Sophisita en Bolivia

Ein Jahr lang im Land der Superlative

Wenn aus „Adiós“ ein „Hasta pronto“ wird

Buenaaaas – oder mittlerweile wohl doch eher wieder Hallo an alle!

Auch wenn ich mich echt lange dazu aufraffen musste, einen Blog zu schreiben, kann ich meinen Freiwilligendienst und die Zeit in Bolivien nicht abschließen, ohne dies getan zu haben.

Denn ich bin nun fast schon wieder zwei Monate lang in Deutschland und das Ankommen fiel mir unglaublich schwer.

Viel zu viel hatte und habe ich noch zu überdenken, zu verarbeiten und auch eine Alltagsroutine, wie ich sie in Bolivien hatte, fehlte mir lange, um mich wieder zurechtzufinden. Auch die Jungs sind stets Begleiter in meinen Gedanken und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meine Jungs, das Heim und Bolivien denke.

Der Abschied war einfach nur schwer. Wenn auf einmal Jungs zu dir kommen und sich entschuldigen, dass sie den letzten Monat nicht mehr so viel mit dir geredet haben, aus Angst, beim Abschied weinen zu müssen. Ein anderer, der dich fragt, ob du nicht das Gefühl hast, das Heim im Stich zu lassen. Wieder ein anderer, der dir sagt, dass du ja jetzt eh wieder in dein altes Leben in Deutschland zurückkehrst, begleitet von seinem Freund, der dir sagt, dass du ihn ganz schnell vergessen wirst bis hin zu Kindern, mit denen du das ganze Jahr irgendwie keine richtige Verbindung hast aufbauen können, mit denen du aber im letzten Moment Gespräche hast, die unglaublich wertvoll und tiefgründig sind. Und dann die letzten Stunden im Heim, in denen du selber gar nicht weißt, wie du mit all den Gefühlen umgehen sollst – aber eigentlich solltest du ja stark sein für die ganzen Jungs, die mit Tränen in den Augen vor dir sitzen.

Meine Mitvolontärin Anni hat im Nachhinein treffend formuliert: „Es war ein schrecklich schöner Abschied“. Ja, schrecklich wegen der Trauer, die Jungs, das Heim, Bolivien und das Kapitel Freiwilligendienst nun hinter sich zu lassen, schrecklich aufgrund der Leere, die auf einmal in einem war und schrecklich, weil auch unsere Jungs so traurig waren. Und doch war es ein wahnsinnig schöner Abschied. Denn gerade in den letzten Stunden haben wir gemerkt, dass wir wirklich das geschafft haben, woran wir das ganze Jahr gezweifelt haben: eine Hilfe, Stütze, Bezugsperson und Freundin für die Jungs zu sein – und dem ein oder anderen vielleicht auch ein Vorbild in manchen Bereichen. Und schön vor allem, weil der Erzieher es geschafft hat, mit seinen Worten etwas in uns und den Jungs zu bewegen: Er meinte nämlich, dass unser Abschied nicht als ein „Adiós“ (Tschüss) zu sehen ist, sondern viel mehr als ein „Hasta pronto“ (Bis bald). Das hat Anni und mich in dem Moment beruhigt, aber vor allem für die Jungs war diese Versicherung, dass Anni und ich fest vorhaben, in den nächsten Jahren nochmal in das Heim zurückzukehren, wichtig.

Was bleibt ist ein Kopf voll von schönen Erinnerungen – und vielleicht auch nicht so schönen Momenten, die sich aber im Endeffekt als wichtige Herausforderungen entpuppt haben, um weiter zu wachsen. Was bleibt sind unglaublich viele „Learnings“ (Erkenntnisse), die mich hoffentlich für mein ganzes Leben geprägt haben und einen Schalter in mir umlegen konnten: Dankbarkeit, Demut, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und eine Zufriedenheit mit den Dingen, die mich vom Materialismus befreit. Und auch die Fähigkeit „Nein“ zu sagen und für mich selber einzustehen. Doch am wichtigsten: wie erfüllend es ist, andere Menschen zu lieben und ihnen zu dienen! Und deshalb – was bleibt sind all die Jungs, deren Kindheit und Jugend ich ein Jahr lang begleiten durfte und die mir so viel Liebe gezeigt haben!

