen, zurück und war ein wenig außer Puste:

„Es war wirklich Neyem*. Als er mich sah, hat er sich erst einmal erschrocken, mich dann aber mit Namen angesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn vermisst habe und eigentlich heute mit ihm lernen wollte, er aber nicht da war. Ich habe ihm gesagt, dass er im Foyer immer herzlich willkommen ist und ich mich freuen würde, wenn er wiederkommt. Er hat gesagt, dass er morgen wieder kommt, heute Nacht jedoch noch auf der Straße bleiben will. Ich habe gesagt, bis morgen, pass auf dich auf Neyem*.“

Wir wussten nicht, was wir tun sollten.

Wir hatten davor noch nie mit jemandem über eine solche Situation gesprochen. Sollen wir den Jungen mitnehmen oder darauf vertrauen, dass er eigenständig zurückkommt? Ersteres war schon zu spät, trotzdem bezahlten wir schnell unsere Getränke und liefen in die Dunkelheit hinein, in die auch Neyem* gelaufen ist. An diesem Abend trafen wir ihn aber nicht mehr.

Warum haut man ab, wenn man doch in einem der Foyers so gut aufgehoben ist? Die Antwort ist nicht schwer: auf der Straße scheint für den Moment alles viel einfacher. Man muss nicht morgens aufstehen und den Hof kehren, unter die Dusche springen und zur Schule gehen. Man muss sich an keine Essenszeiten halten, davor und danach auch noch beten. Man muss nicht zwei Stunden ruhig am Tisch sitzen und Schulaufgaben erledigen. Man muss nicht mit fünf anderen in einem Zimmer schlafen und schon gar nicht um neun Uhr. Nein, es ist alles ganz anders: man ist in Freiheit. Niemand sagt einem, was man zu tun und zu lassen hat. Klingt doch viel besser oder?

Es sind zwei Wochen vergangen und Neyem* ist nicht wiedergekommen.

Vielleicht müssen einige von Euch einmal durchatmen? Was erzählt Sophie da?
Ja, es ist unvorstellbar. Auch für mich ist es nicht immer einfach. Auf einmal ist man so nah an einer solchen Situation dran. Auf einmal kennt man diesen kleinen Jungen, der ohne alles über die Straße schlendert. Auf einmal wird mir klar, dass die Straße sein Zuhause ist und es keine Familie gibt, die an diesem Donnerstagabend auf ihn wartet. Doch Neyem*, wir warten auf dich!

Mit dieser Geschichte möchte ich meinen Beitrag abschließen, Euch ein bisschen durchatmen lassen und mich bedanken für die vielen Rückmeldungen, die ich zu meinem Blog und meiner Zeit hier bekomme. Ich freue mich wahnsinnig über eure Unterstützung und tanke dadurch ganz viel Kraft!

Bis bald, Sophie!

*Namen geändert

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