Es ist schon viel zu lang her, dass ich mich bei euch gemeldet habe, also hier ein (langes) Update von mir! Wer meinen letzten Blog gelesen hat, weiß, dass ich damit angefangen habe, alle „letzten Male“ aufzuzählen. Tja, ich dachte jetzt starte ich mal mit allen „ersten Malen“: Erstes Mal Zem fahren, dem Sonnenuntergang entgegen. Erstes Mal Fufu essen. Erstes Mal eine Kakerlake im Bad töten (mit lautem schrei). Erstes Mal in Cotonou. Erstes Mal die Sterne sehen. Erstes Mal Kekse backen.
Ich will hier nichts romantisieren: Klar waren die ersten Wochen total aufregen und alles war neu. Allerdings musste der Einsatzstellenleiter in den Urlaub und war zwei Wochen weg, also hatten wir niemanden mehr, der uns in unsere Arbeit einführen konnte. Es fühlte sich so an, als hätte jemand auf „Pause“ gedrückt, die Handbremse angezogen, weil wir keine Arbeit hatten. Wir konnten uns keinen richtigen Alltag aufbauen und so richtig wussten wir auch nicht, was genau unser Projekt hier beinhaltet. Marlene und ich waren komplett lost. Unsere Tage bestanden daraus, lang zu schlafen, zu frühstücken, dann Mittagessen und Siesta. Wir sind ab und zu spazieren gegangen, um uns neue Snacks zu kaufen und die Umgebung zu erkunden. Aber viel haben wir auch noch nicht gesehen. Abends haben wir uns auf das Abendessen gefreut, nur um das ganze am nächsten Tag zu wiederholen. Die Zeit haben wir versucht, tot zu schlagen, indem wir viel telefoniert haben mit zu Hause, ich hab Yoga gemacht und viel geschlafen. Ich bin auch immer noch dabei, die Tage in meinem Kalender zu streichen und ich frage mich, wann das endlich mal aufhört. Ich bin mir sicher, dass es bald viel besser wird und ich dann auf die ersten Wochen stolz zurückblicken kann, dass ich die schwere Zeit gemeistert habe. Aber bis dahin ist es wirklich anstrengend, nicht so frustriert zu sein, wenn mal was nicht so klappt, wie wir uns das vorgestellt haben. Dadurch sind wir jetzt echte Profis was geduldig sein angeht:)
Letzte Woche hatten Marlene und ich einen Video Call mit Gesine, unserer Teamerin. Das Gespräch tat sehr gut, denn sie hat und erzählt, dass es bei ihr ähnlich war am Anfang und dass wir uns keinen Stress machen sollen. Denn wir haben ja noch ein ganzes Jahr vor uns, in dem wir hier sind und alles entdecken können. Sie hat uns sehr geholfen, die ganze Situation in einem positiven Licht zu betrachten:)
Jetzt stelle ich euch mal kurz die Menschen vor, mit denen wir hier am meisten zu tun haben: die Salesianer Don Bosco. Kurze Info vorab: „Père“ heißt übrigens „Vater“ und „Frère“ heißt „Bruder“. Der größte Unterschied ist, dass die Pères eine Messe abhalten dürfen und die Frères nicht.
Père Jacques ist, wie ich bereits in meinem letzten Blog geschrieben habe, der Leiter dieser Einsatzstelle. Dadurch, dass er uns in den ersten Wochen hier so allein gelassen hat, sind wir noch nicht so warm mit ihm geworden. Wir hoffen, das regelt sich noch… Außerdem ist er neu in dieser Einsatzstelle, was das alles noch mehr erschwert. Frère Julien spricht so schnell und lacht einfach aus dem nichts, dass ich mitlachen muss, selbst wenn ich gar nicht verstanden habe, was er sagte. In der ersten Woche kamen Marlene und ich leider gar nicht klar mit ihm: Als wir abends mit den Kindern zusammen saßen, kam er und meinte, dass sie morgen weder Frühstücken werden noch Abendessen bekommen. Und das alles nur, weil sie angeblich zu laut waren. Das in der ersten Woche mitzuerleben, war sehr schwierig. Marlene und ich wussten nicht wirklich, wie wir damit umgehen sollten. So langsam werden wir jedoch warm mit Julien, weil er uns jetzt hilft, einen Alltag aufzubauen. Père Adolphe ist sehr herzlich, er erklärt uns viel und spricht extra etwas langsamer für uns. Père Arnaud, lacht laut über die Witze der anderen, aber noch viel lauter über seine Eigenen. Letztens beim Abendessen hat er mich gefragt, ob ich weiß, wie Chinesen Lachen. Ich war verwirrt, und er hat angefangen, diese Lache nachzumachen. Marlene und ich haben einen solchen Lachkrampf bekommen, dass wir am Ende Bauchschmerzen hatten. Neulich ist Frère Ali noch hinzugekommen. Er ist deutlich älter als alle anderen, locker so 70 Jahre alt und erinnert mich an eine Schildkröte. Er isst ziemlich lustig und redet auch total schnell.