Und jetzt kommt der Teil der Danksagungen:

Gracias – an meine Jungs, die mir mit ihrer unermüdlichen Lebensfreude gezeigt haben, dass man aus jeder noch so verkorksten Situation sein Positives ziehen kann und dass, um Gold zu finden, immer ein wenig Schutt vorhanden sein muss. Ich meine damit, dass wir Krisen brauchen, um stärkere Menschen zu werden und unser Leben nachhaltig Besserung findet. Oft wurde mir von Außenstehenden gesagt, dass die Jungs ihnen Leid tun – aber Nein! Diese Jungs tun mir nicht Leid – ich habe einfach nur eine tiefe Bewunderung für sie übrig! Die meisten von uns hätten nach solchen Erfahrungen vielleicht nicht mehr die Kraft, das Leben so zu bestreiten, wie sie es tun!

Gracias – an meine Mitvolontäre Anni, Max und Lene. Ihr wart immer für mich da, habt mich getragen und aufgefangen, wenn ich es selber mal nicht konnte, habt mir durch den täglichen Austausch (auch von unterschiedlichen Meinungen) viele Erkenntnisse geschenkt und wart ein Licht in dunklen wie auch hellen Zeiten!

Gracias – an alle Mitarbeiter des Projekts: Chefin, Mentor und Erzieher, die nach und nach zu Vorbildern und Freunden geworden sind und einem viel für das Leben mitgegeben haben. Bolivianer sind wahre Improvisationstalente und wissen, das Leben zu genießen! Und die Arbeit ist doch viel schöner, wenn man ein freundschaftliches Verhältnis zu den Erziehern pflegt!

Gracias – an meine Familie und Freunde aus Deutschland, die immer für mich da waren und mir aus der Ferne immer geholfen haben. Emotionaler Support ist wichtig – und es ist schön zu wissen, dass es auf der anderen Seite des Globus jemanden gibt, der immer für dich da ist!

Gracias – an die Organisation Don Bosco, an Svenja, meine Betreuerin, und vor allem an meine Mitfreiwilligen, die in andere Länder geschickt wurden. Die Seminare waren immer ein Highlight und es ist so schön, Verbündete zu haben, mit denen man sich quasi über die gleichen Thematiken austauschen kann, obwohl man in so verschiedenen Ländern eingesetzt wurde. Es sind wertvolle Freundschaften entstanden und wir stützen uns gegenseitig im Ankommensprozess!

Gracias – an alle, die meinen Freiwilligendienst oder das Heim durch Spenden unterstützt haben! Durch eure Spenden kann so ein Freiwilligendienst wie meiner auch langfristig für weitere Freiwillige ermöglicht werden und die Jungs haben dank euch nun neue Schränke, über die sie sehr glücklich sind!

Gracias – an alle Leser und Interessierten an meiner Arbeit im Heim! Oft ist mir beim Schreiben der Blogs und beim Erzählen von meiner Arbeit einiges bewusst geworden, das davor im Verborgenen in mir geschlummert hat. Und das meiste, das ich aus dem Freiwilligendienst gelernt habe, habe ich wohl noch gar nicht realisiert, sondern mit der Zeit werde ich umso mehr aus meinen Erfahrungen lernen und feststellen!

Denkt daran – so schwierig eure Situation gerade sein mag, es gibt immer Menschen, die genau für diese Situation dankbar wären und die mit noch viel mehr/größeren Herausforderungen zu kämpfen haben!

Un abrazo grande a todos (eine große Umarmung geht raus)!

Sophie

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Mein prägendstes Erlebnis

  1. ufricke

    Liebe Sophie, ich habe selten einen so schönen Danke-Blog gelesen. Und wenn man deinen Blog verfolgt hat, dann hat man schon geahnt, dass Dir der Abschied richtig schwer fallen wird. Sei stolz und dankbar! Ich war immer gerne hier Leserin in deinem bolivianischen Leben und hoffe du bleibst Don Bosco erhalten! Alles Gute für die Zukunft!

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