Hier sind ein paar Infos zum Gelände, auf dem ich wohne (und arbeiten sollte):
Es gibt eine Schule für Jungs und Mädchen („PCA“), in der es 2 Klassen gibt. Sie sind auf dem Niveau einer Grundschule und die Klassen sind sehr durchmischt. Die Werkstätten auf dem Gelände sind sehr vielfältig: es gibt eine Schneiderei, eine Motorollerwerkstatt und eine Holzwerkstatt, aus der den ganzen Tag über Sägegeräusche über den Campus hallen. Aus der Kirche hört man die ganze Zeit den Chor, der fleißig probt und es gibt ein Internat für die Jungen, die in die Schule gehen (die Mädchen übernachten zu Hause). Die Jungs leben hier, weil sie hauptsächlich Straßenkinder sind oder ihre Familien sie nicht mehr miternähren können. Die Azubis, die in den Werkstätten lernen, schlafen in einem andern Gebäude. Ein „Guardien“ bewacht das Eingangstor, es gibt ein Krankenzimmer, Büros für die Pères, die Sekretärin und die Schulpsychologin; die Köchin kocht täglich für uns außer sonntags, weil sie da frei hat. Für die Jungs gibt es eine extra Köchin, die gemeinsam mit ihnen kocht. In die Wäscherei geben wir hauptsächlich unsere Handtücher und Bettwäsche, den Rest waschen wir auf unserer Dachterasse per Hand.
Sonntags gehen wir meistens in die Messe um 9 Uhr. Ich würde sagen, dass sie hier inhaltlich dem Gottesdienst, den ich aus der katholischen Kirche von zu Hause kenne, sehr ähnlich ist. So wie in Deutschland wird der Gottesdienst hier mit einem Chor begleitet, aber hier singt er deutlich öfter und die Besucher der Messe singen und klatschen oft mit. Marlene und ich geben da immer unser bestes:)
Das Essen hier ist wirklich lecker. Oft gibt es Reis oder Nudeln, Fisch und Fleisch, Salat und viele Saucen. Mein Highlight ist eine super ölige, etwas scharfe Sauce, die mit Reis gegessen wird und Chawarma ist auch ziemlich lecker:)

Bei einem Abendessen in der ersten Woche meinte Marlene zu mir: „Matilde, probier mal, das ist die beste Ananas die ich je gegessen hab“. Und sie hatte recht. So eine saftige, süße Ananas habe ich auch noch nie gegessen. Ananas, Papaya, Melone, Orange, Banane, zu unserer Überraschung auch Apfel, Birne und Manderine gibt es oft nach dem Abendessen. Und ich kann mich wirklich nicht entscheiden, was hier am leckersten schmeckt:)

Insgesamt ist der Verkehr wirklich gewöhnungsbedürftig. Es gibt zwar Regeln, Spuren und Verkehrsschilder. Aber ich hab das Gefühl, dass sich keiner daran hält. Die Verkehrsteilnehmer kommunizieren viel durch hupen, so kündigen sie ihren Spurwechsel zum Beispiel an. Kreisverkehre hier werfen immer noch ziemlich viele Fragen bei mir auf. Was ich jetzt auch schon oft gesehen habe, ist, dass viele rechts blinken und links abbiegen. Das verwirrt immer noch sehr. Und was das transportieren von irgendwelchen Sachen angeht: die Beniner sind geübt. Ob 4 Leute auf einem Moto sitzen, oder noch besser einfach ein ganzer Familieneinkauf/ lange Drahtseile/Stühle/Fehrnseher, hier ist alles möglich. Auch auf dem Kopf gibt es da keine Grenzen: riesige Regentonnen, Schalen mit super vielen Flaschen voller Erdnüssen, Kleiderbügel, an denen dann noch Hosen, Hemden und T-Shirts hängen oder ein ganzes Sortiment an frischen Früchten. Das ist immer wieder bewundernswert!

Die „Zems“, wie die Menschen hier Mototaxis bezeichnen, sind wirklich cool! Man kann entweder nur mit dem Fahrer fahren oder zu zweit, auch wenn das offiziell verboten ist. Anfangs war ich wirklich unsicher, ich musste mich bei jeder Kurve zusammenreißen um nicht gleich loszuschreien. Aber mittlerweile hab ich mich dran gewöhnt, die beste Methode ist, dem Zemfahrer zu vertrauen wenn er über die Hügel und durch die Schlangen der wartenden Autos fährt. Mit dem Wind im Haar und einem Lächeln im Gesicht lässt sichs leben! Und das beste ist, dass die Zems total günstig sind (700 cfa für ein 30min ist gerade mal ein Euro)

In den ersten Wochen haben wir Erkundungstouren mit Marius, Frank und Gerad gemacht. Die drei leben auf unserem Campus. Marius ist 19 und geht nicht auf die Schule des Campus, sondern besucht die öffentliche Schule der Stadt, weil er die andere bereits abgeschlossen hat. Seine Schule hat er uns gezeigt und sie ist überraschend groß. Es gibt viele einzelne Gebäude und einen großen Sportplatz. Gerad und Frank sind 18 und sie stellten uns schon einige ihrer Freunde vor. Unerwarteter Weise waren das 2 Frauen, welche sie „Adoptivmütter“ nannten und ein Englisch- und Spanischlehrer, den wir mitsamt seiner 6 Kinder kennenlernten. Die Gastfreundschaft hier ist wirklich was anderes als in Europa. Alle sind total herzlich und man hat das Gefühl, dass es niemandem etwas ausmacht, dass wir Fremde der Kultur sind.
Als ich mit einem Freund aus Deutschland telefoniert habe, hieß es plötzlich: „Dein Datenlimit wurde erreicht.“ – omg, ich hab kein Internet mehr! Also wurde das Telefonat abrupt beendet, und ich konnte nicht mal bescheid sagen, dass es an meinem Internet liegt. So ganz ohne Internet war ich irgendwie erschreckend lang nicht mehr, also klar gibts jedes jahr im Sommerlager echt wenig Empfang und wir haben auch immer genug zu tun ohne Handys. Aber hier ist das ja eben mich der Fall, also war das doch mal was ganz Neues für mich. Man merkt erst mal, wie schön die Zeit offline auch sein kann, wenn man nicht mehr online sein kann:) Unseren Internetvertrag haben wir zum Glück verlängern können, auch wenn wir dafür extra nach Cotonou fahren mussten und Père Arnoud sein bestes gegeben hat, uns zu helfen. Allerdings kann ich durch den neuen Netzanbieter meinem Ipad und Laptop keinen Hotspot mehr geben, was dazu geführt hat, dass ich diesen Blog auf meinem Handy schreiben musste. Daruch konnte ich leider nicht so viele Bilder posten, wie ich eigentlich wollte. Aber dafür habe ich ja meinen Instagram Account:)
Ein weiteres, sehr eindrucksvolles Ereignis war der Marché Danpokpa in Cotonou. Oscar, ein anderer Freiwilliger von hier, bezeichnete diesen zunächst als „Schrottplatz“. Doch sobald wir über die Brücke liefen (die bereits voller Menschen war, die uns versuchten, alles mögliche zu verkaufen), erstreckte sich vor unseren Augen ein Labyrinth aus Marktständen. Alles war voller Menschen, Kinder liefen um uns herum, Verkäufer riefen „Yovo, yovo“ und in allen Himmelsrichtungen gab es etwas neues zu sehen. Ob Früchte wie Ananas oder Papaya, Schreibwaren, Hygieneartikel, Schmuck, Spielzeugs, dort gibt es alles, was man sich wünschen kann. Es ging ewig so weiter, und ich merkte, dass ich relativ schnell reizüberflutet war. Zum Glück hatten wir Leonie und Maria an unserer Seite, denn sie kannten sich dort schon gut aus. Sie führten uns aus dem Labyrinth.


Im Anschluss findet ihr noch meine „Benin Playlist“. Die hab ich extra erstellt, damit ihr trotz der Entfernung ein bisschen in die Musik hier eintauchen könnt💞 Einige Lieder sind auch in Europa bekannt, zum Beispiel Songs von Gims, den Rest habe ich hier in Autofahren und an allen möglichen anderen Orten aufgeschnappt. Genießt es! Denn Musik wird hier nicht nur sehr sehr oft zum Tanzen genutzt. Es ist auch in super vielen Liedern ein Ausdruck, um auf die Kolonialgeschichte aufmerksam zu machen. Wenn man auf die Texte achtet, hört man, dass der Sänger gerade über den Zivilkrieg („Guerre Civil“) singt, während man zum Takt mitschwingen will. https://open.spotify.com/playlist/0iJ2FgP9BV71m1KaNxtNtw?si=kUDP3MWrRLi-1ojwAYDxWA&pi=zaefS9M4Tf6Hn
Nach diesem Langen Update schreib ich nächste Woche auf jeden fall noch mal, denn da haben wir hoffentlich dann einen geregelten Arbeitsplan.
Fühlt euch gedrückt, und schreibt gerne in die Kommentare, wenn ihr das hier lest❣️
à bientôt,
Eure Matilde <3
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